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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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zelnen Fäden nachgehn will, er in eine Verwirrung ge-
räth, deren Grund er, bey der anscheinenden Ordnung
und Sauberkeit der Ausarbeitung, lieber in sich selbst
als in dem Werke sucht. Beyden ähnlich wirkt das
Bild des grossen Napoleon auf den Zuschauer; der
eben weil er sich weder wie ein guter noch wie ein bö-
ser Dämon zusammenfassen lässt, das Urtheil der Men-
schen unterjocht und verdirbt. Dass Ariost wahrhaft
klassisch, Spinoza wahrhaft überzeugend, Napoleon
ein wahrer Vater seines Reichs wäre, kann Niemand be-
haupten; gerade darum zieht sich der Urtheilende be-
scheiden zurück, und nennt sie gross! Könnte er zu
irgend einer bestimmten Entscheidung über sie gelangen,
so würden sie ihm kleiner erscheinen. Diese Verkehrt-
heit, sich zu erniedrigen vor dem Unreinen, als ob seine
verwirrende Kraft eine Auctorität wäre; anstatt es durch
die schärfste Prüfung zu scheiden und zu läutern, und
dann vest zu halten an dem Aechten und Wahren: ist
die Grund-Wurzel, zwar nicht des eigentlichen Bösen,
aber der Unlauterkeit und Gebrechlichkeit, von der Kant
mit grossem Rechte die Betrachtung des Bösen beginnt.
Und wieviele sind der Menschen, die auf diese Unlau-
terkeit des Geschmacks in der politischen und literari-
schen Welt speculiren! Es mag wohl ein einträgliches
Gewerbe seyn, im Trüben zu fischen! --

Schon die blosse Bewegung eines Puncts im Raume,
macht, dass er an jeder Stelle, wo er war, vermisst, und
dort, wohin er ging, wiedergefunden wird; denn die Um-
gebung reproducirt in jedem Augenblicke sein Bild, so
dass man seinen ganzen Weg anzuschauen glaubt, ob-
gleich er in jedem Momente nur an einer einzelnen Stelle
gesehn wird. Das Vermissen und Wiederfinden ist Be-
gierde und Befriedigung; deren unaufhörlicher Wechsel
aber ist Unterhaltung. So spielen Kinder mit dem Balle
und dem Kräusel; ja die junge Katze spielt mit dem
hängenden Bande und mit der Kartoffel. -- Man be-
trachte nun dies als ein Gleichniss für jene Bewegung,

zelnen Fäden nachgehn will, er in eine Verwirrung ge-
räth, deren Grund er, bey der anscheinenden Ordnung
und Sauberkeit der Ausarbeitung, lieber in sich selbst
als in dem Werke sucht. Beyden ähnlich wirkt das
Bild des groſsen Napoleon auf den Zuschauer; der
eben weil er sich weder wie ein guter noch wie ein bö-
ser Dämon zusammenfassen läſst, das Urtheil der Men-
schen unterjocht und verdirbt. Daſs Ariost wahrhaft
klassisch, Spinoza wahrhaft überzeugend, Napoleon
ein wahrer Vater seines Reichs wäre, kann Niemand be-
haupten; gerade darum zieht sich der Urtheilende be-
scheiden zurück, und nennt sie groſs! Könnte er zu
irgend einer bestimmten Entscheidung über sie gelangen,
so würden sie ihm kleiner erscheinen. Diese Verkehrt-
heit, sich zu erniedrigen vor dem Unreinen, als ob seine
verwirrende Kraft eine Auctorität wäre; anstatt es durch
die schärfste Prüfung zu scheiden und zu läutern, und
dann vest zu halten an dem Aechten und Wahren: ist
die Grund-Wurzel, zwar nicht des eigentlichen Bösen,
aber der Unlauterkeit und Gebrechlichkeit, von der Kant
mit groſsem Rechte die Betrachtung des Bösen beginnt.
Und wieviele sind der Menschen, die auf diese Unlau-
terkeit des Geschmacks in der politischen und literari-
schen Welt speculiren! Es mag wohl ein einträgliches
Gewerbe seyn, im Trüben zu fischen! —

Schon die bloſse Bewegung eines Puncts im Raume,
macht, daſs er an jeder Stelle, wo er war, vermiſst, und
dort, wohin er ging, wiedergefunden wird; denn die Um-
gebung reproducirt in jedem Augenblicke sein Bild, so
daſs man seinen ganzen Weg anzuschauen glaubt, ob-
gleich er in jedem Momente nur an einer einzelnen Stelle
gesehn wird. Das Vermissen und Wiederfinden ist Be-
gierde und Befriedigung; deren unaufhörlicher Wechsel
aber ist Unterhaltung. So spielen Kinder mit dem Balle
und dem Kräusel; ja die junge Katze spielt mit dem
hängenden Bande und mit der Kartoffel. — Man be-
trachte nun dies als ein Gleichniſs für jene Bewegung,

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[439/0474] zelnen Fäden nachgehn will, er in eine Verwirrung ge- räth, deren Grund er, bey der anscheinenden Ordnung und Sauberkeit der Ausarbeitung, lieber in sich selbst als in dem Werke sucht. Beyden ähnlich wirkt das Bild des groſsen Napoleon auf den Zuschauer; der eben weil er sich weder wie ein guter noch wie ein bö- ser Dämon zusammenfassen läſst, das Urtheil der Men- schen unterjocht und verdirbt. Daſs Ariost wahrhaft klassisch, Spinoza wahrhaft überzeugend, Napoleon ein wahrer Vater seines Reichs wäre, kann Niemand be- haupten; gerade darum zieht sich der Urtheilende be- scheiden zurück, und nennt sie groſs! Könnte er zu irgend einer bestimmten Entscheidung über sie gelangen, so würden sie ihm kleiner erscheinen. Diese Verkehrt- heit, sich zu erniedrigen vor dem Unreinen, als ob seine verwirrende Kraft eine Auctorität wäre; anstatt es durch die schärfste Prüfung zu scheiden und zu läutern, und dann vest zu halten an dem Aechten und Wahren: ist die Grund-Wurzel, zwar nicht des eigentlichen Bösen, aber der Unlauterkeit und Gebrechlichkeit, von der Kant mit groſsem Rechte die Betrachtung des Bösen beginnt. Und wieviele sind der Menschen, die auf diese Unlau- terkeit des Geschmacks in der politischen und literari- schen Welt speculiren! Es mag wohl ein einträgliches Gewerbe seyn, im Trüben zu fischen! — Schon die bloſse Bewegung eines Puncts im Raume, macht, daſs er an jeder Stelle, wo er war, vermiſst, und dort, wohin er ging, wiedergefunden wird; denn die Um- gebung reproducirt in jedem Augenblicke sein Bild, so daſs man seinen ganzen Weg anzuschauen glaubt, ob- gleich er in jedem Momente nur an einer einzelnen Stelle gesehn wird. Das Vermissen und Wiederfinden ist Be- gierde und Befriedigung; deren unaufhörlicher Wechsel aber ist Unterhaltung. So spielen Kinder mit dem Balle und dem Kräusel; ja die junge Katze spielt mit dem hängenden Bande und mit der Kartoffel. — Man be- trachte nun dies als ein Gleichniſs für jene Bewegung,

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/474>, abgerufen am 21.11.2024.