an, indem er bey seinem kategorischen Imperative gar nicht nach irgend welchen theoretischen Gründen fragte. Und so war es recht; doch bog er sogleich wie- der aus dem Geleise, indem er nicht bloss bey der Lo- gik (bey der Allgemeinheit des Gesetzes) nach dem Inhalte des ersten Princips suchte, nicht bloss blindlings annahm, die praktische Philosophie müsse von Gebo- ten ursprünglich beginnen, sondern auch sogleich auf die Angabe eines Seelenvermögens ausging, welches geschickt seyn sollte, das moralische Gebot ins Werk zu richten. So kam seine transscendentale Freyheit zum Vorschein. Wer täuschte ihn hier, wenn nicht die falsche Psychologie, an deren verborgenen Qualitäten, die See- lenvermögen, er einmal gewöhnt war? Und was war die Folge? Man sieht sie in Fichte's Sittenlehre. Die For- mel des kategorischen Imperativ's veraltete bald; aber die transscendentale Freyheit blieb; und die Sittenlehre verwandelte sich in eine Historie von den Aeusserun- gen dieser Freyheit. So verlor diese Wissenschaft ganz und gar die ihr gebührende Gestalt; und Fichte's Sit- tenlehre ist, gerade wie Spinoza's Ethik, zwar in man- cher andern Absicht ein sehr schätzbares Werk, aber zugleich ein Muster, wie man eine Sittenlehre nicht schreiben solle. Denn sie ist von vorn herein ein theo- retisches, und eben darum kein praktisches Werk.
Die Psychologie wirkte falsch auf die Metaphysik. Dies ist nun vollends eine Wirkung im Grossen, die man sogleich gewahr wird, wenn man die ganze neuere Phi- losophie mit jener alten bis auf Aristoteles vergleicht. Die späteren Zeiten ergaben sich grossentheils der Ein- bildung, etwas recht vortreffliches und verdienstliches zu unternehmen, wenn sie die Philosophie gewaltsam in die Wohnungen der Menschen einklemmten, wenn sie überall den Menschen zum Mittelpuncte der Untersuchungen und Bestrebungen machten. So wurden jene Aufschwünge des menschlichen Geistes vor Aristoteles, vergessen; man begriff nicht mehr, was diejenigen getrieben hatten, die
an, indem er bey seinem kategorischen Imperative gar nicht nach irgend welchen theoretischen Gründen fragte. Und so war es recht; doch bog er sogleich wie- der aus dem Geleise, indem er nicht bloſs bey der Lo- gik (bey der Allgemeinheit des Gesetzes) nach dem Inhalte des ersten Princips suchte, nicht bloſs blindlings annahm, die praktische Philosophie müsse von Gebo- ten ursprünglich beginnen, sondern auch sogleich auf die Angabe eines Seelenvermögens ausging, welches geschickt seyn sollte, das moralische Gebot ins Werk zu richten. So kam seine transscendentale Freyheit zum Vorschein. Wer täuschte ihn hier, wenn nicht die falsche Psychologie, an deren verborgenen Qualitäten, die See- lenvermögen, er einmal gewöhnt war? Und was war die Folge? Man sieht sie in Fichte’s Sittenlehre. Die For- mel des kategorischen Imperativ’s veraltete bald; aber die transscendentale Freyheit blieb; und die Sittenlehre verwandelte sich in eine Historie von den Aeuſserun- gen dieser Freyheit. So verlor diese Wissenschaft ganz und gar die ihr gebührende Gestalt; und Fichte’s Sit- tenlehre ist, gerade wie Spinoza’s Ethik, zwar in man- cher andern Absicht ein sehr schätzbares Werk, aber zugleich ein Muster, wie man eine Sittenlehre nicht schreiben solle. Denn sie ist von vorn herein ein theo- retisches, und eben darum kein praktisches Werk.
