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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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bestimmenden Grund, nicht aufgehoben werden. Die
Freyheit kann nicht durch ihre eigne That aufhören,
frey zu seyn, wodurch sie sich selbst zerstören würde.
In jenen Möglichkeiten liegen nun zwey entgegengesetzte,
gleiche Werthe, und jedes Paar ist für sich gleich Null.

So weit ist Alles leicht, und sollte von jedem An-
fänger gefasst und behalten werden. Weit schwerer
wird die Sache, wenn man sie psychologisch entwickeln
will. Denn alsdann findet sich nicht Ein Wille, sondern
ein vielfältiges, gleichzeitiges, mehr oder minder bestimm-
tes, zum Theil widerstreitendes Wollen in den verschie-
denen zusammenwirkenden Vorstellungsmassen. Hier ist
ein unabsehliches Feld von möglichen Ereignissen; die
Zurechnung wird schwierig, weil sie nicht einfach ist,
sondern aus verschiedenen, zum Theil entgegengesetzten
Grössen einen Gesammtwerth bestimmen muss; der sich
aus den Handlungen und Aussagen eines Menschen nur
mit Wahrscheinlichkeit errathen lässt, indem dieselben
theils auf das Vorbedachte, theils auf augenblickliche
Reizung, theils auf Gewohnheit, theils auf dreiste Wa-
gestücke, theils auf dringende Bedürfnisse hinweiset.
Schlechte Gehülfen in solcher Verwickelung würden die-
jenigen Naturforscher seyn, die mit einer Gefälligkeit,
welche Kant weder erwartete noch wünschte, als Kämpfer
und Retter für die Freyheit mitten in der Naturlehre
auftreten!


bestimmenden Grund, nicht aufgehoben werden. Die
Freyheit kann nicht durch ihre eigne That aufhören,
frey zu seyn, wodurch sie sich selbst zerstören würde.
In jenen Möglichkeiten liegen nun zwey entgegengesetzte,
gleiche Werthe, und jedes Paar ist für sich gleich Null.

So weit ist Alles leicht, und sollte von jedem An-
fänger gefaſst und behalten werden. Weit schwerer
wird die Sache, wenn man sie psychologisch entwickeln
will. Denn alsdann findet sich nicht Ein Wille, sondern
ein vielfältiges, gleichzeitiges, mehr oder minder bestimm-
tes, zum Theil widerstreitendes Wollen in den verschie-
denen zusammenwirkenden Vorstellungsmassen. Hier ist
ein unabsehliches Feld von möglichen Ereignissen; die
Zurechnung wird schwierig, weil sie nicht einfach ist,
sondern aus verschiedenen, zum Theil entgegengesetzten
Gröſsen einen Gesammtwerth bestimmen muſs; der sich
aus den Handlungen und Aussagen eines Menschen nur
mit Wahrscheinlichkeit errathen läſst, indem dieselben
theils auf das Vorbedachte, theils auf augenblickliche
Reizung, theils auf Gewohnheit, theils auf dreiste Wa-
gestücke, theils auf dringende Bedürfnisse hinweiset.
Schlechte Gehülfen in solcher Verwickelung würden die-
jenigen Naturforscher seyn, die mit einer Gefälligkeit,
welche Kant weder erwartete noch wünschte, als Kämpfer
und Retter für die Freyheit mitten in der Naturlehre
auftreten!


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[452/0487] bestimmenden Grund, nicht aufgehoben werden. Die Freyheit kann nicht durch ihre eigne That aufhören, frey zu seyn, wodurch sie sich selbst zerstören würde. In jenen Möglichkeiten liegen nun zwey entgegengesetzte, gleiche Werthe, und jedes Paar ist für sich gleich Null. So weit ist Alles leicht, und sollte von jedem An- fänger gefaſst und behalten werden. Weit schwerer wird die Sache, wenn man sie psychologisch entwickeln will. Denn alsdann findet sich nicht Ein Wille, sondern ein vielfältiges, gleichzeitiges, mehr oder minder bestimm- tes, zum Theil widerstreitendes Wollen in den verschie- denen zusammenwirkenden Vorstellungsmassen. Hier ist ein unabsehliches Feld von möglichen Ereignissen; die Zurechnung wird schwierig, weil sie nicht einfach ist, sondern aus verschiedenen, zum Theil entgegengesetzten Gröſsen einen Gesammtwerth bestimmen muſs; der sich aus den Handlungen und Aussagen eines Menschen nur mit Wahrscheinlichkeit errathen läſst, indem dieselben theils auf das Vorbedachte, theils auf augenblickliche Reizung, theils auf Gewohnheit, theils auf dreiste Wa- gestücke, theils auf dringende Bedürfnisse hinweiset. Schlechte Gehülfen in solcher Verwickelung würden die- jenigen Naturforscher seyn, die mit einer Gefälligkeit, welche Kant weder erwartete noch wünschte, als Kämpfer und Retter für die Freyheit mitten in der Naturlehre auftreten!

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/487>, abgerufen am 22.11.2024.