lange sie da ist. Aber man soll auch nicht mit ihr die Ebbe verwechseln; oder gar diese ihr vorziehn.
Dahin aber neigt sich jene, schon von Fichten als das radicale Böse dargestellte, Trägheit der Menschen. Denn, abgesehen von den Lüsten und Bedürfnissen des Leibes, suchen sie meistens im Leben dasselbe, was ihnen eine unterhaltende Erzählung gewähren soll; sie wollen, dass ihnen die Zeit angenehm verfliesse. Dies schwächt Gutes und Schönes; denn es stört die Beurtheilung; es hebt die ästhetische Kritik auf, womit fortdauernd der Mensch sich selbst im Innern beleuchten muss, wenn er jene scharfe Richtigkeit seines Daseyns erlangen will, die man Moralität nennt.
Ist das ästhetische Urtheil schwach, und der Mensch übrigens stark: so wird er in der Regel böse. Hier ist nicht nöthig, vom Anwachsen herrschender Leidenschaf- ten das zu wiederhohlen, was die Dichter (z. B. Shakes- peare im Macbeth) so oft geschildert haben. Solche Phänomene zeigen nur ein unglückliches Misverhältniss in den entwickelten psychologischen Kräften; und von ihnen kann man bestimmt behaupten, dass es in der Ge- walt der Erziehung gestanden hätte, ihnen zuvorzukom- men. Sie sind übrigens unendlich mannigfaltig; denn jede Begierde kann Leidenschaft werden (§. 107.). Aber nicht alles Böse ist Schwäche. Es giebt auch ein posi- tives Böse, das sich nicht, mit Kant, auf blosse falsche Unterordnung der Maximen zurückführen lässt.
Vertraut mit meiner praktischen Philosophie (das muss ich überall, jedoch besonders hier, voraussetzen,) wird der Leser sich schon selbst den Begriff des Bösen in alle die Theile zerlegt haben, die durch blosse Gegenstellung ge- gen die zur Tugend gehörigen, in den praktischen Ideen ge- gründeten, Bestimmungen, entstehen können. Allein nicht alle diese Theile sind eben so psychologisch verschieden, wie sie in der ästhetischen Beurtheilung erscheinen. Denn sehr Vieles ist seinem natürlichen Ursprunge
lange sie da ist. Aber man soll auch nicht mit ihr die Ebbe verwechseln; oder gar diese ihr vorziehn.
Dahin aber neigt sich jene, schon von Fichten als das radicale Böse dargestellte, Trägheit der Menschen. Denn, abgesehen von den Lüsten und Bedürfnissen des Leibes, suchen sie meistens im Leben dasselbe, was ihnen eine unterhaltende Erzählung gewähren soll; sie wollen, daſs ihnen die Zeit angenehm verflieſse. Dies schwächt Gutes und Schönes; denn es stört die Beurtheilung; es hebt die ästhetische Kritik auf, womit fortdauernd der Mensch sich selbst im Innern beleuchten muſs, wenn er jene scharfe Richtigkeit seines Daseyns erlangen will, die man Moralität nennt.
Ist das ästhetische Urtheil schwach, und der Mensch übrigens stark: so wird er in der Regel böse. Hier ist nicht nöthig, vom Anwachsen herrschender Leidenschaf- ten das zu wiederhohlen, was die Dichter (z. B. Shakes- peare im Macbeth) so oft geschildert haben. Solche Phänomene zeigen nur ein unglückliches Misverhältniſs in den entwickelten psychologischen Kräften; und von ihnen kann man bestimmt behaupten, daſs es in der Ge- walt der Erziehung gestanden hätte, ihnen zuvorzukom- men. Sie sind übrigens unendlich mannigfaltig; denn jede Begierde kann Leidenschaft werden (§. 107.). Aber nicht alles Böse ist Schwäche. Es giebt auch ein posi- tives Böse, das sich nicht, mit Kant, auf bloſse falsche Unterordnung der Maximen zurückführen läſst.
Vertraut mit meiner praktischen Philosophie (das muſs ich überall, jedoch besonders hier, voraussetzen,) wird der Leser sich schon selbst den Begriff des Bösen in alle die Theile zerlegt haben, die durch bloſse Gegenstellung ge- gen die zur Tugend gehörigen, in den praktischen Ideen ge- gründeten, Bestimmungen, entstehen können. Allein nicht alle diese Theile sind eben so psychologisch verschieden, wie sie in der ästhetischen Beurtheilung erscheinen. Denn sehr Vieles ist seinem natürlichen Ursprunge
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lange sie da ist. Aber man soll auch nicht mit ihr die
Ebbe verwechseln; oder gar diese ihr vorziehn.
Dahin aber neigt sich jene, schon von Fichten als
das radicale Böse dargestellte, Trägheit der Menschen.
Denn, abgesehen von den Lüsten und Bedürfnissen des
Leibes, suchen sie meistens im Leben dasselbe, was ihnen
eine unterhaltende Erzählung gewähren soll; sie wollen,
daſs ihnen die Zeit angenehm verflieſse. Dies schwächt
Gutes und Schönes; denn es stört die Beurtheilung; es
hebt die ästhetische Kritik auf, womit fortdauernd der
Mensch sich selbst im Innern beleuchten muſs, wenn er
jene scharfe Richtigkeit seines Daseyns erlangen will, die
man Moralität nennt.
Ist das ästhetische Urtheil schwach, und der Mensch
übrigens stark: so wird er in der Regel böse. Hier ist
nicht nöthig, vom Anwachsen herrschender Leidenschaf-
ten das zu wiederhohlen, was die Dichter (z. B. Shakes-
peare im Macbeth) so oft geschildert haben. Solche
Phänomene zeigen nur ein unglückliches Misverhältniſs
in den entwickelten psychologischen Kräften; und von
ihnen kann man bestimmt behaupten, daſs es in der Ge-
walt der Erziehung gestanden hätte, ihnen zuvorzukom-
men. Sie sind übrigens unendlich mannigfaltig; denn
jede Begierde kann Leidenschaft werden (§. 107.). Aber
nicht alles Böse ist Schwäche. Es giebt auch ein posi-
tives Böse, das sich nicht, mit Kant, auf bloſse falsche
Unterordnung der Maximen zurückführen läſst.
Vertraut mit meiner praktischen Philosophie (das muſs
ich überall, jedoch besonders hier, voraussetzen,) wird der
Leser sich schon selbst den Begriff des Bösen in alle die
Theile zerlegt haben, die durch bloſse Gegenstellung ge-
gen die zur Tugend gehörigen, in den praktischen Ideen ge-
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alle diese Theile sind eben so psychologisch verschieden,
wie sie in der ästhetischen Beurtheilung erscheinen. Denn
sehr Vieles ist seinem natürlichen Ursprunge
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/476>, abgerufen am 23.11.2024.
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