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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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pliciren, das heisst, je ungestörter sie mit einander eine
Zeitlang haben im Bewusstseyn verweilen können.

Dass es in einem solchen Zustande nicht an der
Ichheit überhaupt fehlen werde, leuchtet unmittelbar ein.
So lange noch der Mensch seine Glieder kennt und will-
kührlich bewegt, so lange er sein Sprechen vernimmt,
versteht, und darin seine Gedanken wiederfindet, eben
so lange sind die ursprünglichen Grundlagen vorhanden,
worauf in der frühen Kindheit die Ichheit erbauet wurde.

Und dass hieran die erste beste Phantasie sich vest
hänge, -- mit allen den Fäden, welche aus ihr im Ver-
lauf der Zeit können gesponnen werden, -- dies darf
nach der bekannten Entstehungsart aller Complexionen
kein Wunder nehmen.

Wenn aber die äussern Umstände, z. B. das Irren-
haus mit allem seinen Elende, den Wahnsinnigen, der
sich König glaubt, nicht von der Täuschung heilt, so ist
das die natürliche Folge von der Unfähigkeit des Kran-
ken, seine Gedanken in ihrem ganzen Zusammenhange
zu entwickeln, und hiedurch das Widersprechende wahr-
zunehmen, was sich aus ihnen ergiebt. Dies ist gerade
wie im Traume. Ich erinnere mich eines sehr lebhaften
Traums, der mich in ein offenes Grab hinabsehen liess.
Aber wo war dieses Grab? Nicht auf ebener Erde, son-
dern auf dem obersten Boden eines Hauses. Jeder Wa-
chende weiss, dass man in die Bretter nicht graben kann;
die beyden hier aufgeregten Vorstellungen würden, gehörig
verfolgt, einander aufgehoben haben. Kann nun die
physiologische Hemmung die allernächsten räumlichen
Associationen so gänzlich abschneiden: wieviel mehr Mühe
würde der Wahnsinnige haben, aus dem Betragen der
Umgebung zu lernen, er sey nicht König!

Es scheint demnach, dass die Geistesverrückung in An-
sehung des Selbstbewusstseyns keine besondre Schwierigkeit
habe, und dass aus den Untersuchungen über das Ich, als
über das Product, nicht eines reinen intellectuellen See-
lenvermögens, sondern vieler einzelnen, auf bestimmte

II. K k

pliciren, das heiſst, je ungestörter sie mit einander eine
Zeitlang haben im Bewuſstseyn verweilen können.

Daſs es in einem solchen Zustande nicht an der
Ichheit überhaupt fehlen werde, leuchtet unmittelbar ein.
So lange noch der Mensch seine Glieder kennt und will-
kührlich bewegt, so lange er sein Sprechen vernimmt,
versteht, und darin seine Gedanken wiederfindet, eben
so lange sind die ursprünglichen Grundlagen vorhanden,
worauf in der frühen Kindheit die Ichheit erbauet wurde.

Und daſs hieran die erste beste Phantasie sich vest
hänge, — mit allen den Fäden, welche aus ihr im Ver-
lauf der Zeit können gesponnen werden, — dies darf
nach der bekannten Entstehungsart aller Complexionen
kein Wunder nehmen.

Wenn aber die äuſsern Umstände, z. B. das Irren-
haus mit allem seinen Elende, den Wahnsinnigen, der
sich König glaubt, nicht von der Täuschung heilt, so ist
das die natürliche Folge von der Unfähigkeit des Kran-
ken, seine Gedanken in ihrem ganzen Zusammenhange
zu entwickeln, und hiedurch das Widersprechende wahr-
zunehmen, was sich aus ihnen ergiebt. Dies ist gerade
wie im Traume. Ich erinnere mich eines sehr lebhaften
Traums, der mich in ein offenes Grab hinabsehen lieſs.
Aber wo war dieses Grab? Nicht auf ebener Erde, son-
dern auf dem obersten Boden eines Hauses. Jeder Wa-
chende weiſs, daſs man in die Bretter nicht graben kann;
die beyden hier aufgeregten Vorstellungen würden, gehörig
verfolgt, einander aufgehoben haben. Kann nun die
physiologische Hemmung die allernächsten räumlichen
Associationen so gänzlich abschneiden: wieviel mehr Mühe
würde der Wahnsinnige haben, aus dem Betragen der
Umgebung zu lernen, er sey nicht König!

Es scheint demnach, daſs die Geistesverrückung in An-
sehung des Selbstbewuſstseyns keine besondre Schwierigkeit
habe, und daſs aus den Untersuchungen über das Ich, als
über das Product, nicht eines reinen intellectuellen See-
lenvermögens, sondern vieler einzelnen, auf bestimmte

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[513/0548] pliciren, das heiſst, je ungestörter sie mit einander eine Zeitlang haben im Bewuſstseyn verweilen können. Daſs es in einem solchen Zustande nicht an der Ichheit überhaupt fehlen werde, leuchtet unmittelbar ein. So lange noch der Mensch seine Glieder kennt und will- kührlich bewegt, so lange er sein Sprechen vernimmt, versteht, und darin seine Gedanken wiederfindet, eben so lange sind die ursprünglichen Grundlagen vorhanden, worauf in der frühen Kindheit die Ichheit erbauet wurde. Und daſs hieran die erste beste Phantasie sich vest hänge, — mit allen den Fäden, welche aus ihr im Ver- lauf der Zeit können gesponnen werden, — dies darf nach der bekannten Entstehungsart aller Complexionen kein Wunder nehmen. Wenn aber die äuſsern Umstände, z. B. das Irren- haus mit allem seinen Elende, den Wahnsinnigen, der sich König glaubt, nicht von der Täuschung heilt, so ist das die natürliche Folge von der Unfähigkeit des Kran- ken, seine Gedanken in ihrem ganzen Zusammenhange zu entwickeln, und hiedurch das Widersprechende wahr- zunehmen, was sich aus ihnen ergiebt. Dies ist gerade wie im Traume. Ich erinnere mich eines sehr lebhaften Traums, der mich in ein offenes Grab hinabsehen lieſs. Aber wo war dieses Grab? Nicht auf ebener Erde, son- dern auf dem obersten Boden eines Hauses. Jeder Wa- chende weiſs, daſs man in die Bretter nicht graben kann; die beyden hier aufgeregten Vorstellungen würden, gehörig verfolgt, einander aufgehoben haben. Kann nun die physiologische Hemmung die allernächsten räumlichen Associationen so gänzlich abschneiden: wieviel mehr Mühe würde der Wahnsinnige haben, aus dem Betragen der Umgebung zu lernen, er sey nicht König! Es scheint demnach, daſs die Geistesverrückung in An- sehung des Selbstbewuſstseyns keine besondre Schwierigkeit habe, und daſs aus den Untersuchungen über das Ich, als über das Product, nicht eines reinen intellectuellen See- lenvermögens, sondern vieler einzelnen, auf bestimmte II. K k

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 513. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/548>, abgerufen am 25.11.2024.