Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

nen begegnen könne. Ich nehme die Freyheit, als Bey-
spiel eine Stelle aus einem sehr schätzbaren Werke zu
benutzen, mit der Bitte, daran weiter keine üble Neben-
bedeutung zu knüpfen. In Herrn Autenrieth's Phy-
siologie *) steht folgendes zur Widerlegung des Idealis-
mus: "Wer in Gedanken den Kopf heftig gegen eine
"Thüre rennt, wird sich plötzlich überzeugt fühlen, dass
"das Nicht-Ich schon anderwärts müsse gesetzt seyn,
"und dass das Setzen oder Nicht-Setzen des Nicht-Ichs
"durch das Ich eines Philosophen zum Daseyn oder
"Nicht-Daseyn der Dinge ausser uns auf der Welt nichts
"beytrage." Abgesehen von dem hier durchblickenden
Misverstande, als ob von einem willkührlich vorzuneh-
menden oder zu unterlassenden Setzen hiebey die Rede
seyn könnte: hat Hr. A. vergessen, dass der Idealist sich
bey einiger Besinnung sehr bald sagen würde, die Thüre,
und der Kopf, und der Schmerz, seyen, was sie für ihn
ohne allen Zweifel sind, seine Vorstellungen; indem
der Idealist gewohnt ist, überall das Ich denke beyzu-
fügen, während wir andern freylich, im gemeinen Leben
wenigstens, unsre Vorstellungen wie wirkliche Dinge zu
betrachten und zu behandeln, und z. B. eine Thüre tau-
sendmal zu öffnen und zu schliessen pflegen, ohne uns
zu erinnern, wie unmöglich es ist, dass wir das Ding an
sich, welches hinter dieser Erscheinung stecken mag, je-
mals sehen oder fühlen könnten. Wenn aber es so
grosse Schwierigkeit hat, dass Jemand selbst in dem Au-
genblicke, wo er gegen die Idealisten disputirt, zu den-
jenigen höhern Reflexionen aufsteige, die man denselben
durchaus nicht verweigern kann: warum soll es denn ei-
nem armen Träumenden nicht erlaubt seyn, auch einmal
eine Apperception, die jedem Wachenden natürlich ist,
auszulassen?

Wer dagegen in idealistischen Betrachtungen sich
übt: der bildet in sich eine appercipirende Vorstellungs-
masse, worin das Ich die Hauptperson ist, und die nun,

*) Theil III, S. 88.

nen begegnen könne. Ich nehme die Freyheit, als Bey-
spiel eine Stelle aus einem sehr schätzbaren Werke zu
benutzen, mit der Bitte, daran weiter keine üble Neben-
bedeutung zu knüpfen. In Herrn Autenrieth’s Phy-
siologie *) steht folgendes zur Widerlegung des Idealis-
mus: „Wer in Gedanken den Kopf heftig gegen eine
„Thüre rennt, wird sich plötzlich überzeugt fühlen, daſs
„das Nicht-Ich schon anderwärts müsse gesetzt seyn,
„und daſs das Setzen oder Nicht-Setzen des Nicht-Ichs
„durch das Ich eines Philosophen zum Daseyn oder
„Nicht-Daseyn der Dinge auſser uns auf der Welt nichts
„beytrage.” Abgesehen von dem hier durchblickenden
Misverstande, als ob von einem willkührlich vorzuneh-
menden oder zu unterlassenden Setzen hiebey die Rede
seyn könnte: hat Hr. A. vergessen, daſs der Idealist sich
bey einiger Besinnung sehr bald sagen würde, die Thüre,
und der Kopf, und der Schmerz, seyen, was sie für ihn
ohne allen Zweifel sind, seine Vorstellungen; indem
der Idealist gewohnt ist, überall das Ich denke beyzu-
fügen, während wir andern freylich, im gemeinen Leben
wenigstens, unsre Vorstellungen wie wirkliche Dinge zu
betrachten und zu behandeln, und z. B. eine Thüre tau-
sendmal zu öffnen und zu schlieſsen pflegen, ohne uns
zu erinnern, wie unmöglich es ist, daſs wir das Ding an
sich, welches hinter dieser Erscheinung stecken mag, je-
mals sehen oder fühlen könnten. Wenn aber es so
groſse Schwierigkeit hat, daſs Jemand selbst in dem Au-
genblicke, wo er gegen die Idealisten disputirt, zu den-
jenigen höhern Reflexionen aufsteige, die man denselben
durchaus nicht verweigern kann: warum soll es denn ei-
nem armen Träumenden nicht erlaubt seyn, auch einmal
eine Apperception, die jedem Wachenden natürlich ist,
auszulassen?

