Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

senbahnen, sondern auch ein gleichartiger Unterricht, und
eine durchgehends ähnliche conventionelle Bildung, den
geistigen wie den leiblichen Verkehr unterhalten. Den-
noch verlangt man offenbar zuviel, wenn man hofft, der
Bürgersinn, wie ihn eine Stadt erzeugt, solle in einem
grossen Reiche gleichmässig verbreitet seyn. Jede Stadt
behält ihren Radius, in dessen Weite ihre Anziehung
merklich ist. Aus den Städten sammt ihren Umgebungen,
besteht jede Provinz, aus den Provinzen der Staat. Und
das Oberhaupt des Staats ist vermöge der Geschäfte weit
inniger mit jeder einzelnen Provinz verbunden, als diese
unter einander. Im Mittelpuncte der Geschäfte aber er-
zeugt sich eine ganz andre Art von Complication und
von Trennung; es ist die logische, nach den verschiede-
nen Verwaltungszweigen, unter den Räthen, welchen die-
selben zugetheilt werden.

Dies erinnert an denjenigen Theil der Politik, wel-
chen ich hier zu berühren keine Veranlassung habe. Er
begreift alle künstlichen, absichtlich gemachten Verhält-
nisse, die ganze Wirkung der Gesetze, die aus der
Reflexion, aus dem Selbstbewusstseyn des Staats hervor-
gehn; sammt denjenigen Verfassungen, die sich vertrags-
mässig mögen gebildet haben. Meine Absicht war, an
die Hauptbegriffe der Statik des Geistes zu erinnern, ich
komme jetzt zur Mechanik.


B. Bruchstücke der Mechanik des Staats.

Wir haben im §. 74. das allgemeine Grundgesetz
gefunden, nach welchem die Hemmungssumme allmählig
sinkt. Dieses heisst hier soviel als: Die Ungleichheit
im Staate nimmt immer zu, so lange ein gege-
benes System von Kräften, die zugleich anfin-
gen ins Gleichgewicht zu treten, unverändert
das nämliche bleibt
. Dabey sinkt eine der schwä-
chern Kräfte nach der andern zur statischen Schwelle;

senbahnen, sondern auch ein gleichartiger Unterricht, und
eine durchgehends ähnliche conventionelle Bildung, den
geistigen wie den leiblichen Verkehr unterhalten. Den-
noch verlangt man offenbar zuviel, wenn man hofft, der
Bürgersinn, wie ihn eine Stadt erzeugt, solle in einem
groſsen Reiche gleichmäſsig verbreitet seyn. Jede Stadt
behält ihren Radius, in dessen Weite ihre Anziehung
merklich ist. Aus den Städten sammt ihren Umgebungen,
besteht jede Provinz, aus den Provinzen der Staat. Und
das Oberhaupt des Staats ist vermöge der Geschäfte weit
inniger mit jeder einzelnen Provinz verbunden, als diese
unter einander. Im Mittelpuncte der Geschäfte aber er-
zeugt sich eine ganz andre Art von Complication und
von Trennung; es ist die logische, nach den verschiede-
nen Verwaltungszweigen, unter den Räthen, welchen die-
selben zugetheilt werden.

Dies erinnert an denjenigen Theil der Politik, wel-
chen ich hier zu berühren keine Veranlassung habe. Er
begreift alle künstlichen, absichtlich gemachten Verhält-
nisse, die ganze Wirkung der Gesetze, die aus der
Reflexion, aus dem Selbstbewuſstseyn des Staats hervor-
gehn; sammt denjenigen Verfassungen, die sich vertrags-
mäſsig mögen gebildet haben. Meine Absicht war, an
die Hauptbegriffe der Statik des Geistes zu erinnern, ich
komme jetzt zur Mechanik.


