hoben und zurückgedrängt. Ein unangenehmes Gefühl ist davon die nächste Folge; in wiefern aber a wider die Hemmung wirklich ansteigt, ist es Begierde. Diese mag freilich schwach und von kurzer Dauer seyn, wenn keine weitern Bestimmungen hinzukommen; weil sich das Gleichgewicht sehr leicht herstellen kann. Aber gleich- wohl ist dies das erste Element, von dem man aus- gehn muss.
Schon deutlicher wird die Begierde hervortreten, wenn die dem a gleichartige Wahrnehmung sich häufig und schnell nacheinander wiederhohlt, wodurch jedesmal von neuem a einen Stoss bekommt. Noch deutlicher wird die Sache werden, wenn nicht bloss eine, sondern meh- rere Complicationshülfen zusammenwirken. So begehrt man sehr merklich, und manchmal schmerzlich, das, was in einer bekannten Umgebung an dem Gewohnten fehlt. Es darf nur ein Stuhl in einem Zimmer an der Wand fehlen: sogleich treiben alle Gegenstände in der Stube die Vorstellung des Stuhles hervor, während die Auffas- sung der leeren Wand sie hemmt. Nachdrücklichere Beyspiele bieten sich in Menge dar, sie sind aber zu be- kannt, um angeführt zu werden.
Doch auch unter diesen Umständen wird die Be- gierde oftmals so flüchtig seyn, dass man ihrer kaum inne wird. Soll sie das Gemüth einnehmen, es anhaltend be- schäfftigen, und sich in einer Reihe von Handlungen zei- gen: so muss das vorbeschriebene Ereigniss ein gehöriges Verhältniss zu den sämmtlichen, während einer gewissen Zeit im Bewusstseyn wirksamen Vorstellungen haben. Mit einem Worte: die Begierde muss in Verbindung stehn mit den Reihen von Vorstellungen, die sich so eben im Bewusstseyn abwickeln. Und hier werden wir denn noch einmal zurückgeführt zu der, an wichtigen Folgerungen so fruchtbaren, Theorie von den Reihen, §. 112.
Man denke sich demnach eine Reihe a, b, c, d, e, u. s. w. Dass jede dieser Vorstellungen ein eignes Ge-
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hoben und zurückgedrängt. Ein unangenehmes Gefühl ist davon die nächste Folge; in wiefern aber α wider die Hemmung wirklich ansteigt, ist es Begierde. Diese mag freilich schwach und von kurzer Dauer seyn, wenn keine weitern Bestimmungen hinzukommen; weil sich das Gleichgewicht sehr leicht herstellen kann. Aber gleich- wohl ist dies das erste Element, von dem man aus- gehn muſs.
Schon deutlicher wird die Begierde hervortreten, wenn die dem a gleichartige Wahrnehmung sich häufig und schnell nacheinander wiederhohlt, wodurch jedesmal von neuem α einen Stoſs bekommt. Noch deutlicher wird die Sache werden, wenn nicht bloſs eine, sondern meh- rere Complicationshülfen zusammenwirken. So begehrt man sehr merklich, und manchmal schmerzlich, das, was in einer bekannten Umgebung an dem Gewohnten fehlt. Es darf nur ein Stuhl in einem Zimmer an der Wand fehlen: sogleich treiben alle Gegenstände in der Stube die Vorstellung des Stuhles hervor, während die Auffas- sung der leeren Wand sie hemmt. Nachdrücklichere Beyspiele bieten sich in Menge dar, sie sind aber zu be- kannt, um angeführt zu werden.
Doch auch unter diesen Umständen wird die Be- gierde oftmals so flüchtig seyn, daſs man ihrer kaum inne wird. Soll sie das Gemüth einnehmen, es anhaltend be- schäfftigen, und sich in einer Reihe von Handlungen zei- gen: so muſs das vorbeschriebene Ereigniſs ein gehöriges Verhältniſs zu den sämmtlichen, während einer gewissen Zeit im Bewuſstseyn wirksamen Vorstellungen haben. Mit einem Worte: die Begierde muſs in Verbindung stehn mit den Reihen von Vorstellungen, die sich so eben im Bewuſstseyn abwickeln. Und hier werden wir denn noch einmal zurückgeführt zu der, an wichtigen Folgerungen so fruchtbaren, Theorie von den Reihen, §. 112.
Man denke sich demnach eine Reihe a, b, c, d, e, u. s. w. Daſs jede dieser Vorstellungen ein eignes Ge-
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hoben und zurückgedrängt. Ein unangenehmes Gefühl
ist davon die nächste Folge; in wiefern aber α wider
die Hemmung wirklich ansteigt, ist es Begierde. Diese
mag freilich schwach und von kurzer Dauer seyn, wenn
keine weitern Bestimmungen hinzukommen; weil sich das
Gleichgewicht sehr leicht herstellen kann. Aber gleich-
wohl ist dies das erste Element, von dem man aus-
gehn muſs.
Schon deutlicher wird die Begierde hervortreten,
wenn die dem a gleichartige Wahrnehmung sich häufig
und schnell nacheinander wiederhohlt, wodurch jedesmal
von neuem α einen Stoſs bekommt. Noch deutlicher wird
die Sache werden, wenn nicht bloſs eine, sondern meh-
rere Complicationshülfen zusammenwirken. So begehrt
man sehr merklich, und manchmal schmerzlich, das, was
in einer bekannten Umgebung an dem Gewohnten fehlt.
Es darf nur ein Stuhl in einem Zimmer an der Wand
fehlen: sogleich treiben alle Gegenstände in der Stube
die Vorstellung des Stuhles hervor, während die Auffas-
sung der leeren Wand sie hemmt. Nachdrücklichere
Beyspiele bieten sich in Menge dar, sie sind aber zu be-
kannt, um angeführt zu werden.
Doch auch unter diesen Umständen wird die Be-
gierde oftmals so flüchtig seyn, daſs man ihrer kaum inne
wird. Soll sie das Gemüth einnehmen, es anhaltend be-
schäfftigen, und sich in einer Reihe von Handlungen zei-
gen: so muſs das vorbeschriebene Ereigniſs ein gehöriges
Verhältniſs zu den sämmtlichen, während einer gewissen
Zeit im Bewuſstseyn wirksamen Vorstellungen haben.
Mit einem Worte: die Begierde muſs in Verbindung
stehn mit den Reihen von Vorstellungen, die sich so
eben im Bewuſstseyn abwickeln. Und hier werden wir
denn noch einmal zurückgeführt zu der, an wichtigen
Folgerungen so fruchtbaren, Theorie von den Reihen,
§. 112.
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/438>, abgerufen am 22.11.2024.
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