dass die Freyheitslehre falsch und unnütz, die Unsterb- lichkeit gewiss, die Erkenntniss Gottes auf eine Verthei- digung richtiger, aber allgemein bekannter teleologischer Ansichten beschränkt sey,) so könnte man mit besserem Grunde von der Psychologie sagen, ihr praktischer Werth beruhe hauptsächlich in ihren Aufschlüssen über die Möglichkeit sittlicher Bildung für den Menschen, und in den Anweisungen, die sie darüber dem Erzieher und dem Volksbildner zu geben habe. Aber die Lehre von der (transscendentalen) Freyheit macht alle Untersuchung über diesen hochwichtigen Gegenstand zu Nichts; indem sie die Sittlichkeit wie ein Wunder aus einer andern Welt hervorbrechen lässt, ohne dass man die geringste Hoffnung hätte, diese Erscheinung von einem zweckmä- ssigen Handeln abhängig zu machen. Daher ist das prak- tische Interesse im geringsten nicht für, sondern gänz- lich gegen die Freyheit des Willens, wofern sie näm- lich so wie Kant es verlangte, genommen wird. Denn was Andre, und nicht mit Unrecht, Freyheit der mensch- lichen Handlungen genannt haben, nämlich den Ursprung unsres Handelns aus unserm wirklichen Wollen, im Ge- gensatz gegen jedes maschinenmässige Fortpflanzen em- pfangener Eindrücke, das ist vollkommen der Wahrheit gemäss, wie man aus dem Ganzen dieser Abhandlung erkennen wird.
Die Beantwortung jener Frage nun wird vor allen Dingen erfordern, dass man die zuvor unterschiedenen Classen der Maximen in Hinsicht der Haltbarkeit ver- gleiche, die sie dann heweisen, wann sie sämmtlich in Eine Erwägung, in Eine Wahl fallen, wo sie sich den Vorrang streitig machen. Ohne allen Zweifel sind an sich die Maximen der Leidenschaften die stärksten. Den- noch unterliegen sie schon den Maximen der Gefühle des Angenehmen und Unangenehmen, sobald sie zum Schauspiel dienen für einen unbefangenen, leidenschaft- losen Beobachter. Diesem erscheint die Wildheit der leidenschaftlich handelnden Menschen als grosse Thor-
daſs die Freyheitslehre falsch und unnütz, die Unsterb- lichkeit gewiſs, die Erkenntniſs Gottes auf eine Verthei- digung richtiger, aber allgemein bekannter teleologischer Ansichten beschränkt sey,) so könnte man mit besserem Grunde von der Psychologie sagen, ihr praktischer Werth beruhe hauptsächlich in ihren Aufschlüssen über die Möglichkeit sittlicher Bildung für den Menschen, und in den Anweisungen, die sie darüber dem Erzieher und dem Volksbildner zu geben habe. Aber die Lehre von der (transscendentalen) Freyheit macht alle Untersuchung über diesen hochwichtigen Gegenstand zu Nichts; indem sie die Sittlichkeit wie ein Wunder aus einer andern Welt hervorbrechen läſst, ohne daſs man die geringste Hoffnung hätte, diese Erscheinung von einem zweckmä- ſsigen Handeln abhängig zu machen. Daher ist das prak- tische Interesse im geringsten nicht für, sondern gänz- lich gegen die Freyheit des Willens, wofern sie näm- lich so wie Kant es verlangte, genommen wird. Denn was Andre, und nicht mit Unrecht, Freyheit der mensch- lichen Handlungen genannt haben, nämlich den Ursprung unsres Handelns aus unserm wirklichen Wollen, im Ge- gensatz gegen jedes maschinenmäſsige Fortpflanzen em- pfangener Eindrücke, das ist vollkommen der Wahrheit gemäſs, wie man aus dem Ganzen dieser Abhandlung erkennen wird.
