das Wachen unmöglich seyn. Indem aber wider diese anwachsenden Kräfte die Vorstellungen noch eine Zeit- lang sich stemmen, ergiebt sich hieraus das oben er- wähnte Gefühl der Ermüdung, welches eben in der An- strengung wider die Hemmung seinen Sitz hat. (Vergl. §. 104.) Die emportreibenden Kräfte, welche das Active der Anstrengung ausmachen, liegen hauptsächlich in den herrschenden Vorstellungsmassen (§. 148.)
Doch die Phänomene des Einschlafens sind bey wei- tem die einfacheren. Wenn einmal unter den physiolo- gischen Einflüssen die Vorstellungen erliegen müssen: so sinken sie schnell zur Schwelle; wie sich schon aus §. 75. erkennen lässt. Hier ist also nicht Zeit zu besondern Erscheinungen, um so weniger, da die herrschenden Vor- stellungsmassen, die während des Wachens unter den übrigen Ordnung halten, ihrer vorzüglichen Stärke wegen auch die letzten seyn werden, welche aufhören zu wachen und zu wirken.
Aber was wird geschehn, wenn nun die Hemmung durch die physiologischen Kräfte wieder anfängt nachzu- lassen? Hier müssen wir uns zuvörderst an die Unter- suchungen des §. 81. und 82. wenden. Dort haben wir gesehn, dass sich das beginnende Wieder-Erwachen ge- hemmter Vorstellungen nicht nach ihrer Stärke, sondern nach dem Grade der ihnen gegebenen Freyheit richtet*). Demnach haben in diesem Puncte die herrschenden Vor- stellungsmassen keinen Vorzug vor den schwächern Vor- stellungen. Vielmehr kommt hier zuerst die Frage in Betracht, ob allen verschiedenen Parthien des vorhande- nen Vorstellungskreises die gleiche Freyheit, sich ins Be- wusstseyn aufzurichten, wird gegeben werden? Die ge- ringsten Ungleichheiten hierin können jetzo bedeutend
*) Nämlich wenn die Hemmung durch neu eintretende Kräfte aufgewogen wird, die im gegenwärtigen Falle ebenfalls physiologisch seyn müssen, und von der im Schlafe restaurirten Lebensthätigkeit her- rühren können.
das Wachen unmöglich seyn. Indem aber wider diese anwachsenden Kräfte die Vorstellungen noch eine Zeit- lang sich stemmen, ergiebt sich hieraus das oben er- wähnte Gefühl der Ermüdung, welches eben in der An- strengung wider die Hemmung seinen Sitz hat. (Vergl. §. 104.) Die emportreibenden Kräfte, welche das Active der Anstrengung ausmachen, liegen hauptsächlich in den herrschenden Vorstellungsmassen (§. 148.)
Doch die Phänomene des Einschlafens sind bey wei- tem die einfacheren. Wenn einmal unter den physiolo- gischen Einflüssen die Vorstellungen erliegen müssen: so sinken sie schnell zur Schwelle; wie sich schon aus §. 75. erkennen läſst. Hier ist also nicht Zeit zu besondern Erscheinungen, um so weniger, da die herrschenden Vor- stellungsmassen, die während des Wachens unter den übrigen Ordnung halten, ihrer vorzüglichen Stärke wegen auch die letzten seyn werden, welche aufhören zu wachen und zu wirken.
Aber was wird geschehn, wenn nun die Hemmung durch die physiologischen Kräfte wieder anfängt nachzu- lassen? Hier müssen wir uns zuvörderst an die Unter- suchungen des §. 81. und 82. wenden. Dort haben wir gesehn, daſs sich das beginnende Wieder-Erwachen ge- hemmter Vorstellungen nicht nach ihrer Stärke, sondern nach dem Grade der ihnen gegebenen Freyheit richtet*). Demnach haben in diesem Puncte die herrschenden Vor- stellungsmassen keinen Vorzug vor den schwächern Vor- stellungen. Vielmehr kommt hier zuerst die Frage in Betracht, ob allen verschiedenen Parthien des vorhande- nen Vorstellungskreises die gleiche Freyheit, sich ins Be- wuſstseyn aufzurichten, wird gegeben werden? Die ge- ringsten Ungleichheiten hierin können jetzo bedeutend
*) Nämlich wenn die Hemmung durch neu eintretende Kräfte aufgewogen wird, die im gegenwärtigen Falle ebenfalls physiologisch seyn müssen, und von der im Schlafe restaurirten Lebensthätigkeit her- rühren können.
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das Wachen unmöglich seyn. Indem aber wider diese
anwachsenden Kräfte die Vorstellungen noch eine Zeit-
lang sich stemmen, ergiebt sich hieraus das oben er-
wähnte Gefühl der Ermüdung, welches eben in der An-
strengung wider die Hemmung seinen Sitz hat. (Vergl.
§. 104.) Die emportreibenden Kräfte, welche das Active
der Anstrengung ausmachen, liegen hauptsächlich in den
herrschenden Vorstellungsmassen (§. 148.)
Doch die Phänomene des Einschlafens sind bey wei-
tem die einfacheren. Wenn einmal unter den physiolo-
gischen Einflüssen die Vorstellungen erliegen müssen: so
sinken sie schnell zur Schwelle; wie sich schon aus §. 75.
erkennen läſst. Hier ist also nicht Zeit zu besondern
Erscheinungen, um so weniger, da die herrschenden Vor-
stellungsmassen, die während des Wachens unter den
übrigen Ordnung halten, ihrer vorzüglichen Stärke wegen
auch die letzten seyn werden, welche aufhören zu wachen
und zu wirken.
Aber was wird geschehn, wenn nun die Hemmung
durch die physiologischen Kräfte wieder anfängt nachzu-
lassen? Hier müssen wir uns zuvörderst an die Unter-
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gesehn, daſs sich das beginnende Wieder-Erwachen ge-
hemmter Vorstellungen nicht nach ihrer Stärke, sondern
nach dem Grade der ihnen gegebenen Freyheit richtet *).
Demnach haben in diesem Puncte die herrschenden Vor-
stellungsmassen keinen Vorzug vor den schwächern Vor-
stellungen. Vielmehr kommt hier zuerst die Frage in
Betracht, ob allen verschiedenen Parthien des vorhande-
nen Vorstellungskreises die gleiche Freyheit, sich ins Be-
wuſstseyn aufzurichten, wird gegeben werden? Die ge-
ringsten Ungleichheiten hierin können jetzo bedeutend
*) Nämlich wenn die Hemmung durch neu eintretende Kräfte
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seyn müssen, und von der im Schlafe restaurirten Lebensthätigkeit her-
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/529>, abgerufen am 22.11.2024.
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