Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

ten Dimension, an welche noch gar nicht gedacht wird.
Was ist es denn, das in der Folge die Vorstellung des
Soliden zur einzig brauchbaren Auffassung des räumli-
chen Realen erhebt?

Zuvörderst, das Solide selbst wird nicht ursprüng-
lich nach drey Dimensionen bestimmt. Vielmehr, diese
Dimensionen sind ein Erzeugniss des schon zur Wissen-
schaft vordringenden Denkens. Sie sind die allgemei-
nen Begriffe von denjenigen Hauptrichtungen,
auf welche sich die sämmtlichen andern Rich-
tungen in einem körperlichen Raume zurück-
führen, oder woraus sich dieselben zusammen-
setzen lassen
. Die Erzeugung solcher allgemeinen
Begriffe setzt weit vorgeschrittene Vergleichungen voraus.
Die Hauptsache dabey ist die Erfindung des Perpen-
dikels auf eine Linie, oder derjenigen Richtung,
welche mit zweyen andern unter sich entgegen-
gesetzten
(die durch die Linie angedeutet werden)
gar nichts gemein habe, sondern, in Beziehung auf
sie, als eine völlig neue Richtung könne angesehen
werden. Nachdem diese bekannt ist, ordnen sich die
sämmtlichen möglichen Richtungen, welche durch Zu-
sammenfassung beliebiger Puncte eines vor Augen lie-
genden Körpers entstehen können, von selbst nach drey
Perpendikeln, als den Symbolen der drey Dimensionen;
auch bilden sich aus der Combination je zweyer Perpen-
dikel die drey senkrechten Durchschnittsflächen durch
den Körper. (Erklärt man das Perpendikel durch dieje-
nige Linie, welche mit einer andern vier gleiche Win-
kel
macht, so mag eine solche Definition im gewöhnli-
chen geometrischen Vortrage brauchbar seyn; aber sie
taugt nichts, wenn man psychologische Aufschlüsse über
die Erzeugung der geometrischen Begriffe verlangt.)

Wie lange nun das Solide noch nicht auf seine
drey Dimensionen zurückgeführt ist, -- wie lange noch
der Mensch die Körper bloss in den Händen herumdreht,
und sie von allen Seiten besieht, ohne in ihnen die Länge

ten Dimension, an welche noch gar nicht gedacht wird.
Was ist es denn, das in der Folge die Vorstellung des
Soliden zur einzig brauchbaren Auffassung des räumli-
chen Realen erhebt?

Zuvörderst, das Solide selbst wird nicht ursprüng-
lich nach drey Dimensionen bestimmt. Vielmehr, diese
Dimensionen sind ein Erzeugniſs des schon zur Wissen-
schaft vordringenden Denkens. Sie sind die allgemei-
nen Begriffe von denjenigen Hauptrichtungen,
auf welche sich die sämmtlichen andern Rich-
tungen in einem körperlichen Raume zurück-
führen, oder woraus sich dieselben zusammen-
setzen lassen
. Die Erzeugung solcher allgemeinen
Begriffe setzt weit vorgeschrittene Vergleichungen voraus.
Die Hauptsache dabey ist die Erfindung des Perpen-
dikels auf eine Linie, oder derjenigen Richtung,
welche mit zweyen andern unter sich entgegen-
gesetzten
(die durch die Linie angedeutet werden)
gar nichts gemein habe, sondern, in Beziehung auf
sie, als eine völlig neue Richtung könne angesehen
werden. Nachdem diese bekannt ist, ordnen sich die
sämmtlichen möglichen Richtungen, welche durch Zu-
sammenfassung beliebiger Puncte eines vor Augen lie-
genden Körpers entstehen können, von selbst nach drey
Perpendikeln, als den Symbolen der drey Dimensionen;
auch bilden sich aus der Combination je zweyer Perpen-
dikel die drey senkrechten Durchschnittsflächen durch
den Körper. (Erklärt man das Perpendikel durch dieje-
nige Linie, welche mit einer andern vier gleiche Win-
kel
macht, so mag eine solche Definition im gewöhnli-
chen geometrischen Vortrage brauchbar seyn; aber sie
taugt nichts, wenn man psychologische Aufschlüsse über
die Erzeugung der geometrischen Begriffe verlangt.)