Die Psychologie wirkte falsch auf die Metaphysik. Dies ist nun vollends eine Wirkung im Groſsen, die man sogleich gewahr wird, wenn man die ganze neuere Phi- losophie mit jener alten bis auf Aristoteles vergleicht. Die späteren Zeiten ergaben sich groſsentheils der Ein- bildung, etwas recht vortreffliches und verdienstliches zu unternehmen, wenn sie die Philosophie gewaltsam in die Wohnungen der Menschen einklemmten, wenn sie überall den Menschen zum Mittelpuncte der Untersuchungen und Bestrebungen machten. So wurden jene Aufschwünge des menschlichen Geistes vor Aristoteles, vergessen; man begriff nicht mehr, was diejenigen getrieben hatten, die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0562"n="527"/>
an, indem er bey seinem kategorischen Imperative gar<lb/>
nicht nach irgend welchen <hirendition="#g">theoretischen Gründen</hi><lb/>
fragte. Und so war es recht; doch bog er sogleich wie-<lb/>
der aus dem Geleise, indem er nicht bloſs bey der Lo-<lb/>
gik (bey der <hirendition="#g">Allgemeinheit</hi> des Gesetzes) nach dem<lb/>
Inhalte des ersten Princips suchte, nicht bloſs blindlings<lb/>
annahm, die praktische Philosophie müsse von <hirendition="#g">Gebo-<lb/>
ten</hi> ursprünglich beginnen, sondern auch sogleich auf<lb/>
die Angabe eines <hirendition="#g">Seelenvermögens</hi> ausging, welches<lb/>
geschickt seyn sollte, das moralische Gebot ins Werk zu<lb/>
richten. So kam seine transscendentale Freyheit zum<lb/>
Vorschein. Wer täuschte ihn hier, wenn nicht die falsche<lb/>
Psychologie, an deren verborgenen Qualitäten, die See-<lb/>
lenvermögen, er einmal gewöhnt war? Und was war die<lb/>
Folge? Man sieht sie in <hirendition="#g">Fichte</hi>’s Sittenlehre. Die For-<lb/>
mel des kategorischen Imperativ’s veraltete bald; aber<lb/>
die transscendentale Freyheit blieb; und die Sittenlehre<lb/>
verwandelte sich in eine <hirendition="#g">Historie</hi> von den Aeuſserun-<lb/>
gen dieser Freyheit. So verlor diese Wissenschaft ganz<lb/>
und gar die ihr gebührende Gestalt; und <hirendition="#g">Fichte</hi>’s Sit-<lb/>
tenlehre ist, gerade wie <hirendition="#g">Spinoza</hi>’s Ethik, zwar in man-<lb/>
cher andern Absicht ein sehr schätzbares Werk, aber<lb/>
zugleich ein Muster, wie man eine Sittenlehre <hirendition="#g">nicht</hi><lb/>
schreiben solle. Denn sie ist von vorn herein ein theo-<lb/>
retisches, und eben darum kein praktisches Werk.</p><lb/><p>Die Psychologie wirkte falsch auf die Metaphysik.<lb/>
Dies ist nun vollends eine Wirkung im Groſsen, die man<lb/>
sogleich gewahr wird, wenn man die ganze neuere Phi-<lb/>
losophie mit jener alten bis auf Aristoteles vergleicht.<lb/>
Die späteren Zeiten ergaben sich groſsentheils der Ein-<lb/>
bildung, etwas recht vortreffliches und verdienstliches zu<lb/>
unternehmen, wenn sie die Philosophie gewaltsam in die<lb/>
Wohnungen der Menschen einklemmten, wenn sie überall<lb/>
den Menschen zum Mittelpuncte der Untersuchungen und<lb/>
Bestrebungen machten. So wurden jene Aufschwünge<lb/>
des menschlichen Geistes vor Aristoteles, vergessen; man<lb/>
begriff nicht mehr, was diejenigen getrieben hatten, die<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[527/0562]
an, indem er bey seinem kategorischen Imperative gar
nicht nach irgend welchen theoretischen Gründen
fragte. Und so war es recht; doch bog er sogleich wie-
der aus dem Geleise, indem er nicht bloſs bey der Lo-
gik (bey der Allgemeinheit des Gesetzes) nach dem
Inhalte des ersten Princips suchte, nicht bloſs blindlings
annahm, die praktische Philosophie müsse von Gebo-
ten ursprünglich beginnen, sondern auch sogleich auf
die Angabe eines Seelenvermögens ausging, welches
geschickt seyn sollte, das moralische Gebot ins Werk zu
richten. So kam seine transscendentale Freyheit zum
Vorschein. Wer täuschte ihn hier, wenn nicht die falsche
Psychologie, an deren verborgenen Qualitäten, die See-
lenvermögen, er einmal gewöhnt war? Und was war die
Folge? Man sieht sie in Fichte’s Sittenlehre. Die For-
mel des kategorischen Imperativ’s veraltete bald; aber
die transscendentale Freyheit blieb; und die Sittenlehre
verwandelte sich in eine Historie von den Aeuſserun-
gen dieser Freyheit. So verlor diese Wissenschaft ganz
und gar die ihr gebührende Gestalt; und Fichte’s Sit-
tenlehre ist, gerade wie Spinoza’s Ethik, zwar in man-
cher andern Absicht ein sehr schätzbares Werk, aber
zugleich ein Muster, wie man eine Sittenlehre nicht
schreiben solle. Denn sie ist von vorn herein ein theo-
retisches, und eben darum kein praktisches Werk.
Die Psychologie wirkte falsch auf die Metaphysik.
Dies ist nun vollends eine Wirkung im Groſsen, die man
sogleich gewahr wird, wenn man die ganze neuere Phi-
losophie mit jener alten bis auf Aristoteles vergleicht.
Die späteren Zeiten ergaben sich groſsentheils der Ein-
bildung, etwas recht vortreffliches und verdienstliches zu
unternehmen, wenn sie die Philosophie gewaltsam in die
Wohnungen der Menschen einklemmten, wenn sie überall
den Menschen zum Mittelpuncte der Untersuchungen und
Bestrebungen machten. So wurden jene Aufschwünge
des menschlichen Geistes vor Aristoteles, vergessen; man
begriff nicht mehr, was diejenigen getrieben hatten, die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 527. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/562>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.