schaften, so daß es schwer wird, den gesunden
Menschen dem geisteskranken scharf entgegenzusetzen.
143. Jn allen Fallen, wo ein empirisches Mannig- faltiges sich nicht leicht mit
Genauigkeit sondern läßt, fängt man am sichersten mit den offenbarsten
Verschiedenheiten, mit den Extremen an, und vergleicht hintennach mit ihnen
das Zwischenliegende. Aus diesem Grunde beginnen wir hier mit den
eigentlichen Geistes-Zerrüttungen, und erwäh- nen erst später der ihnen ähnlichen
Krankheitszustände, nebst den Erscheinungen, die sich dem Schlase
zugesellen.
Der Geistes-Zerrüttungen, die im Wachen und bey (wenigstens scheinbarer)
körperlicher Gesundheit sich zeigen, zählt man vier Klassen (nach Reil und Pinel, welcher letztere
mit einiger Verschiedenheit noch eine fünfte ange- nommen hatte): den Wahnsinn, die Wuth, die Narr- heit und den Blödsinn.
144. Der Wahnsinn hängt an einer sogenannten fixen Jdee, einer falschen Vorstellung, die einen Theil des
Gedankenkreises nach sich bestimmt, während übrigens das Denken im
gehörigen Gange bleibt, auch von jener Vor- stellung an consequent fortläuft. Es
versteht sich dabey von selbst, daß die falsche Vorstellung wirklich täuschen
müsse, und nicht für einen Wahn erkannt werde; desgleichen, daß sie einen
grundlosen Jrrthum enthalte, aus welchem man den nicht Zerrütteten mit Rücksicht
auf die Kenntnisse, die er besitzt, unsehlbar würde ziehen können.
Soll die Annahme der Seelenvermögen hiebey zuge- zogen werden, so ist der Sitz
des Wahnsinns eine kranke Einbildungskraft, die in den meisten Fällen durch
einen schädlichen Einfluß des Begehrungsvennögens, zuweilen von Seiten des
Verstandes oder der Vernunft, manchmal wohl auch bloß durch körperliche
Ursachen, eine Verletzung erlit-
schaften, so daß es schwer wird, den gesunden
Menschen dem geisteskranken scharf entgegenzusetzen.
143. Jn allen Fallen, wo ein empirisches Mannig- faltiges sich nicht leicht mit
Genauigkeit sondern läßt, fängt man am sichersten mit den offenbarsten
Verschiedenheiten, mit den Extremen an, und vergleicht hintennach mit ihnen
das Zwischenliegende. Aus diesem Grunde beginnen wir hier mit den
eigentlichen Geistes-Zerrüttungen, und erwäh- nen erst später der ihnen ähnlichen
Krankheitszustände, nebst den Erscheinungen, die sich dem Schlase
zugesellen.
Der Geistes-Zerrüttungen, die im Wachen und bey (wenigstens scheinbarer)
körperlicher Gesundheit sich zeigen, zählt man vier Klassen (nach Reil und Pinel, welcher letztere
mit einiger Verschiedenheit noch eine fünfte ange- nommen hatte): den Wahnsinn, die Wuth, die Narr- heit und den Blödsinn.
144. Der Wahnsinn hängt an einer sogenannten fixen Jdee, einer falschen Vorstellung, die einen Theil des
Gedankenkreises nach sich bestimmt, während übrigens das Denken im
gehörigen Gange bleibt, auch von jener Vor- stellung an consequent fortläuft. Es
versteht sich dabey von selbst, daß die falsche Vorstellung wirklich täuschen
müsse, und nicht für einen Wahn erkannt werde; desgleichen, daß sie einen
grundlosen Jrrthum enthalte, aus welchem man den nicht Zerrütteten mit Rücksicht
auf die Kenntnisse, die er besitzt, unsehlbar würde ziehen können.
