tischen Lehre. Hätte Hume diese Gesetzmässigkeit ein- geräumt, so würde ihm wahrscheinlich niemals eingefal- len seyn, das Causal-Princip als ein Werk der Gewöh- nung darzustellen; denn das Gewohnte lässt sich abge- wöhnen; und die Nachweisung eines Irrthums in der an- genommenen Vorstellungsart ist unmittelbar die Auffor- derung, man solle sich ihrer entwöhnen; oder wenigstens die Möglichkeit solcher Entwöhnung eingestehen.
Mir aber giebt die vorstehende Beantwortung jenes Einwurfs, (der sich wohl besser ausführen, aber nicht beantworten lässt,) sogleich Gelegenheit, die vermeintlich sichern Grundsätze der Quantität und Qualität auch noch in Anspruch zu nehmen. Es sind die bekannten Sätze: alles räumlich Angeschaute ist eine extensive Grösse; und, alles Empfundene hat eine intensive Grösse. Der erste Satz ist factisch falsch bey den Fixsternen; denn diese sind für unsern Sinn durchaus nichts mehr als mathema- tische Puncte; indem sie gerade eben so erscheinen, wie es geschehen würde, wenn ihr Durchmesser abnähme, und die Intensität des Lichts dagegen wüchse. Der zweyte Satz ist in so fern metaphysisch unrichtig, als die totale Selbsterhaltung der Seele, wovon jede graduelle Sinnes-Empfindung nur ein Bruch ist, selbst, an sich, gar keine Grösse hat; so wenig wie die Seele die sich erhält. (Für uns aber sind solche Empfindungen, die für total gelten können, allemal mit heftigen Reizungen des Organs verknüpft: wodurch die Empfindung mit ei- nem Schmerze gemischt wird, der sich davon nicht tren- nen lässt; wie wenn wir in die Mittagssonne schauen, eine heftige, betäubende Explosion hören, u. d. gl.) Man berufe sich also nur nicht zuversichtlich auf jene Grund- sätze, die vielmehr eine sehr mangelhafte Kenntniss der Bedingungen beweisen, unter welchen sich die sinnlichen Empfindungen erzeugen.
Dass übrigens Verstand und Sinnlichkeit zu einem Zwecke vereinigt wären, wird die heutige Welt schwer- lich bereitwilliger einräumen, als ich einräume, dass man
tischen Lehre. Hätte Hume diese Gesetzmäſsigkeit ein- geräumt, so würde ihm wahrscheinlich niemals eingefal- len seyn, das Causal-Princip als ein Werk der Gewöh- nung darzustellen; denn das Gewohnte läſst sich abge- wöhnen; und die Nachweisung eines Irrthums in der an- genommenen Vorstellungsart ist unmittelbar die Auffor- derung, man solle sich ihrer entwöhnen; oder wenigstens die Möglichkeit solcher Entwöhnung eingestehen.
Mir aber giebt die vorstehende Beantwortung jenes Einwurfs, (der sich wohl besser ausführen, aber nicht beantworten läſst,) sogleich Gelegenheit, die vermeintlich sichern Grundsätze der Quantität und Qualität auch noch in Anspruch zu nehmen. Es sind die bekannten Sätze: alles räumlich Angeschaute ist eine extensive Gröſse; und, alles Empfundene hat eine intensive Gröſse. Der erste Satz ist factisch falsch bey den Fixsternen; denn diese sind für unsern Sinn durchaus nichts mehr als mathema- tische Puncte; indem sie gerade eben so erscheinen, wie es geschehen würde, wenn ihr Durchmesser abnähme, und die Intensität des Lichts dagegen wüchse. Der zweyte Satz ist in so fern metaphysisch unrichtig, als die totale Selbsterhaltung der Seele, wovon jede graduelle Sinnes-Empfindung nur ein Bruch ist, selbst, an sich, gar keine Gröſse hat; so wenig wie die Seele die sich erhält. (Für uns aber sind solche Empfindungen, die für total gelten können, allemal mit heftigen Reizungen des Organs verknüpft: wodurch die Empfindung mit ei- nem Schmerze gemischt wird, der sich davon nicht tren- nen läſst; wie wenn wir in die Mittagssonne schauen, eine heftige, betäubende Explosion hören, u. d. gl.) Man berufe sich also nur nicht zuversichtlich auf jene Grund- sätze, die vielmehr eine sehr mangelhafte Kenntniſs der Bedingungen beweisen, unter welchen sich die sinnlichen Empfindungen erzeugen.
Daſs übrigens Verstand und Sinnlichkeit zu einem Zwecke vereinigt wären, wird die heutige Welt schwer- lich bereitwilliger einräumen, als ich einräume, daſs man
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tischen Lehre. Hätte Hume diese Gesetzmäſsigkeit ein-
geräumt, so würde ihm wahrscheinlich niemals eingefal-
len seyn, das Causal-Princip als ein Werk der Gewöh-
nung darzustellen; denn das Gewohnte läſst sich abge-
wöhnen; und die Nachweisung eines Irrthums in der an-
genommenen Vorstellungsart ist unmittelbar die Auffor-
derung, man solle sich ihrer entwöhnen; oder wenigstens
die Möglichkeit solcher Entwöhnung eingestehen.
Mir aber giebt die vorstehende Beantwortung jenes
Einwurfs, (der sich wohl besser ausführen, aber nicht
beantworten läſst,) sogleich Gelegenheit, die vermeintlich
sichern Grundsätze der Quantität und Qualität auch noch
in Anspruch zu nehmen. Es sind die bekannten Sätze:
alles räumlich Angeschaute ist eine extensive Gröſse; und,
alles Empfundene hat eine intensive Gröſse. Der erste
Satz ist factisch falsch bey den Fixsternen; denn diese
sind für unsern Sinn durchaus nichts mehr als mathema-
tische Puncte; indem sie gerade eben so erscheinen, wie
es geschehen würde, wenn ihr Durchmesser abnähme,
und die Intensität des Lichts dagegen wüchse. Der
zweyte Satz ist in so fern metaphysisch unrichtig, als die
totale Selbsterhaltung der Seele, wovon jede graduelle
Sinnes-Empfindung nur ein Bruch ist, selbst, an sich,
gar keine Gröſse hat; so wenig wie die Seele die sich
erhält. (Für uns aber sind solche Empfindungen, die
für total gelten können, allemal mit heftigen Reizungen
des Organs verknüpft: wodurch die Empfindung mit ei-
nem Schmerze gemischt wird, der sich davon nicht tren-
nen läſst; wie wenn wir in die Mittagssonne schauen,
eine heftige, betäubende Explosion hören, u. d. gl.) Man
berufe sich also nur nicht zuversichtlich auf jene Grund-
sätze, die vielmehr eine sehr mangelhafte Kenntniſs der
Bedingungen beweisen, unter welchen sich die sinnlichen
Empfindungen erzeugen.
Daſs übrigens Verstand und Sinnlichkeit zu einem
Zwecke vereinigt wären, wird die heutige Welt schwer-
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/365>, abgerufen am 24.11.2024.
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