Ferner, wenn sich die Seele auf einmal in ihren wa- chenden Zustand zurückversetzen sollte, so müssten so- gleich alle Reproductionsgesetze, vermöge deren die Vor- stellungen unter einander zusammenhängen, -- und un- ter ihnen auch namentlich diejenigen, auf denen das räumliche und zeitliche Vorstellen beruht, (§. 111--116.) sich in voller Wirksamkeit äussern. Aber wir wissen, dass die Kraft der Verschmelzungs- und Complications- Hülfen weit schwächer ist, als die der helfenden Vorstel- lungen selbst; und wir kennen im Allgemeinen die Folge davon, nämlich dass die Wirkung einer solchen Hülfe im Anfange nicht nur geringer, sondern auch viel langsa- mer ist, als das Hervortreten der Vorstellungen selbst. Nun ist zu bedenken, wie sehr die nämliche Wirkung wird verzögert werden, wenn sie ihr physiologische Hin- dernisse entgegenstellen; und wie leicht unterdessen andre Vorstellungen die Oberhand gewinnen können, wodurch jene vollends zurückgehalten wird. Darin muss die Er- klärung gesucht werden, warum vor dem Erwachen die verschiedenen sich wieder erhebenden Vorstellungen an- fangs so wirken, als ob sie aus ihren Verknüpfungen grossentheils herausgetreten wären. Hiemit hängt der be- kannte und so sehr auffallende Umstand zusammen, dass der Traum sich an Ort und Zeit nicht kehrt, dass er aus den verschiedensten Gegenden Menschen und Sa- chen zusammenführt, die nimmer zusammen seyn konn- ten, dass er das Widersinnigste zugleich umfasst, indem er gerade diejenigen, im Wachen sich augenblicklich aufdringenden, Umstände weglässt, worin die Ungereimt- heit liegt.
Aber wie heterogene, und selbst einander aufhebende Dinge der Traum auch zusammenknüpft: eine gewisse Art von Einheit besitzt er dennoch, und zwar gerade eine solche, die, aus begreiflichen Ursachen, den wachenden Zuständen äusserst häufig mangelt. Denn während wir den Eindrücken der Aussenwelt Preis gegeben sind, mischt der Zufall uns das Traurige in die Freude, und das
Gleich-
Ferner, wenn sich die Seele auf einmal in ihren wa- chenden Zustand zurückversetzen sollte, so müſsten so- gleich alle Reproductionsgesetze, vermöge deren die Vor- stellungen unter einander zusammenhängen, — und un- ter ihnen auch namentlich diejenigen, auf denen das räumliche und zeitliche Vorstellen beruht, (§. 111—116.) sich in voller Wirksamkeit äuſsern. Aber wir wissen, daſs die Kraft der Verschmelzungs- und Complications- Hülfen weit schwächer ist, als die der helfenden Vorstel- lungen selbst; und wir kennen im Allgemeinen die Folge davon, nämlich daſs die Wirkung einer solchen Hülfe im Anfange nicht nur geringer, sondern auch viel langsa- mer ist, als das Hervortreten der Vorstellungen selbst. Nun ist zu bedenken, wie sehr die nämliche Wirkung wird verzögert werden, wenn sie ihr physiologische Hin- dernisse entgegenstellen; und wie leicht unterdessen andre Vorstellungen die Oberhand gewinnen können, wodurch jene vollends zurückgehalten wird. Darin muſs die Er- klärung gesucht werden, warum vor dem Erwachen die verschiedenen sich wieder erhebenden Vorstellungen an- fangs so wirken, als ob sie aus ihren Verknüpfungen groſsentheils herausgetreten wären. Hiemit hängt der be- kannte und so sehr auffallende Umstand zusammen, daſs der Traum sich an Ort und Zeit nicht kehrt, daſs er aus den verschiedensten Gegenden Menschen und Sa- chen zusammenführt, die nimmer zusammen seyn konn- ten, daſs er das Widersinnigste zugleich umfaſst, indem er gerade diejenigen, im Wachen sich augenblicklich aufdringenden, Umstände wegläſst, worin die Ungereimt- heit liegt.
