weder bejahen noch verneinen lässt) bey Seite setzt, -- sowohl innerlich als äusserlich absolut einfach. Hiemit ist der erste Grundgedanke der wahren Metaphy- sik vestgestellt, um ihn aber zu finden, muss der Ur- sprung desselben nicht mehr gefühlt, sondern klar ge- dacht werden. Dies nun pflegt gerade umgekehrt Statt zu finden. Die Entdeckung, dass den Dingen unbekannte Substanzen zum Grunde liegen, setzt in Verlegenheit; man glaubt sich verirrt, denn man sieht Nichts, wo doch etwas zu sehen gefordert wird; man sucht Auswege; man bläs't zum Rückzuge. Aus dem Unbekannten soll die Mannigfaltigkeit der Erscheinung erklärbar seyn; man setzt also in das Unbekannte soviel mannigfaltige Be- stimmungen (essentialia, attributa, u. s. w.) als man zum Behuf der gesuchten Erklärungen zu brauchen gedenkt. Und von diesem Augenblicke an ist alles verdorben. Nun wird gegrübelt, gefühlt und phantasirt; es schürzt sich ein gordischer Knoten für Jahrhunderte.
Es ist nöthig, hier einer höchst seltsamen Uebertrei- bung zu erwähnen, die dem Begriffe des Unbedingten zu begegnen pflegt; ich meine seine Verwandlung in den des Absolut-Nothwendigen. Als ob das Seyn nicht genügte, allem Bedingten den vesten Anknüpfungspunct darzubieten!
Diese Uebertreibung und Verfälschung rührt her von der Einbildung, das Seyende, bloss als solches, sey zu- fällig*).
Beynahe auf einen Schlag geschieht jenes Beydes, dass die Dinge als veränderlich in allen ihren Merkma- len, und dass sie als beruhend auf einem unbekannten Substrat angesehen werden; denn eins wie das andre entsteht aus der Auflösung der Dinge in Merkmale, de-
*) Eine starke Amphibolie! Zufällig ist nicht das Seyende, (worauf dieser Begriff gar nicht passt;) sondern was zufällig ist, das ist dem Seyenden, oder für das Seyende zufällig! Auch hier hat man Bezogenes und Beziehungspunct verwechselt.
weder bejahen noch verneinen läſst) bey Seite setzt, — sowohl innerlich als äuſserlich absolut einfach. Hiemit ist der erste Grundgedanke der wahren Metaphy- sik vestgestellt, um ihn aber zu finden, muſs der Ur- sprung desselben nicht mehr gefühlt, sondern klar ge- dacht werden. Dies nun pflegt gerade umgekehrt Statt zu finden. Die Entdeckung, daſs den Dingen unbekannte Substanzen zum Grunde liegen, setzt in Verlegenheit; man glaubt sich verirrt, denn man sieht Nichts, wo doch etwas zu sehen gefordert wird; man sucht Auswege; man bläs’t zum Rückzuge. Aus dem Unbekannten soll die Mannigfaltigkeit der Erscheinung erklärbar seyn; man setzt also in das Unbekannte soviel mannigfaltige Be- stimmungen (eſſentialia, attributa, u. s. w.) als man zum Behuf der gesuchten Erklärungen zu brauchen gedenkt. Und von diesem Augenblicke an ist alles verdorben. Nun wird gegrübelt, gefühlt und phantasirt; es schürzt sich ein gordischer Knoten für Jahrhunderte.
Es ist nöthig, hier einer höchst seltsamen Uebertrei- bung zu erwähnen, die dem Begriffe des Unbedingten zu begegnen pflegt; ich meine seine Verwandlung in den des Absolut-Nothwendigen. Als ob das Seyn nicht genügte, allem Bedingten den vesten Anknüpfungspunct darzubieten!
Diese Uebertreibung und Verfälschung rührt her von der Einbildung, das Seyende, bloſs als solches, sey zu- fällig*).