Wie lange nun das Solide noch nicht auf seine
drey Dimensionen zurückgeführt ist, — wie lange noch
der Mensch die Körper bloſs in den Händen herumdreht,
und sie von allen Seiten besieht, ohne in ihnen die Länge

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0385" n="350"/>
ten Dimension, an welche noch gar nicht gedacht wird.<lb/>
Was ist es denn, das in der Folge die Vorstellung des<lb/><hi rendition="#g">Soliden</hi> zur einzig brauchbaren Auffassung des räumli-<lb/>
chen Realen erhebt?</p><lb/>
              <p>Zuvörderst, das Solide selbst wird nicht ursprüng-<lb/>
lich nach drey Dimensionen bestimmt. Vielmehr, diese<lb/>
Dimensionen sind ein Erzeugni&#x017F;s des schon zur Wissen-<lb/>
schaft vordringenden Denkens. Sie sind <hi rendition="#g">die allgemei-<lb/>
nen Begriffe von denjenigen Hauptrichtungen,<lb/>
auf welche sich die sämmtlichen andern Rich-<lb/>
tungen in einem körperlichen Raume zurück-<lb/>
führen, oder woraus sich dieselben zusammen-<lb/>
setzen lassen</hi>. Die Erzeugung solcher allgemeinen<lb/>
Begriffe setzt weit vorgeschrittene Vergleichungen voraus.<lb/>
Die Hauptsache dabey ist die Erfindung des <hi rendition="#g">Perpen-<lb/>
dikels auf eine Linie, oder derjenigen Richtung,<lb/>
welche mit zweyen andern unter sich entgegen-<lb/>
gesetzten</hi> (die durch die Linie angedeutet werden)<lb/><hi rendition="#g">gar nichts gemein habe</hi>, sondern, in Beziehung auf<lb/>
sie, als eine <hi rendition="#g">völlig neue</hi> Richtung könne angesehen<lb/>
werden. Nachdem diese bekannt ist, ordnen sich die<lb/>
sämmtlichen möglichen Richtungen, welche durch Zu-<lb/>
sammenfassung beliebiger Puncte eines vor Augen lie-<lb/>
genden Körpers entstehen können, von selbst nach drey<lb/>
Perpendikeln, als den Symbolen der drey Dimensionen;<lb/>
auch bilden sich aus der Combination je zweyer Perpen-<lb/>
dikel die drey senkrechten Durchschnittsflächen durch<lb/>
den Körper. (Erklärt man das Perpendikel durch dieje-<lb/>
nige Linie, welche mit einer andern vier <hi rendition="#g">gleiche Win-<lb/>
kel</hi> macht, so mag eine solche Definition im gewöhnli-<lb/>
chen geometrischen Vortrage brauchbar seyn; aber sie<lb/>
taugt nichts, wenn man psychologische Aufschlüsse über<lb/>
die Erzeugung der geometrischen Begriffe verlangt.)</p><lb/>
              <p>Wie lange nun das Solide noch nicht auf seine<lb/>
drey Dimensionen zurückgeführt ist, &#x2014; wie lange noch<lb/>
der Mensch die Körper blo&#x017F;s in den Händen herumdreht,<lb/>
und sie von allen Seiten besieht, ohne in ihnen die Länge<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[350/0385] ten Dimension, an welche noch gar nicht gedacht wird. Was ist es denn, das in der Folge die Vorstellung des Soliden zur einzig brauchbaren Auffassung des räumli- chen Realen erhebt? Zuvörderst, das Solide selbst wird nicht ursprüng- lich nach drey Dimensionen bestimmt. Vielmehr, diese Dimensionen sind ein Erzeugniſs des schon zur Wissen- schaft vordringenden Denkens. Sie sind die allgemei- nen Begriffe von denjenigen Hauptrichtungen, auf welche sich die sämmtlichen andern Rich- tungen in einem körperlichen Raume zurück- führen, oder woraus sich dieselben zusammen- setzen lassen. Die Erzeugung solcher allgemeinen Begriffe setzt weit vorgeschrittene Vergleichungen voraus. Die Hauptsache dabey ist die Erfindung des Perpen- dikels auf eine Linie, oder derjenigen Richtung, welche mit zweyen andern unter sich entgegen- gesetzten (die durch die Linie angedeutet werden) gar nichts gemein habe, sondern, in Beziehung auf sie, als eine völlig neue Richtung könne angesehen werden. Nachdem diese bekannt ist, ordnen sich die sämmtlichen möglichen Richtungen, welche durch Zu- sammenfassung beliebiger Puncte eines vor Augen lie- genden Körpers entstehen können, von selbst nach drey Perpendikeln, als den Symbolen der drey Dimensionen; auch bilden sich aus der Combination je zweyer Perpen- dikel die drey senkrechten Durchschnittsflächen durch den Körper. (Erklärt man das Perpendikel durch dieje- nige Linie, welche mit einer andern vier gleiche Win- kel macht, so mag eine solche Definition im gewöhnli- chen geometrischen Vortrage brauchbar seyn; aber sie taugt nichts, wenn man psychologische Aufschlüsse über die Erzeugung der geometrischen Begriffe verlangt.) Wie lange nun das Solide noch nicht auf seine drey Dimensionen zurückgeführt ist, — wie lange noch der Mensch die Körper bloſs in den Händen herumdreht, und sie von allen Seiten besieht, ohne in ihnen die Länge

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/385
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/385>, abgerufen am 24.11.2024.