Gesetzt aber, man wolle trotz dieser handgreiflichen Un- möglichkeit sich doch die Fiction erlauben, aus den Be- griffen a, b, a, b, ein solches System zu machen, wie etwa das täuschende Phänomen des Magneten dar- stellt, wobey
der Nordpol = a,
der Südpol = b,
deren Gegensatz = a,
deren Einheit = b;
gesetzt ferner, man erlaube sich, a und b wiederum in die Stelle von a und b zu rücken: so ist nun ganz unabweislich, von einer Reihe sowohl das Gesetz als die Fortschreitung gegeben; ja es giebt nun eben deswe- gen eine höhere Einheit der Einheit und des Gegen- satzes, weil beyde letztern als unter sich entge- gengesetzt betrachtet wurden, denn sonst wäre gar kein Bedürfniss, sie zu vereinigen, auch nur vermeintlich und fingirt vorhanden gewesen. Also ist nun das ganze System um eine Stelle weiter gerückt; und folglieh muss es abermals fortschreiten, weil sich A und B verhalten wie a und b, d. h. weil sie wegen ihres Gegensatzes x, der sichtbar vor Augen liegt, man wolle ihn nun einge- stehn oder nicht, wiederum begehren zur Einheit y zu gelangen; wobey sich denn das alte Spiel unfehlbar wie- derhohlt. Genug davon!
Vorhin wurde bemerkt, man müsse verhüten, das Unbedingte als eine Complexion von Merkmalen, die in ihm eine wirkliche Vielheit ausmachten, zu betrachten; welches soviel heisst als, jedes Unbedingte ist an sich, und wenn man jede Relation desselben zu einem andern Unbedingten (dergleichen sich im Allgemeinen
stigen. Ein sehr lebhafter, sehr aufgeregter Geist ist vielen und gro- ssen Täuschungen unterworfen; und man kann sich eben nicht wun- dern, wenn er sie enthusiastisch verkündigt. Aber dass ein ganzes gelehrtes Publicum solche Täuschungen im Laufe vieler Jahre fortwäh- rend hegt und pflegt, ist eine Schwäche der Kritik, oder der Em- pfänglichkeit, die sie vorfindet.
Gesetzt aber, man wolle trotz dieser handgreiflichen Un- möglichkeit sich doch die Fiction erlauben, aus den Be- griffen a, b, α, β, ein solches System zu machen, wie etwa das täuschende Phänomen des Magneten dar- stellt, wobey
der Nordpol = a,
der Südpol = b,
deren Gegensatz = α,
deren Einheit = β;
gesetzt ferner, man erlaube sich, α und β wiederum in die Stelle von a und b zu rücken: so ist nun ganz unabweislich, von einer Reihe sowohl das Gesetz als die Fortschreitung gegeben; ja es giebt nun eben deswe- gen eine höhere Einheit der Einheit und des Gegen- satzes, weil beyde letztern als unter sich entge- gengesetzt betrachtet wurden, denn sonst wäre gar kein Bedürfniſs, sie zu vereinigen, auch nur vermeintlich und fingirt vorhanden gewesen. Also ist nun das ganze System um eine Stelle weiter gerückt; und folglieh muſs es abermals fortschreiten, weil sich A und B verhalten wie α und β, d. h. weil sie wegen ihres Gegensatzes x, der sichtbar vor Augen liegt, man wolle ihn nun einge- stehn oder nicht, wiederum begehren zur Einheit y zu gelangen; wobey sich denn das alte Spiel unfehlbar wie- derhohlt. Genug davon!
Vorhin wurde bemerkt, man müsse verhüten, das Unbedingte als eine Complexion von Merkmalen, die in ihm eine wirkliche Vielheit ausmachten, zu betrachten; welches soviel heiſst als, jedes Unbedingte ist an sich, und wenn man jede Relation desselben zu einem andern Unbedingten (dergleichen sich im Allgemeinen
stigen. Ein sehr lebhafter, sehr aufgeregter Geist ist vielen und gro- ſsen Täuschungen unterworfen; und man kann sich eben nicht wun- dern, wenn er sie enthusiastisch verkündigt. Aber daſs ein ganzes gelehrtes Publicum solche Täuschungen im Laufe vieler Jahre fortwäh- rend hegt und pflegt, ist eine Schwäche der Kritik, oder der Em- pfänglichkeit, die sie vorfindet.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0426"n="391"/>
Gesetzt aber, man wolle trotz dieser handgreiflichen Un-<lb/>
möglichkeit sich doch die Fiction erlauben, aus den Be-<lb/>
griffen <hirendition="#i">a, b, α, β</hi>, ein solches System zu machen, wie<lb/>
etwa das <hirendition="#g">täuschende Phänomen</hi> des Magneten dar-<lb/>
stellt, wobey</p><lb/><list><item>der Nordpol = <hirendition="#i">a,</hi></item><lb/><item>der Südpol = <hirendition="#i">b,</hi></item><lb/><item>deren Gegensatz = <hirendition="#i">α</hi>,</item><lb/><item>deren Einheit = <hirendition="#i">β</hi>;</item></list><lb/><p>gesetzt ferner, man erlaube sich, <hirendition="#i">α</hi> und <hirendition="#i">β</hi> wiederum<lb/>
