Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

häuser und psychischen Curen wäre Verhütung derjenigen
Schwärmereyen, die zum Wähn führen können.

147. Der Blödsinn, der allein unter allen Geistes-
zerrüttung angeboren vorkommt, und den wir schon
oben dem Genie als das andre Extrem entgegengesetzt ha-
ben, ist allgemeine Schwäche des Geistes, ohne daß, hiebey
ein Seelenvermögen vor dem andern dürfte genannt wer-
den. Er ist nicht sowohl nach verschiedenartigen Merkma-
len, als nach Graden verschieden, und kann so weit gehn,
daß der Mensch fast nur noch einer Pflanze gleicht, als
solche aber wächst und gesund ist.

148. Die angegebenen Klassen der Geisteszerrüttun-
gen dienen nun nicht sowohl zur unmittelbaren Einteilung
der wirklichen Fälle (welche meistens etwas Mittleres und
Zusammengesetztes darstellen), als vielmehr zur Bestimmung
der einfachen Merkmale, unter welche die vorkommenden
Geistes-Krankheiten zu subsumiren sind. Wahnsinn und
Narrheit, Tobsucht und Blödsinn, sind Extreme, zwischen
denen die Mittelzustände liegen. Wahnsinn kann sich ver-
binden mit Tobsucht, und mit den geringeren Graden des
Blödsinns; Narrheit eben so. Es ist demnach hier einiger-
maaßen eine ähnliche Zusammenstellung der Begriffe, wie
bey den Temperamenten.

149. Analog den Geistes-Zerrüttungen sind nun die
allermeisten andern anomalen Zustande. Der Traum gleicht
dem Wahnsinn, besonders durch die Einbildung anhalten-
der Verlegenheit, in der man nicht von der Stelle komme;
die Raserey. im Fieber erscheint als Tobsucht; Schwindel,
Ohnmacht und was dem nahe kommt, ist ähnlich dem Blöd-
sinn; der Rausch macht den Menschen schweben zwischen
Narrheit und Tobsucht. Es ist jedoch offenbar, daß man
diese Vergleichung nicht zu weit ausdehnen darf. So ist
der Wahn des Traums weit mannigfaltiger und veränder-

häuser und psychischen Curen wäre Verhütung derjenigen
Schwärmereyen, die zum Wähn führen können.

147. Der Blödsinn, der allein unter allen Geistes-
zerrüttung angeboren vorkommt, und den wir schon
oben dem Genie als das andre Extrem entgegengesetzt ha-
ben, ist allgemeine Schwäche des Geistes, ohne daß, hiebey
ein Seelenvermögen vor dem andern dürfte genannt wer-
den. Er ist nicht sowohl nach verschiedenartigen Merkma-
len, als nach Graden verschieden, und kann so weit gehn,
daß der Mensch fast nur noch einer Pflanze gleicht, als
solche aber wächst und gesund ist.

148. Die angegebenen Klassen der Geisteszerrüttun-
gen dienen nun nicht sowohl zur unmittelbaren Einteilung
der wirklichen Fälle (welche meistens etwas Mittleres und
Zusammengesetztes darstellen), als vielmehr zur Bestimmung
der einfachen Merkmale, unter welche die vorkommenden
Geistes-Krankheiten zu subsumiren sind. Wahnsinn und
Narrheit, Tobsucht und Blödsinn, sind Extreme, zwischen
denen die Mittelzustände liegen. Wahnsinn kann sich ver-
binden mit Tobsucht, und mit den geringeren Graden des
Blödsinns; Narrheit eben so. Es ist demnach hier einiger-
maaßen eine ähnliche Zusammenstellung der Begriffe, wie
bey den Temperamenten.