Aber wie heterogene, und selbst einander aufhebende Dinge der Traum auch zusammenknüpft: eine gewisse Art von Einheit besitzt er dennoch, und zwar gerade eine solche, die, aus begreiflichen Ursachen, den wachenden Zuständen äuſserst häufig mangelt. Denn während wir den Eindrücken der Auſsenwelt Preis gegeben sind, mischt der Zufall uns das Traurige in die Freude, und das
Gleich-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0531"n="496"/><p>Ferner, wenn sich die Seele auf einmal in ihren wa-<lb/>
chenden Zustand zurückversetzen sollte, so müſsten so-<lb/>
gleich alle Reproductionsgesetze, vermöge deren die Vor-<lb/>
stellungen unter einander zusammenhängen, — und un-<lb/>
ter ihnen auch namentlich diejenigen, auf denen das<lb/>
räumliche und zeitliche Vorstellen beruht, (§. 111—116.)<lb/>
sich in voller Wirksamkeit äuſsern. Aber wir wissen,<lb/>
daſs die Kraft der Verschmelzungs- und Complications-<lb/>
Hülfen weit schwächer ist, als die der helfenden Vorstel-<lb/>
lungen selbst; und wir kennen im Allgemeinen die Folge<lb/>
davon, nämlich daſs die Wirkung einer solchen Hülfe<lb/>
im Anfange nicht nur geringer, sondern auch viel langsa-<lb/>
mer ist, als das Hervortreten der Vorstellungen selbst.<lb/>
Nun ist zu bedenken, wie sehr die nämliche Wirkung<lb/>
wird verzögert werden, wenn sie ihr physiologische Hin-<lb/>
dernisse entgegenstellen; und wie leicht unterdessen andre<lb/>
Vorstellungen die Oberhand gewinnen können, wodurch<lb/>
jene vollends zurückgehalten wird. Darin muſs die Er-<lb/>
klärung gesucht werden, warum vor dem Erwachen die<lb/>
verschiedenen sich wieder erhebenden Vorstellungen an-<lb/>
fangs so wirken, als ob sie aus ihren Verknüpfungen<lb/>
groſsentheils herausgetreten wären. Hiemit hängt der be-<lb/>
kannte und so sehr auffallende Umstand zusammen, daſs<lb/>
der Traum sich an Ort und Zeit nicht kehrt, daſs er<lb/>
aus den verschiedensten Gegenden Menschen und Sa-<lb/>
chen zusammenführt, die nimmer zusammen seyn konn-<lb/>
ten, daſs er das Widersinnigste zugleich umfaſst, indem<lb/>
er gerade diejenigen, im Wachen sich augenblicklich<lb/>
aufdringenden, Umstände wegläſst, worin die Ungereimt-<lb/>
heit liegt.</p><lb/><p>Aber wie heterogene, und selbst einander aufhebende<lb/>
Dinge der Traum auch zusammenknüpft: eine gewisse<lb/>
Art von Einheit besitzt er dennoch, und zwar gerade eine<lb/>
solche, die, aus begreiflichen Ursachen, den wachenden<lb/>
Zuständen äuſserst häufig mangelt. Denn während wir<lb/>
den Eindrücken der Auſsenwelt Preis gegeben sind, mischt<lb/>
der Zufall uns das Traurige in die Freude, und das<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Gleich-</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[496/0531]
Ferner, wenn sich die Seele auf einmal in ihren wa-
chenden Zustand zurückversetzen sollte, so müſsten so-
gleich alle Reproductionsgesetze, vermöge deren die Vor-
stellungen unter einander zusammenhängen, — und un-
ter ihnen auch namentlich diejenigen, auf denen das
räumliche und zeitliche Vorstellen beruht, (§. 111—116.)
sich in voller Wirksamkeit äuſsern. Aber wir wissen,
daſs die Kraft der Verschmelzungs- und Complications-
Hülfen weit schwächer ist, als die der helfenden Vorstel-
lungen selbst; und wir kennen im Allgemeinen die Folge
davon, nämlich daſs die Wirkung einer solchen Hülfe
im Anfange nicht nur geringer, sondern auch viel langsa-
mer ist, als das Hervortreten der Vorstellungen selbst.
Nun ist zu bedenken, wie sehr die nämliche Wirkung
wird verzögert werden, wenn sie ihr physiologische Hin-
dernisse entgegenstellen; und wie leicht unterdessen andre
Vorstellungen die Oberhand gewinnen können, wodurch
jene vollends zurückgehalten wird. Darin muſs die Er-
klärung gesucht werden, warum vor dem Erwachen die
verschiedenen sich wieder erhebenden Vorstellungen an-
fangs so wirken, als ob sie aus ihren Verknüpfungen
groſsentheils herausgetreten wären. Hiemit hängt der be-
kannte und so sehr auffallende Umstand zusammen, daſs
der Traum sich an Ort und Zeit nicht kehrt, daſs er
aus den verschiedensten Gegenden Menschen und Sa-
chen zusammenführt, die nimmer zusammen seyn konn-
ten, daſs er das Widersinnigste zugleich umfaſst, indem
er gerade diejenigen, im Wachen sich augenblicklich
aufdringenden, Umstände wegläſst, worin die Ungereimt-
heit liegt.
Aber wie heterogene, und selbst einander aufhebende
Dinge der Traum auch zusammenknüpft: eine gewisse
Art von Einheit besitzt er dennoch, und zwar gerade eine
solche, die, aus begreiflichen Ursachen, den wachenden
Zuständen äuſserst häufig mangelt. Denn während wir
den Eindrücken der Auſsenwelt Preis gegeben sind, mischt
der Zufall uns das Traurige in die Freude, und das
Gleich-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/531>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.