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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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Complexion von Merkmalen. Die Veränderung besteht
darin, dass aus der Complexion ein Merkmal (wo nicht
mehrere) entweicht, ein entgegengesetztes an die Stelle
tritt. Wegen der übrigen, beharrenden Merkmale wird
dennoch die Sache für dieselbe gehalten wie zuvor.
Während nun das neue Merkmal als ein Fremdes, von
aussen eingedrungenes angesehen wird; (denn die alte
Vorstellung der Sache, wie sie war, und die neue, wie
sie nach der Veränderung ist, hemmen und drängen ein-
ander): schreibt man ihm gleichwohl kein selbstständiges
Daseyn zu; indem man im Allgemeinen schon gewohnt
ist, ein solches Merkmal als etwas inhärirendes zu be-
trachten; oder indem es vielleicht gar nicht einmal mög-
lich ist, ihm Selbstständigkeit beyzulegen. Hat sich z. B.
die Farbe, oder die Härte geändert, so ist man aus der
Kenntniss der sinnlichen Dinge schon geübt, dergleichen
bloss als Eigenschaft irgend einer Sache zu betrachten;
ändert sich aber die Richtung eines bewegten Körpers,
so lässt sich die neue Richtung, da sie eine blosse Raum-
bestimmung ist, überall nicht für sich allein denken.
Demnach ist ein Bedürfniss vorhanden, das in der Ver-
änderung hervorgegangene Merkmal an etwas Selbststän-
diges, an eine Sache bequemer als vorhin anzulehnen.
Dies geschieht wirklich, sobald neben dem Veränderten
jedesmal eine andre, hinzugetretene Sache beobachtet
wird; als welche sich nun muss gefallen lassen, ein Merk-
mal aufzunehmen, das zwar mit ihr verknüpft ist, näm-
lich als Glied einer von ihr ausgehenden Reihe, (wie
wenn wir das Bley als schwer und niederdrückend, das
Feuer als verzehrend, das Scheidewasser als fressend,
den Arsenik als giftig denken;) das jedoch in ihr selbst,
die auch eine Complexion von Merkmalen ist, genau ge-
nommen nicht angetroffen wird, sondern das vielmehr in
jener veränderten Sache, (der verzehrten, zerfresse-
nen, u. s. w.) Platz genommen hat. Auf diese Weise
entsteht ein neuer Begriff, der sich an den der Sachen
nicht bloss anhängt, sondern der sich fernern Verbes-

Complexion von Merkmalen. Die Veränderung besteht
darin, daſs aus der Complexion ein Merkmal (wo nicht
mehrere) entweicht, ein entgegengesetztes an die Stelle
tritt. Wegen der übrigen, beharrenden Merkmale wird
dennoch die Sache für dieselbe gehalten wie zuvor.
Während nun das neue Merkmal als ein Fremdes, von
auſsen eingedrungenes angesehen wird; (denn die alte
Vorstellung der Sache, wie sie war, und die neue, wie
sie nach der Veränderung ist, hemmen und drängen ein-
ander): schreibt man ihm gleichwohl kein selbstständiges
Daseyn zu; indem man im Allgemeinen schon gewohnt
ist, ein solches Merkmal als etwas inhärirendes zu be-
trachten; oder indem es vielleicht gar nicht einmal mög-
lich ist, ihm Selbstständigkeit beyzulegen. Hat sich z. B.
die Farbe, oder die Härte geändert, so ist man aus der
Kenntniſs der sinnlichen Dinge schon geübt, dergleichen
bloſs als Eigenschaft irgend einer Sache zu betrachten;
ändert sich aber die Richtung eines bewegten Körpers,
so läſst sich die neue Richtung, da sie eine bloſse Raum-
bestimmung ist, überall nicht für sich allein denken.
Demnach ist ein Bedürfniſs vorhanden, das in der Ver-
änderung hervorgegangene Merkmal an etwas Selbststän-
diges, an eine Sache bequemer als vorhin anzulehnen.
Dies geschieht wirklich, sobald neben dem Veränderten
jedesmal eine andre, hinzugetretene Sache beobachtet
wird; als welche sich nun muſs gefallen lassen, ein Merk-
mal aufzunehmen, das zwar mit ihr verknüpft ist, näm-
lich als Glied einer von ihr ausgehenden Reihe, (wie
wenn wir das Bley als schwer und niederdrückend, das
Feuer als verzehrend, das Scheidewasser als fressend,
den Arsenik als giftig denken;) das jedoch in ihr selbst,
die auch eine Complexion von Merkmalen ist, genau ge-
nommen nicht angetroffen wird, sondern das vielmehr in
jener veränderten Sache, (der verzehrten, zerfresse-
nen, u. s. w.) Platz genommen hat. Auf diese Weise
entsteht ein neuer Begriff, der sich an den der Sachen
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[322/0357] Complexion von Merkmalen. Die Veränderung besteht darin, daſs aus der Complexion ein Merkmal (wo nicht mehrere) entweicht, ein entgegengesetztes an die Stelle tritt. Wegen der übrigen, beharrenden Merkmale wird dennoch die Sache für dieselbe gehalten wie zuvor. Während nun das neue Merkmal als ein Fremdes, von auſsen eingedrungenes angesehen wird; (denn die alte Vorstellung der Sache, wie sie war, und die neue, wie sie nach der Veränderung ist, hemmen und drängen ein- ander): schreibt man ihm gleichwohl kein selbstständiges Daseyn zu; indem man im Allgemeinen schon gewohnt ist, ein solches Merkmal als etwas inhärirendes zu be- trachten; oder indem es vielleicht gar nicht einmal mög- lich ist, ihm Selbstständigkeit beyzulegen. Hat sich z. B. die Farbe, oder die Härte geändert, so ist man aus der Kenntniſs der sinnlichen Dinge schon geübt, dergleichen bloſs als Eigenschaft irgend einer Sache zu betrachten; ändert sich aber die Richtung eines bewegten Körpers, so läſst sich die neue Richtung, da sie eine bloſse Raum- bestimmung ist, überall nicht für sich allein denken. Demnach ist ein Bedürfniſs vorhanden, das in der Ver- änderung hervorgegangene Merkmal an etwas Selbststän- diges, an eine Sache bequemer als vorhin anzulehnen. Dies geschieht wirklich, sobald neben dem Veränderten jedesmal eine andre, hinzugetretene Sache beobachtet wird; als welche sich nun muſs gefallen lassen, ein Merk- mal aufzunehmen, das zwar mit ihr verknüpft ist, näm- lich als Glied einer von ihr ausgehenden Reihe, (wie wenn wir das Bley als schwer und niederdrückend, das Feuer als verzehrend, das Scheidewasser als fressend, den Arsenik als giftig denken;) das jedoch in ihr selbst, die auch eine Complexion von Merkmalen ist, genau ge- nommen nicht angetroffen wird, sondern das vielmehr in jener veränderten Sache, (der verzehrten, zerfresse- nen, u. s. w.) Platz genommen hat. Auf diese Weise entsteht ein neuer Begriff, der sich an den der Sachen nicht bloſs anhängt, sondern der sich fernern Verbes-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/357>, abgerufen am 23.11.2024.