149. Analog den Geistes-Zerrüttungen sind nun die
allermeisten andern anomalen Zustande. Der Traum gleicht
dem Wahnsinn, besonders durch die Einbildung anhalten-
der Verlegenheit, in der man nicht von der Stelle komme;
die Raserey. im Fieber erscheint als Tobsucht; Schwindel,
Ohnmacht und was dem nahe kommt, ist ähnlich dem Blöd-
sinn; der Rausch macht den Menschen schweben zwischen
Narrheit und Tobsucht. Es ist jedoch offenbar, daß man
diese Vergleichung nicht zu weit ausdehnen darf. So ist
der Wahn des Traums weit mannigfaltiger und veränder-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0123" n="115"/>
häuser und psychischen Curen wäre Verhütung derjenigen<lb/>
Schwärmereyen, die zum
               Wähn führen können.</p><lb/>
            <p>147. Der <hi rendition="#g">Blödsinn</hi>, der allein unter allen
               Geistes-<lb/>
zerrüttung <hi rendition="#g">angeboren</hi> vorkommt, und den wir schon<lb/>
oben dem Genie als das andre Extrem entgegengesetzt ha-<lb/>
ben, ist allgemeine
               Schwäche des Geistes, ohne daß, hiebey<lb/>
ein Seelenvermögen vor dem andern dürfte
               genannt wer-<lb/>
den. Er ist nicht sowohl nach verschiedenartigen Merkma-<lb/>
len,
               als nach Graden verschieden, und kann so weit gehn,<lb/>
daß der Mensch fast nur noch
               einer Pflanze gleicht, als<lb/>
solche aber wächst und gesund ist.</p><lb/>
            <p>148. Die angegebenen Klassen der Geisteszerrüttun-<lb/>
gen dienen nun nicht sowohl
               zur unmittelbaren Einteilung<lb/>
der wirklichen Fälle (welche meistens etwas
               Mittleres und<lb/>
Zusammengesetztes darstellen), als vielmehr zur Bestimmung<lb/>
der einfachen Merkmale, unter welche die vorkommenden<lb/>
Geistes-Krankheiten zu
               subsumiren sind. Wahnsinn und<lb/>
Narrheit, Tobsucht und Blödsinn, sind Extreme,
               zwischen<lb/>
denen die Mittelzustände liegen. Wahnsinn kann sich ver-<lb/>
binden
               mit Tobsucht, und mit den geringeren Graden des<lb/>
Blödsinns; Narrheit eben so. Es
               ist demnach hier einiger-<lb/>
maaßen eine ähnliche Zusammenstellung der Begriffe, wie<lb/>
bey den Temperamenten.</p><lb/>
            <p>149. Analog den Geistes-Zerrüttungen sind nun die<lb/>
allermeisten andern anomalen
               Zustande. Der Traum gleicht<lb/>
dem Wahnsinn, besonders durch die Einbildung
               anhalten-<lb/>
der Verlegenheit, in der man nicht von der Stelle komme;<lb/>
die
               Raserey. im Fieber erscheint als Tobsucht; Schwindel,<lb/>
Ohnmacht und was dem nahe
               kommt, ist ähnlich dem Blöd-<lb/>
sinn; der Rausch macht den Menschen schweben
               zwischen<lb/>
Narrheit und Tobsucht. Es ist jedoch offenbar, daß man<lb/>
diese
               Vergleichung nicht zu weit ausdehnen darf. So ist<lb/>
der Wahn des Traums weit
               mannigfaltiger und veränder-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0123] häuser und psychischen Curen wäre Verhütung derjenigen Schwärmereyen, die zum Wähn führen können. 147. Der Blödsinn, der allein unter allen Geistes- zerrüttung angeboren vorkommt, und den wir schon oben dem Genie als das andre Extrem entgegengesetzt ha- ben, ist allgemeine Schwäche des Geistes, ohne daß, hiebey ein Seelenvermögen vor dem andern dürfte genannt wer- den. Er ist nicht sowohl nach verschiedenartigen Merkma- len, als nach Graden verschieden, und kann so weit gehn, daß der Mensch fast nur noch einer Pflanze gleicht, als solche aber wächst und gesund ist. 148. Die angegebenen Klassen der Geisteszerrüttun- gen dienen nun nicht sowohl zur unmittelbaren Einteilung der wirklichen Fälle (welche meistens etwas Mittleres und Zusammengesetztes darstellen), als vielmehr zur Bestimmung der einfachen Merkmale, unter welche die vorkommenden Geistes-Krankheiten zu subsumiren sind. Wahnsinn und Narrheit, Tobsucht und Blödsinn, sind Extreme, zwischen denen die Mittelzustände liegen. Wahnsinn kann sich ver- binden mit Tobsucht, und mit den geringeren Graden des Blödsinns; Narrheit eben so. Es ist demnach hier einiger- maaßen eine ähnliche Zusammenstellung der Begriffe, wie bey den Temperamenten. 149. Analog den Geistes-Zerrüttungen sind nun die allermeisten andern anomalen Zustande. Der Traum gleicht dem Wahnsinn, besonders durch die Einbildung anhalten- der Verlegenheit, in der man nicht von der Stelle komme; die Raserey. im Fieber erscheint als Tobsucht; Schwindel, Ohnmacht und was dem nahe kommt, ist ähnlich dem Blöd- sinn; der Rausch macht den Menschen schweben zwischen Narrheit und Tobsucht. Es ist jedoch offenbar, daß man diese Vergleichung nicht zu weit ausdehnen darf. So ist der Wahn des Traums weit mannigfaltiger und veränder-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-05T12:13:38Z)
Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-07-05T12:13:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Hannah Sophia Glaum: Umwandlung in DTABf-konformes Markup. (2013-07-05T12:13:38Z)
Stefanie Seim: Nachkorrekturen. (2013-07-05T12:13:38Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/123
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/123>, abgerufen am 22.11.2024.