in die Stelle von <hirendition="#i">a</hi> und <hirendition="#i">b</hi> zu rücken: so ist nun ganz<lb/>
unabweislich, von einer Reihe sowohl das Gesetz als die<lb/>
Fortschreitung gegeben; ja es giebt nun <hirendition="#g">eben deswe-<lb/>
gen</hi> eine höhere Einheit der Einheit und des Gegen-<lb/>
satzes, <hirendition="#g">weil</hi> beyde letztern <hirendition="#g">als unter sich entge-<lb/>
gengesetzt</hi> betrachtet wurden, denn sonst wäre gar<lb/>
kein Bedürfniſs, sie zu vereinigen, auch nur vermeintlich<lb/>
und fingirt vorhanden gewesen. Also ist nun <hirendition="#g">das ganze<lb/>
System</hi> um eine Stelle weiter gerückt; und folglieh muſs<lb/>
es abermals fortschreiten, weil sich <hirendition="#i">A</hi> und <hirendition="#i">B</hi> verhalten<lb/>
wie <hirendition="#i">α</hi> und <hirendition="#i">β</hi>, d. h. weil sie wegen ihres Gegensatzes <hirendition="#i">x,</hi><lb/>
der sichtbar vor Augen liegt, man wolle ihn nun einge-<lb/>
stehn oder nicht, wiederum begehren zur Einheit <hirendition="#i">y</hi> zu<lb/>
gelangen; wobey sich denn das alte Spiel unfehlbar wie-<lb/>
derhohlt. Genug davon!</p><lb/><p>Vorhin wurde bemerkt, man müsse verhüten, das<lb/>
Unbedingte als eine Complexion von Merkmalen, die in<lb/>
ihm eine <hirendition="#g">wirkliche</hi> Vielheit ausmachten, zu betrachten;<lb/>
welches soviel heiſst als, <hirendition="#g">jedes Unbedingte ist an<lb/>
sich</hi>, und wenn man jede Relation desselben zu einem<lb/>
andern Unbedingten (dergleichen sich im <hirendition="#g">Allgemeinen</hi><lb/><notexml:id="seg2pn_5_2"prev="#seg2pn_5_1"place="foot"n="*)">stigen. Ein sehr lebhafter, sehr aufgeregter Geist ist vielen und gro-<lb/>ſsen Täuschungen unterworfen; und man kann sich eben nicht wun-<lb/>
dern, wenn er sie enthusiastisch verkündigt. Aber daſs ein ganzes<lb/>
gelehrtes Publicum solche Täuschungen im Laufe vieler Jahre fortwäh-<lb/>
rend hegt und pflegt, ist eine Schwäche der Kritik, oder der Em-<lb/>
pfänglichkeit, die sie vorfindet.</note><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[391/0426]
Gesetzt aber, man wolle trotz dieser handgreiflichen Un-
möglichkeit sich doch die Fiction erlauben, aus den Be-
griffen a, b, α, β, ein solches System zu machen, wie
etwa das täuschende Phänomen des Magneten dar-
stellt, wobey
der Nordpol = a,
der Südpol = b,
deren Gegensatz = α,
deren Einheit = β;
gesetzt ferner, man erlaube sich, α und β wiederum
in die Stelle von a und b zu rücken: so ist nun ganz
unabweislich, von einer Reihe sowohl das Gesetz als die
Fortschreitung gegeben; ja es giebt nun eben deswe-
gen eine höhere Einheit der Einheit und des Gegen-
satzes, weil beyde letztern als unter sich entge-
gengesetzt betrachtet wurden, denn sonst wäre gar
kein Bedürfniſs, sie zu vereinigen, auch nur vermeintlich
und fingirt vorhanden gewesen. Also ist nun das ganze
System um eine Stelle weiter gerückt; und folglieh muſs
es abermals fortschreiten, weil sich A und B verhalten
wie α und β, d. h. weil sie wegen ihres Gegensatzes x,
der sichtbar vor Augen liegt, man wolle ihn nun einge-
stehn oder nicht, wiederum begehren zur Einheit y zu
gelangen; wobey sich denn das alte Spiel unfehlbar wie-
derhohlt. Genug davon!
Vorhin wurde bemerkt, man müsse verhüten, das
Unbedingte als eine Complexion von Merkmalen, die in
ihm eine wirkliche Vielheit ausmachten, zu betrachten;
welches soviel heiſst als, jedes Unbedingte ist an
sich, und wenn man jede Relation desselben zu einem
andern Unbedingten (dergleichen sich im Allgemeinen
*)
*) stigen. Ein sehr lebhafter, sehr aufgeregter Geist ist vielen und gro-
ſsen Täuschungen unterworfen; und man kann sich eben nicht wun-
dern, wenn er sie enthusiastisch verkündigt. Aber daſs ein ganzes
gelehrtes Publicum solche Täuschungen im Laufe vieler Jahre fortwäh-
rend hegt und pflegt, ist eine Schwäche der Kritik, oder der Em-
pfänglichkeit, die sie vorfindet.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/426>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.