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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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gen objectiv bevestigt werde; wir erwarten nun den Un-
terricht, wie das Zugleichseyn der nämlichen Erschei-
nungen könne wahrgenommen werden. Wie geht es
denn zu, dass Kant hier auf einmal von seinem Ge-
genstande abspringt? Lassen sich etwa blosse Zustände
der Dinge gar nicht zugleich auffassen? -- So muss es
ihm wohl geschienen haben. Und freylich, die Zustände
der Dinge sind flüchtig; sie warten nicht, dass man mit
seiner Aufmerksamkeit zwischen ihnen hin und her gehn,
um, wie Kant will, sie wechselseitig aufzufassen. Der
Observator auf der Sternwarte, dessen Uhr eben den
Eintritt der neuen Secunde hören lässt, würde übel daran
seyn, wenn er das Zugleichseyn des Sterns am Faden-
kreuz nicht anders wahrnehmen könnte, als durch wech-
selseitiges Auffassen bald des Sterns und bald des Pen-
delschlags. Beydes sind verschwindende Erscheinungen;
und weder die Uhr noch der Stern wollen verweilen, sie
sind schneller als der Wunsch, der sie noch einmal zu-
sammenfassen möchte. Noch viel unglücklicher wäre der
Musikdirector, der im Orchester das Zugleich von meh-
rern hundert Spielern und Sängern unaufhörlich von
neuem beobachten; und die geringste Abweichung auf
der Stelle
bemerklich machen muss, wenn er das Zu-
gleich nicht anders wahrnehmen könnte, als durch eine
Wechselseitigkeit im Auffassen der zugleich klingenden
Töne. Hier ist es bey weitem nicht bloss die Flüchtig-
keit der vorübereilenden Empfindungen, welche sich in
den Weg stellt: sondern der Musikdirector darf eine
solche hin und her gehende Bewegung, wie Kant ver-
langt, auch nicht einmal seinen Vorstellungen erlauben.
Seine musikalischen Gedanken müssen selbst in der ge-
messenen und continuirlichen Bewegung seyn und be-
harren, wie dort die Uhr und der Stern. Ist nicht in
seinem Geiste die unwandelbarste Regelmässigkeit des
Vorwärtsgehens, ohne irgend eine Ausbiegung seitwärts
und rückwärts: so wirft er den Tact um, den er für Alle
vesthalten soll. Auch bedarf er zum Auffassen des Zu-

gen objectiv bevestigt werde; wir erwarten nun den Un-
terricht, wie das Zugleichseyn der nämlichen Erschei-
nungen könne wahrgenommen werden. Wie geht es
denn zu, daſs Kant hier auf einmal von seinem Ge-
genstande abspringt? Lassen sich etwa bloſse Zustände
der Dinge gar nicht zugleich auffassen? — So muſs es
ihm wohl geschienen haben. Und freylich, die Zustände
der Dinge sind flüchtig; sie warten nicht, daſs man mit
seiner Aufmerksamkeit zwischen ihnen hin und her gehn,
um, wie Kant will, sie wechselseitig aufzufassen. Der
Observator auf der Sternwarte, dessen Uhr eben den
Eintritt der neuen Secunde hören läſst, würde übel daran
seyn, wenn er das Zugleichseyn des Sterns am Faden-
kreuz nicht anders wahrnehmen könnte, als durch wech-
selseitiges Auffassen bald des Sterns und bald des Pen-
delschlags. Beydes sind verschwindende Erscheinungen;
und weder die Uhr noch der Stern wollen verweilen, sie
sind schneller als der Wunsch, der sie noch einmal zu-
sammenfassen möchte. Noch viel unglücklicher wäre der
Musikdirector, der im Orchester das Zugleich von meh-
rern hundert Spielern und Sängern unaufhörlich von
neuem beobachten; und die geringste Abweichung auf
der Stelle
bemerklich machen muſs, wenn er das Zu-
gleich nicht anders wahrnehmen könnte, als durch eine
Wechselseitigkeit im Auffassen der zugleich klingenden
Töne. Hier ist es bey weitem nicht bloſs die Flüchtig-
keit der vorübereilenden Empfindungen, welche sich in
den Weg stellt: sondern der Musikdirector darf eine
solche hin und her gehende Bewegung, wie Kant ver-
langt, auch nicht einmal seinen Vorstellungen erlauben.
Seine musikalischen Gedanken müssen selbst in der ge-
messenen und continuirlichen Bewegung seyn und be-
harren, wie dort die Uhr und der Stern. Ist nicht in
seinem Geiste die unwandelbarste Regelmäſsigkeit des
Vorwärtsgehens, ohne irgend eine Ausbiegung seitwärts
und rückwärts: so wirft er den Tact um, den er für Alle
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[341/0376] gen objectiv bevestigt werde; wir erwarten nun den Un- terricht, wie das Zugleichseyn der nämlichen Erschei- nungen könne wahrgenommen werden. Wie geht es denn zu, daſs Kant hier auf einmal von seinem Ge- genstande abspringt? Lassen sich etwa bloſse Zustände der Dinge gar nicht zugleich auffassen? — So muſs es ihm wohl geschienen haben. Und freylich, die Zustände der Dinge sind flüchtig; sie warten nicht, daſs man mit seiner Aufmerksamkeit zwischen ihnen hin und her gehn, um, wie Kant will, sie wechselseitig aufzufassen. Der Observator auf der Sternwarte, dessen Uhr eben den Eintritt der neuen Secunde hören läſst, würde übel daran seyn, wenn er das Zugleichseyn des Sterns am Faden- kreuz nicht anders wahrnehmen könnte, als durch wech- selseitiges Auffassen bald des Sterns und bald des Pen- delschlags. Beydes sind verschwindende Erscheinungen; und weder die Uhr noch der Stern wollen verweilen, sie sind schneller als der Wunsch, der sie noch einmal zu- sammenfassen möchte. Noch viel unglücklicher wäre der Musikdirector, der im Orchester das Zugleich von meh- rern hundert Spielern und Sängern unaufhörlich von neuem beobachten; und die geringste Abweichung auf der Stelle bemerklich machen muſs, wenn er das Zu- gleich nicht anders wahrnehmen könnte, als durch eine Wechselseitigkeit im Auffassen der zugleich klingenden Töne. Hier ist es bey weitem nicht bloſs die Flüchtig- keit der vorübereilenden Empfindungen, welche sich in den Weg stellt: sondern der Musikdirector darf eine solche hin und her gehende Bewegung, wie Kant ver- langt, auch nicht einmal seinen Vorstellungen erlauben. Seine musikalischen Gedanken müssen selbst in der ge- messenen und continuirlichen Bewegung seyn und be- harren, wie dort die Uhr und der Stern. Ist nicht in seinem Geiste die unwandelbarste Regelmäſsigkeit des Vorwärtsgehens, ohne irgend eine Ausbiegung seitwärts und rückwärts: so wirft er den Tact um, den er für Alle vesthalten soll. Auch bedarf er zum Auffassen des Zu-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/376>, abgerufen am 24.11.2024.