Wer dagegen in idealistischen Betrachtungen sich
übt: der bildet in sich eine appercipirende Vorstellungs-
masse, worin das Ich die Hauptperson ist, und die nun,

*) Theil III, S. 88.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0536" n="501"/>
nen begegnen könne. Ich nehme die Freyheit, als Bey-<lb/>
spiel eine Stelle aus einem sehr schätzbaren Werke zu<lb/>
benutzen, mit der Bitte, daran weiter keine üble Neben-<lb/>
bedeutung zu knüpfen. In Herrn <hi rendition="#g">Autenrieth&#x2019;s</hi> Phy-<lb/>
siologie <note place="foot" n="*)">Theil III, S. 88.</note> steht folgendes zur Widerlegung des Idealis-<lb/>
mus: &#x201E;Wer in Gedanken den Kopf heftig gegen eine<lb/>
&#x201E;Thüre rennt, wird sich plötzlich überzeugt fühlen, da&#x017F;s<lb/>
&#x201E;das Nicht-Ich schon anderwärts müsse gesetzt seyn,<lb/>
&#x201E;und da&#x017F;s das Setzen oder Nicht-Setzen des Nicht-Ichs<lb/>
&#x201E;durch das Ich eines Philosophen zum Daseyn oder<lb/>
&#x201E;Nicht-Daseyn der Dinge au&#x017F;ser uns auf der Welt nichts<lb/>
&#x201E;beytrage.&#x201D; Abgesehen von dem hier durchblickenden<lb/>
Misverstande, als ob von einem <hi rendition="#g">willkührlich</hi> vorzuneh-<lb/>
menden oder zu unterlassenden Setzen hiebey die Rede<lb/>
seyn könnte: hat Hr. A. vergessen, da&#x017F;s der Idealist sich<lb/>
bey einiger Besinnung sehr bald sagen würde, die Thüre,<lb/>
und der Kopf, und der Schmerz, seyen, was sie für ihn<lb/>
ohne allen Zweifel sind, <hi rendition="#g">seine</hi> Vorstellungen; indem<lb/>
der Idealist gewohnt ist, überall das <hi rendition="#g">Ich denke</hi> beyzu-<lb/>
fügen, während wir andern freylich, im gemeinen Leben<lb/>
wenigstens, unsre Vorstellungen wie wirkliche Dinge zu<lb/>
betrachten und zu behandeln, und z. B. eine Thüre tau-<lb/>
sendmal zu öffnen und zu schlie&#x017F;sen pflegen, ohne uns<lb/>
zu erinnern, wie unmöglich es ist, da&#x017F;s wir das Ding an<lb/>
sich, welches hinter dieser Erscheinung stecken mag, je-<lb/>
mals sehen oder fühlen könnten. Wenn aber es so<lb/>
gro&#x017F;se Schwierigkeit hat, da&#x017F;s Jemand selbst in dem Au-<lb/>
genblicke, wo er gegen die Idealisten disputirt, zu den-<lb/>
jenigen höhern Reflexionen aufsteige, die man denselben<lb/>
durchaus nicht verweigern kann: warum soll es denn ei-<lb/>
nem armen Träumenden nicht erlaubt seyn, auch einmal<lb/>
eine Apperception, die jedem Wachenden natürlich ist,<lb/>
auszulassen?</p><lb/>
              <p>Wer dagegen in idealistischen Betrachtungen sich<lb/>
übt: der bildet in sich eine appercipirende Vorstellungs-<lb/>
masse, worin das Ich die Hauptperson ist, und die nun,<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[501/0536] nen begegnen könne. Ich nehme die Freyheit, als Bey- spiel eine Stelle aus einem sehr schätzbaren Werke zu benutzen, mit der Bitte, daran weiter keine üble Neben- bedeutung zu knüpfen. In Herrn Autenrieth’s Phy- siologie *) steht folgendes zur Widerlegung des Idealis- mus: „Wer in Gedanken den Kopf heftig gegen eine „Thüre rennt, wird sich plötzlich überzeugt fühlen, daſs „das Nicht-Ich schon anderwärts müsse gesetzt seyn, „und daſs das Setzen oder Nicht-Setzen des Nicht-Ichs „durch das Ich eines Philosophen zum Daseyn oder „Nicht-Daseyn der Dinge auſser uns auf der Welt nichts „beytrage.” Abgesehen von dem hier durchblickenden Misverstande, als ob von einem willkührlich vorzuneh- menden oder zu unterlassenden Setzen hiebey die Rede seyn könnte: hat Hr. A. vergessen, daſs der Idealist sich bey einiger Besinnung sehr bald sagen würde, die Thüre, und der Kopf, und der Schmerz, seyen, was sie für ihn ohne allen Zweifel sind, seine Vorstellungen; indem der Idealist gewohnt ist, überall das Ich denke beyzu- fügen, während wir andern freylich, im gemeinen Leben wenigstens, unsre Vorstellungen wie wirkliche Dinge zu betrachten und zu behandeln, und z. B. eine Thüre tau- sendmal zu öffnen und zu schlieſsen pflegen, ohne uns zu erinnern, wie unmöglich es ist, daſs wir das Ding an sich, welches hinter dieser Erscheinung stecken mag, je- mals sehen oder fühlen könnten. Wenn aber es so groſse Schwierigkeit hat, daſs Jemand selbst in dem Au- genblicke, wo er gegen die Idealisten disputirt, zu den- jenigen höhern Reflexionen aufsteige, die man denselben durchaus nicht verweigern kann: warum soll es denn ei- nem armen Träumenden nicht erlaubt seyn, auch einmal eine Apperception, die jedem Wachenden natürlich ist, auszulassen? Wer dagegen in idealistischen Betrachtungen sich übt: der bildet in sich eine appercipirende Vorstellungs- masse, worin das Ich die Hauptperson ist, und die nun, *) Theil III, S. 88.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/536
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/536>, abgerufen am 21.11.2024.