Soll die Annahme der Seelenvermögen hiebey zuge- zogen werden, so ist der Sitz
des Wahnsinns eine kranke Einbildungskraft, die in den meisten Fällen durch
einen schädlichen Einfluß des Begehrungsvennögens, zuweilen von Seiten des
Verstandes oder der Vernunft, manchmal wohl auch bloß durch körperliche
Ursachen, eine Verletzung erlit-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0119"n="111"/>
schaften, so daß es schwer wird, den gesunden
Menschen<lb/>
dem geisteskranken scharf entgegenzusetzen.</p><lb/><p>143. Jn allen Fallen, wo ein empirisches Mannig-<lb/>
faltiges sich nicht leicht mit
Genauigkeit sondern läßt, fängt<lb/>
man am sichersten mit den offenbarsten
Verschiedenheiten,<lb/>
mit den Extremen an, und vergleicht hintennach mit ihnen<lb/>
das Zwischenliegende. Aus diesem Grunde beginnen wir<lb/>
hier mit den
eigentlichen Geistes-Zerrüttungen, und erwäh-<lb/>
nen erst später der ihnen ähnlichen
Krankheitszustände, nebst<lb/>
den Erscheinungen, die sich dem Schlase
zugesellen.</p><lb/><p>Der Geistes-Zerrüttungen, die im Wachen und bey<lb/>
(wenigstens scheinbarer)
körperlicher Gesundheit sich zeigen,<lb/>
zählt man vier Klassen (nach <hirendition="#g">Reil</hi> und <hirendition="#g">Pinel</hi>, welcher<lb/>
letztere
mit einiger Verschiedenheit noch eine fünfte ange-<lb/>
nommen hatte): den <hirendition="#g">Wahnsinn</hi>, die <hirendition="#g">Wuth</hi>, die <hirendition="#g">Narr-<lb/>
heit</hi> und den <hirendition="#g">Blödsinn</hi>.</p><lb/><p>144. Der Wahnsinn hängt an einer sogenannten<lb/><hirendition="#g">fixen Jdee</hi>, einer falschen Vorstellung, die einen Theil des<lb/>
Gedankenkreises nach sich bestimmt, während übrigens das<lb/>
Denken im
gehörigen Gange bleibt, auch von jener Vor-<lb/>
stellung an consequent fortläuft. Es
versteht sich dabey von<lb/>
selbst, daß die falsche Vorstellung wirklich täuschen
müsse,<lb/>
und nicht für einen Wahn erkannt werde; desgleichen, daß<lb/>
sie einen
grundlosen Jrrthum enthalte, aus welchem man<lb/>
den nicht Zerrütteten mit Rücksicht
auf die Kenntnisse, die<lb/>
er besitzt, unsehlbar würde ziehen können.</p><lb/><p>Soll die Annahme der Seelenvermögen hiebey zuge-<lb/>
zogen werden, so ist der Sitz
des Wahnsinns eine kranke<lb/>
Einbildungskraft, die in den meisten Fällen durch
einen<lb/>
schädlichen Einfluß des Begehrungsvennögens, zuweilen von<lb/>
Seiten des
Verstandes oder der Vernunft, manchmal wohl<lb/>
auch bloß durch körperliche
Ursachen, eine Verletzung erlit-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[111/0119]
schaften, so daß es schwer wird, den gesunden Menschen
dem geisteskranken scharf entgegenzusetzen.
143. Jn allen Fallen, wo ein empirisches Mannig-
faltiges sich nicht leicht mit Genauigkeit sondern läßt, fängt
man am sichersten mit den offenbarsten Verschiedenheiten,
mit den Extremen an, und vergleicht hintennach mit ihnen
das Zwischenliegende. Aus diesem Grunde beginnen wir
hier mit den eigentlichen Geistes-Zerrüttungen, und erwäh-
nen erst später der ihnen ähnlichen Krankheitszustände, nebst
den Erscheinungen, die sich dem Schlase zugesellen.
Der Geistes-Zerrüttungen, die im Wachen und bey
(wenigstens scheinbarer) körperlicher Gesundheit sich zeigen,
zählt man vier Klassen (nach Reil und Pinel, welcher
letztere mit einiger Verschiedenheit noch eine fünfte ange-
nommen hatte): den Wahnsinn, die Wuth, die Narr-
heit und den Blödsinn.
144. Der Wahnsinn hängt an einer sogenannten
fixen Jdee, einer falschen Vorstellung, die einen Theil des
Gedankenkreises nach sich bestimmt, während übrigens das
Denken im gehörigen Gange bleibt, auch von jener Vor-
stellung an consequent fortläuft. Es versteht sich dabey von
selbst, daß die falsche Vorstellung wirklich täuschen müsse,
und nicht für einen Wahn erkannt werde; desgleichen, daß
sie einen grundlosen Jrrthum enthalte, aus welchem man
den nicht Zerrütteten mit Rücksicht auf die Kenntnisse, die
er besitzt, unsehlbar würde ziehen können.
Soll die Annahme der Seelenvermögen hiebey zuge-
zogen werden, so ist der Sitz des Wahnsinns eine kranke
Einbildungskraft, die in den meisten Fällen durch einen
schädlichen Einfluß des Begehrungsvennögens, zuweilen von
Seiten des Verstandes oder der Vernunft, manchmal wohl
auch bloß durch körperliche Ursachen, eine Verletzung erlit-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-07-05T12:13:38Z)
Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-07-05T12:13:38Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Hannah Sophia Glaum: Umwandlung in DTABf-konformes Markup.
(2013-07-05T12:13:38Z)
Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/119>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.