dem Fernrohr aufhalten, ohne dass uns der Mond im Geringsten nöthigen sollte, nun einmal von ihm abwärts zur Erde uns hin zu wenden; wir können zu anderer Zeit uns mit irdischen Dingen beschäfftigen, von denen keins uns zwingt, an den Mond auch nur zu denken. Nichts im Monde treibt uns zur Erde, nichts an der Erde führt auf den Mond; -- denn so specielle wissenschaftliche Fragen, wie die vom Grunde der Ebbe und Fluth, oder von den Gesetzen des Mondlaufs, worauf einzelne Ge- lehrte gerathen, können hier nicht in Betracht kommen, wo von allgemeinen, jedem Menschen eigenen Verstan- des-Begriffen die Rede ist.
Mitten im Gefühl unserer vollkommensten Willkühr, wodurch wir uns die Folge der wechselseitigen Wahr- nehmungen schaffen oder sie abbrechen, stört uns nun Kant, der die Folge unseres Auffassens in die Dinge hineinträgt, und aus der blossen Zeitfolge unseres An- schauens ein Wirken und Leiden, worin Mond und Erde gegenseitig sich versetzen, hervorruft! Und was ist sein Grund? Die wechselseitige Folge der Wahr- nehmungen soll im Objecte gegründet seyn! Wie? Woher kam uns denn jene Willkühr, mit der wir um uns her schaueten? Die strengste Nothwendig- keit hätte unser sinnliches Auffassen im Kreise umher führen müssen, ohne uns einen Augenblick los zu lassen, wenn eine Wechselwirkung der Dinge, in ihrem bestän- digen, gleichzeitigen Beharren, uns lenkte und beherrschte. Allein was kümmert die Objecte unser Wahrnehmen? Und wieviel offenbaren sie uns von ihrem gegenseitigen Einflusse? Ihr Zugleichseyn ist kein Gegenstand des Zweifels, ist ein ganz klarer, nicht im mindesten räthsel- hafter Gedanke; die nämliche Vorstellung der Zeit dient uns vollkommen, um darauf, wie auf einer Linie, die Grösse des Nacheinander zwischen zweyen Zuständen ei- nes sinnlichen Dinges, und auch eines zweyten, und ei- nes dritten dieser Dinge, zu verzeichnen. Läge darin der Einfluss, das Causal-Verhältniss dieser Dinge, so
dem Fernrohr aufhalten, ohne daſs uns der Mond im Geringsten nöthigen sollte, nun einmal von ihm abwärts zur Erde uns hin zu wenden; wir können zu anderer Zeit uns mit irdischen Dingen beschäfftigen, von denen keins uns zwingt, an den Mond auch nur zu denken. Nichts im Monde treibt uns zur Erde, nichts an der Erde führt auf den Mond; — denn so specielle wissenschaftliche Fragen, wie die vom Grunde der Ebbe und Fluth, oder von den Gesetzen des Mondlaufs, worauf einzelne Ge- lehrte gerathen, können hier nicht in Betracht kommen, wo von allgemeinen, jedem Menschen eigenen Verstan- des-Begriffen die Rede ist.
Mitten im Gefühl unserer vollkommensten Willkühr, wodurch wir uns die Folge der wechselseitigen Wahr- nehmungen schaffen oder sie abbrechen, stört uns nun Kant, der die Folge unseres Auffassens in die Dinge hineinträgt, und aus der bloſsen Zeitfolge unseres An- schauens ein Wirken und Leiden, worin Mond und Erde gegenseitig sich versetzen, hervorruft! Und was ist sein Grund? Die wechselseitige Folge der Wahr- nehmungen soll im Objecte gegründet seyn! Wie? Woher kam uns denn jene Willkühr, mit der wir um uns her schaueten? Die strengste Nothwendig- keit hätte unser sinnliches Auffassen im Kreise umher führen müssen, ohne uns einen Augenblick los zu lassen, wenn eine Wechselwirkung der Dinge, in ihrem bestän- digen, gleichzeitigen Beharren, uns lenkte und beherrschte. Allein was kümmert die Objecte unser Wahrnehmen? Und wieviel offenbaren sie uns von ihrem gegenseitigen Einflusse? Ihr Zugleichseyn ist kein Gegenstand des Zweifels, ist ein ganz klarer, nicht im mindesten räthsel- hafter Gedanke; die nämliche Vorstellung der Zeit dient uns vollkommen, um darauf, wie auf einer Linie, die Gröſse des Nacheinander zwischen zweyen Zuständen ei- nes sinnlichen Dinges, und auch eines zweyten, und ei- nes dritten dieser Dinge, zu verzeichnen. Läge darin der Einfluſs, das Causal-Verhältniſs dieser Dinge, so
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uns zwingt, an den Mond auch nur zu denken. Nichts
im Monde treibt uns zur Erde, nichts an der Erde führt
auf den Mond; — denn so specielle wissenschaftliche
Fragen, wie die vom Grunde der Ebbe und Fluth, oder
von den Gesetzen des Mondlaufs, worauf einzelne Ge-
lehrte gerathen, können hier nicht in Betracht kommen,
wo von allgemeinen, jedem Menschen eigenen Verstan-
des-Begriffen die Rede ist.
Mitten im Gefühl unserer vollkommensten Willkühr,
wodurch wir uns die Folge der wechselseitigen Wahr-
nehmungen schaffen oder sie abbrechen, stört uns nun
Kant, der die Folge unseres Auffassens in die Dinge
hineinträgt, und aus der bloſsen Zeitfolge unseres An-
schauens ein Wirken und Leiden, worin Mond und
Erde gegenseitig sich versetzen, hervorruft! Und was ist
sein Grund? Die wechselseitige Folge der Wahr-
nehmungen soll im Objecte gegründet seyn!
Wie? Woher kam uns denn jene Willkühr, mit der
wir um uns her schaueten? Die strengste Nothwendig-
keit hätte unser sinnliches Auffassen im Kreise umher
führen müssen, ohne uns einen Augenblick los zu lassen,
wenn eine Wechselwirkung der Dinge, in ihrem bestän-
digen, gleichzeitigen Beharren, uns lenkte und beherrschte.
Allein was kümmert die Objecte unser Wahrnehmen?
Und wieviel offenbaren sie uns von ihrem gegenseitigen
Einflusse? Ihr Zugleichseyn ist kein Gegenstand des
Zweifels, ist ein ganz klarer, nicht im mindesten räthsel-
hafter Gedanke; die nämliche Vorstellung der Zeit dient
uns vollkommen, um darauf, wie auf einer Linie, die
Gröſse des Nacheinander zwischen zweyen Zuständen ei-
nes sinnlichen Dinges, und auch eines zweyten, und ei-
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/379>, abgerufen am 24.11.2024.
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