Die Beantwortung jener Frage nun wird vor allen Dingen erfordern, daſs man die zuvor unterschiedenen Classen der Maximen in Hinsicht der Haltbarkeit ver- gleiche, die sie dann heweisen, wann sie sämmtlich in Eine Erwägung, in Eine Wahl fallen, wo sie sich den Vorrang streitig machen. Ohne allen Zweifel sind an sich die Maximen der Leidenschaften die stärksten. Den- noch unterliegen sie schon den Maximen der Gefühle des Angenehmen und Unangenehmen, sobald sie zum Schauspiel dienen für einen unbefangenen, leidenschaft- losen Beobachter. Diesem erscheint die Wildheit der leidenschaftlich handelnden Menschen als groſse Thor-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0456"n="421"/>
daſs die Freyheitslehre falsch und unnütz, die Unsterb-<lb/>
lichkeit gewiſs, die Erkenntniſs Gottes auf eine Verthei-<lb/>
digung richtiger, aber allgemein bekannter teleologischer<lb/>
Ansichten beschränkt sey,) so könnte man mit besserem<lb/>
Grunde von der Psychologie sagen, ihr praktischer Werth<lb/>
beruhe hauptsächlich in ihren Aufschlüssen über die<lb/>
Möglichkeit sittlicher Bildung für den Menschen, und in<lb/>
den Anweisungen, die sie darüber dem Erzieher und dem<lb/>
Volksbildner zu geben habe. Aber die Lehre von der<lb/>
(transscendentalen) Freyheit macht alle Untersuchung<lb/>
über diesen hochwichtigen Gegenstand zu Nichts; indem<lb/>
sie die Sittlichkeit wie ein Wunder aus einer andern<lb/>
Welt hervorbrechen läſst, ohne daſs man die geringste<lb/>
Hoffnung hätte, diese Erscheinung von einem zweckmä-<lb/>ſsigen Handeln abhängig zu machen. Daher ist das prak-<lb/>
tische Interesse im geringsten nicht <hirendition="#g">für</hi>, sondern gänz-<lb/>
lich <hirendition="#g">gegen</hi> die Freyheit des Willens, wofern sie näm-<lb/>
lich so wie <hirendition="#g">Kant</hi> es verlangte, genommen wird. Denn<lb/>
was Andre, und nicht mit Unrecht, Freyheit der mensch-<lb/>
lichen Handlungen genannt haben, nämlich den Ursprung<lb/>
unsres Handelns aus unserm wirklichen Wollen, im Ge-<lb/>
gensatz gegen jedes maschinenmäſsige Fortpflanzen em-<lb/>
pfangener Eindrücke, das ist vollkommen der Wahrheit<lb/>
gemäſs, wie man aus dem Ganzen dieser Abhandlung<lb/>
erkennen wird.</p><lb/><p>Die Beantwortung jener Frage nun wird vor allen<lb/>
Dingen erfordern, daſs man die zuvor unterschiedenen<lb/>
Classen der Maximen in Hinsicht der Haltbarkeit ver-<lb/>
gleiche, die sie dann heweisen, wann sie sämmtlich in<lb/>
Eine Erwägung, in Eine Wahl fallen, wo sie sich den<lb/>
Vorrang streitig machen. Ohne allen Zweifel sind an<lb/>
sich die Maximen der Leidenschaften die stärksten. Den-<lb/>
noch unterliegen sie schon den Maximen der Gefühle<lb/>
des Angenehmen und Unangenehmen, sobald sie zum<lb/>
Schauspiel dienen für einen unbefangenen, leidenschaft-<lb/>
losen Beobachter. Diesem erscheint die Wildheit der<lb/>
leidenschaftlich handelnden Menschen als groſse Thor-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[421/0456]
daſs die Freyheitslehre falsch und unnütz, die Unsterb-
lichkeit gewiſs, die Erkenntniſs Gottes auf eine Verthei-
digung richtiger, aber allgemein bekannter teleologischer
Ansichten beschränkt sey,) so könnte man mit besserem
Grunde von der Psychologie sagen, ihr praktischer Werth
beruhe hauptsächlich in ihren Aufschlüssen über die
Möglichkeit sittlicher Bildung für den Menschen, und in
den Anweisungen, die sie darüber dem Erzieher und dem
Volksbildner zu geben habe. Aber die Lehre von der
(transscendentalen) Freyheit macht alle Untersuchung
über diesen hochwichtigen Gegenstand zu Nichts; indem
sie die Sittlichkeit wie ein Wunder aus einer andern
Welt hervorbrechen läſst, ohne daſs man die geringste
Hoffnung hätte, diese Erscheinung von einem zweckmä-
ſsigen Handeln abhängig zu machen. Daher ist das prak-
tische Interesse im geringsten nicht für, sondern gänz-
lich gegen die Freyheit des Willens, wofern sie näm-
lich so wie Kant es verlangte, genommen wird. Denn
was Andre, und nicht mit Unrecht, Freyheit der mensch-
lichen Handlungen genannt haben, nämlich den Ursprung
unsres Handelns aus unserm wirklichen Wollen, im Ge-
gensatz gegen jedes maschinenmäſsige Fortpflanzen em-
pfangener Eindrücke, das ist vollkommen der Wahrheit
gemäſs, wie man aus dem Ganzen dieser Abhandlung
erkennen wird.
Die Beantwortung jener Frage nun wird vor allen
Dingen erfordern, daſs man die zuvor unterschiedenen
Classen der Maximen in Hinsicht der Haltbarkeit ver-
gleiche, die sie dann heweisen, wann sie sämmtlich in
Eine Erwägung, in Eine Wahl fallen, wo sie sich den
Vorrang streitig machen. Ohne allen Zweifel sind an
sich die Maximen der Leidenschaften die stärksten. Den-
noch unterliegen sie schon den Maximen der Gefühle
des Angenehmen und Unangenehmen, sobald sie zum
Schauspiel dienen für einen unbefangenen, leidenschaft-
losen Beobachter. Diesem erscheint die Wildheit der
leidenschaftlich handelnden Menschen als groſse Thor-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/456>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.