ken des Erkenntnissvermögens die Bedingungen des mensch- lichen Wissens einzusehen gedachten. Nun beruhet zwar die Metaphysik nicht auf der Psychologie; aber sie findet darin ihre Bestätigung, gleichsam ihre Rechnungsprobe; dergleichen für die Vestigkeit der Ueberzeugung oft nicht minder wichtig ist, als die Principien selbst. Und auch für diejenigen, denen die psychologischen Resultate frü- her bekannt werden, als sie zu einer vollständigen Ein- sicht in den Zusammenhang derselben mit den metaphy- sischen Gründen durchdringen, ist ein Hülfsmittel vor- handen, wornach sie sich orientiren, wodurch sie vorläufig einmal wahre Meinungen fassen können, eine oft sehr nützliche Vorbereitung zum gründlichen Wissen. Denn, wie sehr es auch die Eigenliebe kränken mag, die Welt wird weit mehr durch die Meinung regiert, als durch die Einsicht *); und diejenige Welt, von der ich hier rede, ist keine andre, als das Deutsche philosophirende Publi- cum. Dieses hat das Unglück gehabt, in den letzten De- cennien weit von der Wahrheit abzukommen; ungefähr in demselben Verhältniss weiter, als es an kecken Phan- tasien mehr Geschmack fand, und sich vom methodischen Denken mehr entwöhnte. Die einzige Bedingung, unter der ihm kann geholfen werden, ist, dass zuerst sein Mei- nungskreis eine fühlbare Veränderung erfahre; und, da noch immer, es werde nun eingestanden oder nicht, ver- möge der gesammten Hauptrichtung aller neuern Philo- sophie, die Seelenlehre den eigentlichen Mittelpunct die- ses Meinungskreises ausmacht, so kann auch noch am ersten von diesem Puncte aus die Veränderung beginnen, wenn schon derselbe im wissenschaftlichen Zusammen- hange kein Anfangspunct ist. Damit ist nicht gesagt, dass
*) Es hat Leute gegeben, die nicht laut genug ausrufen konnten: die Welt werde durch Ideen regiert. Sie benahmen sich dabey unge- fähr so klug, wie Einer, der seine Träume erzählt, während verschie- dene Personen umherstehn, die abergläubig genug sind, sich die Vision jeder nach seinem Interesse auszulegen.
ken des Erkenntniſsvermögens die Bedingungen des mensch- lichen Wissens einzusehen gedachten. Nun beruhet zwar die Metaphysik nicht auf der Psychologie; aber sie findet darin ihre Bestätigung, gleichsam ihre Rechnungsprobe; dergleichen für die Vestigkeit der Ueberzeugung oft nicht minder wichtig ist, als die Principien selbst. Und auch für diejenigen, denen die psychologischen Resultate frü- her bekannt werden, als sie zu einer vollständigen Ein- sicht in den Zusammenhang derselben mit den metaphy- sischen Gründen durchdringen, ist ein Hülfsmittel vor- handen, wornach sie sich orientiren, wodurch sie vorläufig einmal wahre Meinungen fassen können, eine oft sehr nützliche Vorbereitung zum gründlichen Wissen. Denn, wie sehr es auch die Eigenliebe kränken mag, die Welt wird weit mehr durch die Meinung regiert, als durch die Einsicht *); und diejenige Welt, von der ich hier rede, ist keine andre, als das Deutsche philosophirende Publi- cum. Dieses hat das Unglück gehabt, in den letzten De- cennien weit von der Wahrheit abzukommen; ungefähr in demselben Verhältniſs weiter, als es an kecken Phan- tasien mehr Geschmack fand, und sich vom methodischen Denken mehr entwöhnte. Die einzige Bedingung, unter der ihm kann geholfen werden, ist, daſs zuerst sein Mei- nungskreis eine fühlbare Veränderung erfahre; und, da noch immer, es werde nun eingestanden oder nicht, ver- möge der gesammten Hauptrichtung aller neuern Philo- sophie, die Seelenlehre den eigentlichen Mittelpunct die- ses Meinungskreises ausmacht, so kann auch noch am ersten von diesem Puncte aus die Veränderung beginnen, wenn schon derselbe im wissenschaftlichen Zusammen- hange kein Anfangspunct ist. Damit ist nicht gesagt, daſs
*) Es hat Leute gegeben, die nicht laut genug ausrufen konnten: die Welt werde durch Ideen regiert. Sie benahmen sich dabey unge- fähr so klug, wie Einer, der seine Träume erzählt, während verschie- dene Personen umherstehn, die abergläubig genug sind, sich die Vision jeder nach seinem Interesse auszulegen.
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ken des Erkenntniſsvermögens die Bedingungen des mensch-
lichen Wissens einzusehen gedachten. Nun beruhet zwar
die Metaphysik nicht auf der Psychologie; aber sie findet
darin ihre Bestätigung, gleichsam ihre Rechnungsprobe;
dergleichen für die Vestigkeit der Ueberzeugung oft nicht
minder wichtig ist, als die Principien selbst. Und auch
für diejenigen, denen die psychologischen Resultate frü-
her bekannt werden, als sie zu einer vollständigen Ein-
sicht in den Zusammenhang derselben mit den metaphy-
sischen Gründen durchdringen, ist ein Hülfsmittel vor-
handen, wornach sie sich orientiren, wodurch sie vorläufig
einmal wahre Meinungen fassen können, eine oft sehr
nützliche Vorbereitung zum gründlichen Wissen. Denn,
wie sehr es auch die Eigenliebe kränken mag, die Welt
wird weit mehr durch die Meinung regiert, als durch die
Einsicht *); und diejenige Welt, von der ich hier rede,
ist keine andre, als das Deutsche philosophirende Publi-
cum. Dieses hat das Unglück gehabt, in den letzten De-
cennien weit von der Wahrheit abzukommen; ungefähr
in demselben Verhältniſs weiter, als es an kecken Phan-
tasien mehr Geschmack fand, und sich vom methodischen
Denken mehr entwöhnte. Die einzige Bedingung, unter
der ihm kann geholfen werden, ist, daſs zuerst sein Mei-
nungskreis eine fühlbare Veränderung erfahre; und, da
noch immer, es werde nun eingestanden oder nicht, ver-
möge der gesammten Hauptrichtung aller neuern Philo-
sophie, die Seelenlehre den eigentlichen Mittelpunct die-
ses Meinungskreises ausmacht, so kann auch noch am
ersten von diesem Puncte aus die Veränderung beginnen,
wenn schon derselbe im wissenschaftlichen Zusammen-
hange kein Anfangspunct ist. Damit ist nicht gesagt, daſs
*) Es hat Leute gegeben, die nicht laut genug ausrufen konnten:
die Welt werde durch Ideen regiert. Sie benahmen sich dabey unge-
fähr so klug, wie Einer, der seine Träume erzählt, während verschie-
dene Personen umherstehn, die abergläubig genug sind, sich die Vision
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/574>, abgerufen am 27.11.2024.
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