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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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here dazu, das Unendliche -- das Letzte in unserer
Construction, zum Ersten zu machen?

Hinweggesehn von der, aus dem Obigen leicht be-
greiflichen Uebereilung, dem Anstossen an eine Gränze
eine begränzende Ursache vorauszusetzen, die Jenseits
liege, -- obgleich durch die Reproductionsgesetze Jedes
in seinen gegebenen Distanzen gehalten wird, und nicht
nothwendig von Aussen braucht gedrückt zu werden, --
giebt es zwey Hauptumstände, die es nur zu leicht da-
hin bringen, dass man das Unendliche zum Ersten mache.

Erstlich: die Stellung des Menschen in der Zeit.
Hier muss man unterscheiden zwischen unserm Handeln
und unserem Wissen. Das Handeln giebt uns die na-
türliche
Stellung im Flusse der Zeit; wir schauen auf
das was wir thun wollen, also in die Zukunft, wohin die
Zeit läuft. Aber hier genügt das Nächste; selten
arbeitet Einer bey nüchterner Ueberlegung auch nur für
das kommende Jahrhundert, die entferntern Folgen un-
seres Thuns können uns höchstens Besorgnisse, aber
keine Hoffnung einflössen. Ganz anders verhält es sich
mit dem Wissen. Die Gegenstände desselben liegen
dem allergrössten Theile nach in der Vergangenheit; wir
wandeln auf Gräbern, wir büssen alte Sünden, wir leben
von alten Capitalen. Für diese Gegenstände müssen wir,
gestellt auf den Endpunct der bis jetzt abgelaufenen Zeit,
unsre Reihenform rückwärts schauend construiren. Der
Zeit, die unsern Staat gestiftet hat, ging eine andre voran,
welche die Wälder lichtete und den Boden umgrub; ihr
voran tritt eine andre, die aus dem Meeresgrunde das
Land emporhob; und wieder eine andre, die das Son-
nensystem formte. Hier verlieren wir uns. Das Unend-
liche wird nun das Erste; unsre Blicke müssen dahinaus
gehn, indem unser Wissen soll zusammengefasst wer-
den. Leicht vergessen wir darüber die andre Seite, die
uns nicht beschäfftigt. Oder wenn wir uns einmal um-
wenden, wenn wir uns an jeder Seite umfangen sehen
vom Unendlichen, so können wir in die Zukunft nichts

II. B b

here dazu, das Unendliche — das Letzte in unserer
Construction, zum Ersten zu machen?

Hinweggesehn von der, aus dem Obigen leicht be-
greiflichen Uebereilung, dem Anstoſsen an eine Gränze
eine begränzende Ursache vorauszusetzen, die Jenseits
liege, — obgleich durch die Reproductionsgesetze Jedes
in seinen gegebenen Distanzen gehalten wird, und nicht
nothwendig von Auſsen braucht gedrückt zu werden, —
giebt es zwey Hauptumstände, die es nur zu leicht da-
hin bringen, daſs man das Unendliche zum Ersten mache.

Erstlich: die Stellung des Menschen in der Zeit.
Hier muſs man unterscheiden zwischen unserm Handeln
und unserem Wissen. Das Handeln giebt uns die na-
türliche
Stellung im Flusse der Zeit; wir schauen auf
das was wir thun wollen, also in die Zukunft, wohin die
Zeit läuft. Aber hier genügt das Nächste; selten
arbeitet Einer bey nüchterner Ueberlegung auch nur für
das kommende Jahrhundert, die entferntern Folgen un-
seres Thuns können uns höchstens Besorgnisse, aber
keine Hoffnung einflöſsen. Ganz anders verhält es sich
mit dem Wissen. Die Gegenstände desselben liegen
dem allergröſsten Theile nach in der Vergangenheit; wir
wandeln auf Gräbern, wir büſsen alte Sünden, wir leben
von alten Capitalen. Für diese Gegenstände müssen wir,
gestellt auf den Endpunct der bis jetzt abgelaufenen Zeit,
unsre Reihenform rückwärts schauend construiren. Der
Zeit, die unsern Staat gestiftet hat, ging eine andre voran,
welche die Wälder lichtete und den Boden umgrub; ihr
voran tritt eine andre, die aus dem Meeresgrunde das
Land emporhob; und wieder eine andre, die das Son-
nensystem formte. Hier verlieren wir uns. Das Unend-
liche wird nun das Erste; unsre Blicke müssen dahinaus
gehn, indem unser Wissen soll zusammengefaſst wer-
den. Leicht vergessen wir darüber die andre Seite, die
uns nicht beschäfftigt. Oder wenn wir uns einmal um-
wenden, wenn wir uns an jeder Seite umfangen sehen
vom Unendlichen, so können wir in die Zukunft nichts

II. B b
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[385/0420] here dazu, das Unendliche — das Letzte in unserer Construction, zum Ersten zu machen? Hinweggesehn von der, aus dem Obigen leicht be- greiflichen Uebereilung, dem Anstoſsen an eine Gränze eine begränzende Ursache vorauszusetzen, die Jenseits liege, — obgleich durch die Reproductionsgesetze Jedes in seinen gegebenen Distanzen gehalten wird, und nicht nothwendig von Auſsen braucht gedrückt zu werden, — giebt es zwey Hauptumstände, die es nur zu leicht da- hin bringen, daſs man das Unendliche zum Ersten mache. Erstlich: die Stellung des Menschen in der Zeit. Hier muſs man unterscheiden zwischen unserm Handeln und unserem Wissen. Das Handeln giebt uns die na- türliche Stellung im Flusse der Zeit; wir schauen auf das was wir thun wollen, also in die Zukunft, wohin die Zeit läuft. Aber hier genügt das Nächste; selten arbeitet Einer bey nüchterner Ueberlegung auch nur für das kommende Jahrhundert, die entferntern Folgen un- seres Thuns können uns höchstens Besorgnisse, aber keine Hoffnung einflöſsen. Ganz anders verhält es sich mit dem Wissen. Die Gegenstände desselben liegen dem allergröſsten Theile nach in der Vergangenheit; wir wandeln auf Gräbern, wir büſsen alte Sünden, wir leben von alten Capitalen. Für diese Gegenstände müssen wir, gestellt auf den Endpunct der bis jetzt abgelaufenen Zeit, unsre Reihenform rückwärts schauend construiren. Der Zeit, die unsern Staat gestiftet hat, ging eine andre voran, welche die Wälder lichtete und den Boden umgrub; ihr voran tritt eine andre, die aus dem Meeresgrunde das Land emporhob; und wieder eine andre, die das Son- nensystem formte. Hier verlieren wir uns. Das Unend- liche wird nun das Erste; unsre Blicke müssen dahinaus gehn, indem unser Wissen soll zusammengefaſst wer- den. Leicht vergessen wir darüber die andre Seite, die uns nicht beschäfftigt. Oder wenn wir uns einmal um- wenden, wenn wir uns an jeder Seite umfangen sehen vom Unendlichen, so können wir in die Zukunft nichts II. B b

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/420>, abgerufen am 22.11.2024.