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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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vitale Action setzt innere Reizbarkeit, innere Bil-
dung eines Wesens voraus. (§. 152.) Diese Bildung
erlangt aber dasselbe nur durch seine allmählige Assimi-
lation in einem organischen Körper, das heisst, durch
ein ganzes System von Selbsterhaltungen, zu denen es
vermöge seines Aufenthalts in dem Organismus stufen-
weise gebracht wird. Es besteht nun die Reizung
bloss darin, dass durch eine einzige neue Stö-
rung, und derselben entsprechende Selbster-
haltung, sogleich eine Menge früher erzeugter
Selbsterhaltungen in erneuerte Wirksamkeit
gesetzt werden
; -- wovon die Wiedererweckung der
älteren Vorstellungen in der Seele durch eine neu hin-
zukommende, und schon der Widerstreit älterer entge-
genstehender Vorstellungen wider die neue, nichts als
specielle Fälle sind. Es kann ferner die Reizung in ihren
nähern Bestimmungen bey einem und demselbem orga-
nischen Elemente eben so höchst verschieden seyn, wie
die mancherley Reizungen, deren eine und dieselbe mensch-
liche Seele fähig ist. -- Vergleichen wir jetzt die vitale
Action mit der chemischen: worin liegt der Unterschied?
Jene ist zusammengesetzt, diese ist einfach. Jene ist erst
möglich nachdem eine Menge von Selbsterhaltungen des
nämlichen Wesens vorangingen; diese bedarf keiner sol-
chen Vorbereitung. Und nicht bloss eine Menge, son-
dern ein geordnetes System von Selbsterhaltungen,
wie es jedesmal die Eigenthümlichkeit desjenigen Orga-
nismus ergab, der sich das reizbar gewordene Element
assimilirte: das ist der Grund, warum die Vitalität den
Chemismus übertrifft.

Kann denn nun ein Element, das schon zur organi-
schen Reizbarkeit gebildet wurde, -- kann es noch auf
bloss chemische Weise wirken? -- Ungefähr so, wie
ein gebildeter menschlicher Geist dahin gebracht werden
mag, sich auf thierisch rohe Weise zu äussern. Man
muss erst die Bildung in ihm unkräftig machen, durch
neue, gewaltsame Eindrücke; man muss ihn aus dem

vitale Action setzt innere Reizbarkeit, innere Bil-
dung eines Wesens voraus. (§. 152.) Diese Bildung
erlangt aber dasselbe nur durch seine allmählige Assimi-
lation in einem organischen Körper, das heiſst, durch
ein ganzes System von Selbsterhaltungen, zu denen es
vermöge seines Aufenthalts in dem Organismus stufen-
weise gebracht wird. Es besteht nun die Reizung
bloſs darin, daſs durch eine einzige neue Stö-
rung, und derselben entsprechende Selbster-
haltung, sogleich eine Menge früher erzeugter
Selbsterhaltungen in erneuerte Wirksamkeit
gesetzt werden
; — wovon die Wiedererweckung der
älteren Vorstellungen in der Seele durch eine neu hin-
zukommende, und schon der Widerstreit älterer entge-
genstehender Vorstellungen wider die neue, nichts als
specielle Fälle sind. Es kann ferner die Reizung in ihren
nähern Bestimmungen bey einem und demselbem orga-
nischen Elemente eben so höchst verschieden seyn, wie
die mancherley Reizungen, deren eine und dieselbe mensch-
liche Seele fähig ist. — Vergleichen wir jetzt die vitale
Action mit der chemischen: worin liegt der Unterschied?
Jene ist zusammengesetzt, diese ist einfach. Jene ist erst
möglich nachdem eine Menge von Selbsterhaltungen des
nämlichen Wesens vorangingen; diese bedarf keiner sol-
chen Vorbereitung. Und nicht bloſs eine Menge, son-
dern ein geordnetes System von Selbsterhaltungen,
wie es jedesmal die Eigenthümlichkeit desjenigen Orga-
nismus ergab, der sich das reizbar gewordene Element
assimilirte: das ist der Grund, warum die Vitalität den
Chemismus übertrifft.

Kann denn nun ein Element, das schon zur organi-
schen Reizbarkeit gebildet wurde, — kann es noch auf
bloſs chemische Weise wirken? — Ungefähr so, wie
ein gebildeter menschlicher Geist dahin gebracht werden
mag, sich auf thierisch rohe Weise zu äuſsern. Man
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[469/0504] vitale Action setzt innere Reizbarkeit, innere Bil- dung eines Wesens voraus. (§. 152.) Diese Bildung erlangt aber dasselbe nur durch seine allmählige Assimi- lation in einem organischen Körper, das heiſst, durch ein ganzes System von Selbsterhaltungen, zu denen es vermöge seines Aufenthalts in dem Organismus stufen- weise gebracht wird. Es besteht nun die Reizung bloſs darin, daſs durch eine einzige neue Stö- rung, und derselben entsprechende Selbster- haltung, sogleich eine Menge früher erzeugter Selbsterhaltungen in erneuerte Wirksamkeit gesetzt werden; — wovon die Wiedererweckung der älteren Vorstellungen in der Seele durch eine neu hin- zukommende, und schon der Widerstreit älterer entge- genstehender Vorstellungen wider die neue, nichts als specielle Fälle sind. Es kann ferner die Reizung in ihren nähern Bestimmungen bey einem und demselbem orga- nischen Elemente eben so höchst verschieden seyn, wie die mancherley Reizungen, deren eine und dieselbe mensch- liche Seele fähig ist. — Vergleichen wir jetzt die vitale Action mit der chemischen: worin liegt der Unterschied? Jene ist zusammengesetzt, diese ist einfach. Jene ist erst möglich nachdem eine Menge von Selbsterhaltungen des nämlichen Wesens vorangingen; diese bedarf keiner sol- chen Vorbereitung. Und nicht bloſs eine Menge, son- dern ein geordnetes System von Selbsterhaltungen, wie es jedesmal die Eigenthümlichkeit desjenigen Orga- nismus ergab, der sich das reizbar gewordene Element assimilirte: das ist der Grund, warum die Vitalität den Chemismus übertrifft. Kann denn nun ein Element, das schon zur organi- schen Reizbarkeit gebildet wurde, — kann es noch auf bloſs chemische Weise wirken? — Ungefähr so, wie ein gebildeter menschlicher Geist dahin gebracht werden mag, sich auf thierisch rohe Weise zu äuſsern. Man muſs erst die Bildung in ihm unkräftig machen, durch neue, gewaltsame Eindrücke; man muſs ihn aus dem

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/504>, abgerufen am 22.11.2024.