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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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Vorurtheils, die Ursache sey der Zeit nach vor der
Wirkung. Man bemerke die doppelte Zurechnung, (wenn
der Ausdruck erlaubt ist), vermöge deren das neue, in
der Veränderung hervorgetretene Merkmal theils auf die
Sache die sich verändert, theils auf die Ursache bezogen
wird. Nach geschehener Veränderung liegt unstreitig das
neue Merkmal in derjenigen Complexion von Merkmalen,
welche für die veränderte Sache gehalten wird. Aber
aus dieser, der längst wohlbekannten, wie sie früher war,
wird es verwiesen; es wird zurückgeschoben an die Ur-
sache, deren wahres Eigenthum es seyn soll. Gleich-
wohl wenn man die Ursache als eine Sache für sich be-
trachtet, befindet es sich nicht unter ihren Merkmalen;
vielmehr, der Augenschein dringt darauf, das neue Merk-
mal sey jetzo eine Eigenschaft jener Sache, die nun ein-
mal die Veränderung erlitten hat. Was für ein Begriff
kann sich daraus erzeugen? Kein anderer als dieser: in
der vorigen Zeit, als noch das veränderte Ding sich in
seiner wahren Natur zeigte, müsse das ihm neuerlich
aufgedrungene Merkmal verborgen gelegen haben in
der Ursache; aus dieser und von dieser sey es gekom-
men; und herübergewandert an den unrechten Ort, wo
es sich jetzo befinde. So verborgen denkt man sich den
Tod im Arsenik; die Gesundheit in der Arzney; als et-
was, das im Begriff ist, daraus hervorzutreten; als eine
von da ausgehende Reihe. So muss denn die Ursache,
die da Schuld ist an der Veränderung, schon vorher
existirt haben; und wer weiss, wie lange sie diese Schuld
schon in ihrem Herzen getragen hat! Denn dass die
Ursache sich selbst in einer Veränderung zeige, indem
sie wirke; dass diese Veränderung abermals eine Ursache
erfordere, und so fort, dies ist eine spätere Bemerkung,
welche sogleich in metaphysische Speculation übergeht,
und der frühern Vorstellungsart, die wir so eben erläu-
terten, den Umsturz bereitet.

Vorurtheils, die Ursache sey der Zeit nach vor der
Wirkung. Man bemerke die doppelte Zurechnung, (wenn
der Ausdruck erlaubt ist), vermöge deren das neue, in
der Veränderung hervorgetretene Merkmal theils auf die
Sache die sich verändert, theils auf die Ursache bezogen
wird. Nach geschehener Veränderung liegt unstreitig das
neue Merkmal in derjenigen Complexion von Merkmalen,
welche für die veränderte Sache gehalten wird. Aber
aus dieser, der längst wohlbekannten, wie sie früher war,
wird es verwiesen; es wird zurückgeschoben an die Ur-
sache, deren wahres Eigenthum es seyn soll. Gleich-
wohl wenn man die Ursache als eine Sache für sich be-
trachtet, befindet es sich nicht unter ihren Merkmalen;
vielmehr, der Augenschein dringt darauf, das neue Merk-
mal sey jetzo eine Eigenschaft jener Sache, die nun ein-
mal die Veränderung erlitten hat. Was für ein Begriff
kann sich daraus erzeugen? Kein anderer als dieser: in
der vorigen Zeit, als noch das veränderte Ding sich in
seiner wahren Natur zeigte, müsse das ihm neuerlich
aufgedrungene Merkmal verborgen gelegen haben in
der Ursache; aus dieser und von dieser sey es gekom-
men; und herübergewandert an den unrechten Ort, wo
es sich jetzo befinde. So verborgen denkt man sich den
Tod im Arsenik; die Gesundheit in der Arzney; als et-
was, das im Begriff ist, daraus hervorzutreten; als eine
von da ausgehende Reihe. So muſs denn die Ursache,
die da Schuld ist an der Veränderung, schon vorher
existirt haben; und wer weiſs, wie lange sie diese Schuld
schon in ihrem Herzen getragen hat! Denn daſs die
Ursache sich selbst in einer Veränderung zeige, indem
sie wirke; daſs diese Veränderung abermals eine Ursache
erfordere, und so fort, dies ist eine spätere Bemerkung,
welche sogleich in metaphysische Speculation übergeht,
und der frühern Vorstellungsart, die wir so eben erläu-
terten, den Umsturz bereitet.

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[324/0359] Vorurtheils, die Ursache sey der Zeit nach vor der Wirkung. Man bemerke die doppelte Zurechnung, (wenn der Ausdruck erlaubt ist), vermöge deren das neue, in der Veränderung hervorgetretene Merkmal theils auf die Sache die sich verändert, theils auf die Ursache bezogen wird. Nach geschehener Veränderung liegt unstreitig das neue Merkmal in derjenigen Complexion von Merkmalen, welche für die veränderte Sache gehalten wird. Aber aus dieser, der längst wohlbekannten, wie sie früher war, wird es verwiesen; es wird zurückgeschoben an die Ur- sache, deren wahres Eigenthum es seyn soll. Gleich- wohl wenn man die Ursache als eine Sache für sich be- trachtet, befindet es sich nicht unter ihren Merkmalen; vielmehr, der Augenschein dringt darauf, das neue Merk- mal sey jetzo eine Eigenschaft jener Sache, die nun ein- mal die Veränderung erlitten hat. Was für ein Begriff kann sich daraus erzeugen? Kein anderer als dieser: in der vorigen Zeit, als noch das veränderte Ding sich in seiner wahren Natur zeigte, müsse das ihm neuerlich aufgedrungene Merkmal verborgen gelegen haben in der Ursache; aus dieser und von dieser sey es gekom- men; und herübergewandert an den unrechten Ort, wo es sich jetzo befinde. So verborgen denkt man sich den Tod im Arsenik; die Gesundheit in der Arzney; als et- was, das im Begriff ist, daraus hervorzutreten; als eine von da ausgehende Reihe. So muſs denn die Ursache, die da Schuld ist an der Veränderung, schon vorher existirt haben; und wer weiſs, wie lange sie diese Schuld schon in ihrem Herzen getragen hat! Denn daſs die Ursache sich selbst in einer Veränderung zeige, indem sie wirke; daſs diese Veränderung abermals eine Ursache erfordere, und so fort, dies ist eine spätere Bemerkung, welche sogleich in metaphysische Speculation übergeht, und der frühern Vorstellungsart, die wir so eben erläu- terten, den Umsturz bereitet.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/359>, abgerufen am 23.11.2024.