Beynahe auf einen Schlag geschieht jenes Beydes, daſs die Dinge als veränderlich in allen ihren Merkma- len, und daſs sie als beruhend auf einem unbekannten Substrat angesehen werden; denn eins wie das andre entsteht aus der Auflösung der Dinge in Merkmale, de-
*) Eine starke Amphibolie! Zufällig ist nicht das Seyende, (worauf dieser Begriff gar nicht paſst;) sondern was zufällig ist, das ist dem Seyenden, oder für das Seyende zufällig! Auch hier hat man Bezogenes und Beziehungspunct verwechselt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0427"n="392"/>
weder bejahen noch verneinen läſst) bey Seite setzt, —<lb/><hirendition="#g">sowohl innerlich als äuſserlich absolut <hirendition="#i">einfach</hi></hi>.<lb/>
Hiemit ist der erste Grundgedanke der wahren Metaphy-<lb/>
sik vestgestellt, um ihn aber zu finden, muſs der Ur-<lb/>
sprung desselben nicht mehr gefühlt, sondern klar ge-<lb/>
dacht werden. Dies nun pflegt gerade umgekehrt Statt<lb/>
zu finden. Die Entdeckung, daſs den Dingen unbekannte<lb/>
Substanzen zum Grunde liegen, setzt in Verlegenheit;<lb/>
man glaubt sich verirrt, denn man sieht Nichts, wo doch<lb/>
etwas zu sehen gefordert wird; man sucht Auswege; man<lb/>
bläs’t zum Rückzuge. Aus dem Unbekannten soll die<lb/>
Mannigfaltigkeit der Erscheinung erklärbar seyn; man<lb/>
setzt also in das Unbekannte soviel mannigfaltige Be-<lb/>
stimmungen (<hirendition="#i">eſſentialia, attributa,</hi> u. s. w.) als man zum<lb/>
Behuf der gesuchten Erklärungen zu brauchen gedenkt.<lb/>
Und von diesem Augenblicke an ist alles verdorben.<lb/>
Nun wird gegrübelt, gefühlt und phantasirt; es schürzt<lb/>
sich ein gordischer Knoten für Jahrhunderte.</p><lb/><p>Es ist nöthig, hier einer höchst seltsamen Uebertrei-<lb/>
bung zu erwähnen, die dem Begriffe des Unbedingten<lb/>
zu begegnen pflegt; ich meine seine Verwandlung in den<lb/>
des <hirendition="#g">Absolut-Nothwendigen</hi>. Als ob das Seyn nicht<lb/>
genügte, allem Bedingten den vesten Anknüpfungspunct<lb/>
darzubieten!</p><lb/><p>Diese Uebertreibung und Verfälschung rührt her von<lb/>
der Einbildung, das Seyende, bloſs als solches, sey <hirendition="#g">zu-<lb/>
fällig</hi><noteplace="foot"n="*)">Eine starke Amphibolie! Zufällig ist nicht <hirendition="#g">das</hi> Seyende,<lb/>
(worauf dieser Begriff gar nicht paſst;) sondern was zufällig ist, das<lb/>
ist <hirendition="#g">dem</hi> Seyenden, oder <hirendition="#g">für das</hi> Seyende zufällig! Auch hier hat man<lb/>
Bezogenes und Beziehungspunct verwechselt.</note>.</p><lb/><p>Beynahe auf einen Schlag geschieht jenes Beydes,<lb/>
daſs die Dinge als veränderlich in allen ihren Merkma-<lb/>
len, und daſs sie als beruhend auf einem unbekannten<lb/>
Substrat angesehen werden; denn eins wie das andre<lb/>
entsteht aus der Auflösung der Dinge in Merkmale, de-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[392/0427]
weder bejahen noch verneinen läſst) bey Seite setzt, —
sowohl innerlich als äuſserlich absolut einfach.
Hiemit ist der erste Grundgedanke der wahren Metaphy-
sik vestgestellt, um ihn aber zu finden, muſs der Ur-
sprung desselben nicht mehr gefühlt, sondern klar ge-
dacht werden. Dies nun pflegt gerade umgekehrt Statt
zu finden. Die Entdeckung, daſs den Dingen unbekannte
Substanzen zum Grunde liegen, setzt in Verlegenheit;
man glaubt sich verirrt, denn man sieht Nichts, wo doch
etwas zu sehen gefordert wird; man sucht Auswege; man
bläs’t zum Rückzuge. Aus dem Unbekannten soll die
Mannigfaltigkeit der Erscheinung erklärbar seyn; man
setzt also in das Unbekannte soviel mannigfaltige Be-
stimmungen (eſſentialia, attributa, u. s. w.) als man zum
Behuf der gesuchten Erklärungen zu brauchen gedenkt.
Und von diesem Augenblicke an ist alles verdorben.
Nun wird gegrübelt, gefühlt und phantasirt; es schürzt
sich ein gordischer Knoten für Jahrhunderte.
Es ist nöthig, hier einer höchst seltsamen Uebertrei-
bung zu erwähnen, die dem Begriffe des Unbedingten
zu begegnen pflegt; ich meine seine Verwandlung in den
des Absolut-Nothwendigen. Als ob das Seyn nicht
genügte, allem Bedingten den vesten Anknüpfungspunct
darzubieten!
Diese Uebertreibung und Verfälschung rührt her von
der Einbildung, das Seyende, bloſs als solches, sey zu-
fällig *).
Beynahe auf einen Schlag geschieht jenes Beydes,
daſs die Dinge als veränderlich in allen ihren Merkma-
len, und daſs sie als beruhend auf einem unbekannten
Substrat angesehen werden; denn eins wie das andre
entsteht aus der Auflösung der Dinge in Merkmale, de-
*) Eine starke Amphibolie! Zufällig ist nicht das Seyende,
(worauf dieser Begriff gar nicht paſst;) sondern was zufällig ist, das
ist dem Seyenden, oder für das Seyende zufällig! Auch hier hat man
Bezogenes und Beziehungspunct verwechselt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/427>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.