B. Bruchstücke der Mechanik des Staats.

Wir haben im §. 74. das allgemeine Grundgesetz
gefunden, nach welchem die Hemmungssumme allmählig
sinkt. Dieses heiſst hier soviel als: Die Ungleichheit
im Staate nimmt immer zu, so lange ein gege-
benes System von Kräften, die zugleich anfin-
gen ins Gleichgewicht zu treten, unverändert
das nämliche bleibt
. Dabey sinkt eine der schwä-
chern Kräfte nach der andern zur statischen Schwelle;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0061" n="26"/>
senbahnen, sondern auch ein gleichartiger Unterricht, und<lb/>
eine durchgehends ähnliche conventionelle Bildung, den<lb/>
geistigen wie den leiblichen Verkehr unterhalten. Den-<lb/>
noch verlangt man offenbar zuviel, wenn man hofft, der<lb/>
Bürgersinn, wie ihn eine Stadt erzeugt, solle in einem<lb/>
gro&#x017F;sen Reiche gleichmä&#x017F;sig verbreitet seyn. Jede Stadt<lb/>
behält ihren Radius, in dessen Weite ihre Anziehung<lb/>
merklich ist. Aus den Städten sammt ihren Umgebungen,<lb/>
besteht jede Provinz, aus den Provinzen der Staat. Und<lb/>
das Oberhaupt des Staats ist vermöge der Geschäfte weit<lb/>
inniger mit jeder einzelnen Provinz verbunden, als diese<lb/>
unter einander. Im Mittelpuncte der Geschäfte aber er-<lb/>
zeugt sich eine ganz andre Art von Complication und<lb/>
von Trennung; es ist die logische, nach den verschiede-<lb/>
nen Verwaltungszweigen, unter den Räthen, welchen die-<lb/>
selben zugetheilt werden.</p><lb/>
            <p>Dies erinnert an denjenigen Theil der Politik, wel-<lb/>
chen ich hier zu berühren keine Veranlassung habe. Er<lb/>
begreift alle künstlichen, absichtlich gemachten Verhält-<lb/>
nisse, die ganze Wirkung der <hi rendition="#g">Gesetze</hi>, die aus der<lb/>
Reflexion, aus dem Selbstbewu&#x017F;stseyn des Staats hervor-<lb/>
gehn; sammt denjenigen Verfassungen, die sich vertrags-<lb/>&#x017F;sig mögen gebildet haben. Meine Absicht war, an<lb/>
die Hauptbegriffe der Statik des Geistes zu erinnern, ich<lb/>
komme jetzt zur Mechanik.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#i">B</hi>. Bruchstücke der Mechanik des Staats.</head><lb/>
          <p>Wir haben im §. 74. das allgemeine Grundgesetz<lb/>
gefunden, nach welchem die Hemmungssumme allmählig<lb/>
sinkt. Dieses hei&#x017F;st hier soviel als: <hi rendition="#g">Die Ungleichheit<lb/>
im Staate nimmt immer zu, so lange ein gege-<lb/>
benes System von Kräften, die zugleich anfin-<lb/>
gen ins Gleichgewicht zu treten, unverändert<lb/>
das nämliche bleibt</hi>. Dabey sinkt eine der schwä-<lb/>
chern Kräfte nach der andern zur statischen Schwelle;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0061] senbahnen, sondern auch ein gleichartiger Unterricht, und eine durchgehends ähnliche conventionelle Bildung, den geistigen wie den leiblichen Verkehr unterhalten. Den- noch verlangt man offenbar zuviel, wenn man hofft, der Bürgersinn, wie ihn eine Stadt erzeugt, solle in einem groſsen Reiche gleichmäſsig verbreitet seyn. Jede Stadt behält ihren Radius, in dessen Weite ihre Anziehung merklich ist. Aus den Städten sammt ihren Umgebungen, besteht jede Provinz, aus den Provinzen der Staat. Und das Oberhaupt des Staats ist vermöge der Geschäfte weit inniger mit jeder einzelnen Provinz verbunden, als diese unter einander. Im Mittelpuncte der Geschäfte aber er- zeugt sich eine ganz andre Art von Complication und von Trennung; es ist die logische, nach den verschiede- nen Verwaltungszweigen, unter den Räthen, welchen die- selben zugetheilt werden. Dies erinnert an denjenigen Theil der Politik, wel- chen ich hier zu berühren keine Veranlassung habe. Er begreift alle künstlichen, absichtlich gemachten Verhält- nisse, die ganze Wirkung der Gesetze, die aus der Reflexion, aus dem Selbstbewuſstseyn des Staats hervor- gehn; sammt denjenigen Verfassungen, die sich vertrags- mäſsig mögen gebildet haben. Meine Absicht war, an die Hauptbegriffe der Statik des Geistes zu erinnern, ich komme jetzt zur Mechanik. B. Bruchstücke der Mechanik des Staats. Wir haben im §. 74. das allgemeine Grundgesetz gefunden, nach welchem die Hemmungssumme allmählig sinkt. Dieses heiſst hier soviel als: Die Ungleichheit im Staate nimmt immer zu, so lange ein gege- benes System von Kräften, die zugleich anfin- gen ins Gleichgewicht zu treten, unverändert das nämliche bleibt. Dabey sinkt eine der schwä- chern Kräfte nach der andern zur statischen Schwelle;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/61
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/61>, abgerufen am 21.11.2024.