rung hätte unterbleiben sollen, ja dass sie würde unter- blieben seyn, und dagegen das jetzo veränderte Ding in seinem vorigen Zustande würde beharret haben. Wenn die anziehende Kraft der Sonne wegfiele, sagt der Astronom, so würde jeder Planet die Richtung sei- ner Bahn, die er einmal hat, behalten; er würde in dem Augenblicke, da die Sonne aufhörte in ihn zu wirken, nach der Tangente seiner Bahn fortgehn. -- Gleichwohl krümmt sich die Bahn des Planeten. Geschieht dies ohne Ursache: so liegt der Widerspruch vor Augen, dass, obgleich er seine vorige Bewegung noch hat, diese doch der Richtung nach nicht mehr dieselbe ist wie zuvor. Eben diesen Widerspruch ergeben alle Veränderungen ohne Ursachen. Das Veränderte soll noch dasselbe, und auch nicht dasselbe seyn wie zuvor! -- Und der Wider- spruch kann nur gelös't werden, indem man sich weigert, die Veränderung als etwas der eigenen Natur des verän- derten Gegenstandes angehöriges zu betrachten; indem man sie vielmehr als etwas Fremdes, von aussen einge- drungenes bezeichnet; das also auf das Aeussere, auf die stets begleitenden Umstände müsse geschoben werden.
Hier finde ich mich wieder bey der schon im §. 35. und anderwärts gegebenen Erläuterung. Um diese hier im psychologischen Sinne zu vollenden, also, um nachzuweisen, wie der gemeine Verstand sich den Cau- salbegriff denke, und wieweit er damit komme, welche Schwierigkeiten er eben dadurch für die Meta- physik zurücklasse: muss ich zuerst wieder an die Begriffe von Sachen und von Substanzen erinnern. (§. 118. 139--141.) Dabey nun werde ich allerdings zum Theil auf Humes Weg kommen; denn in welchem unvoll- kommenen, schlechten, der Wissenschaft unerträglichen Zustande sich gemeinhin und grossentheils der Be- griff der Ursache in den Köpfen der Menschen wirklich befinde, das hat Hume nur gar zu treffend nachgewiesen.
Sowohl das Veränderte als das Verändernde wird ursprünglich als eine Sache aufgefasst. Dennoch als eine
II. X
rung hätte unterbleiben sollen, ja daſs sie würde unter- blieben seyn, und dagegen das jetzo veränderte Ding in seinem vorigen Zustande würde beharret haben. Wenn die anziehende Kraft der Sonne wegfiele, sagt der Astronom, so würde jeder Planet die Richtung sei- ner Bahn, die er einmal hat, behalten; er würde in dem Augenblicke, da die Sonne aufhörte in ihn zu wirken, nach der Tangente seiner Bahn fortgehn. — Gleichwohl krümmt sich die Bahn des Planeten. Geschieht dies ohne Ursache: so liegt der Widerspruch vor Augen, daſs, obgleich er seine vorige Bewegung noch hat, diese doch der Richtung nach nicht mehr dieselbe ist wie zuvor. Eben diesen Widerspruch ergeben alle Veränderungen ohne Ursachen. Das Veränderte soll noch dasselbe, und auch nicht dasselbe seyn wie zuvor! — Und der Wider- spruch kann nur gelös’t werden, indem man sich weigert, die Veränderung als etwas der eigenen Natur des verän- derten Gegenstandes angehöriges zu betrachten; indem man sie vielmehr als etwas Fremdes, von auſsen einge- drungenes bezeichnet; das also auf das Aeuſsere, auf die stets begleitenden Umstände müsse geschoben werden.
Hier finde ich mich wieder bey der schon im §. 35. und anderwärts gegebenen Erläuterung. Um diese hier im psychologischen Sinne zu vollenden, also, um nachzuweisen, wie der gemeine Verstand sich den Cau- salbegriff denke, und wieweit er damit komme, welche Schwierigkeiten er eben dadurch für die Meta- physik zurücklasse: muſs ich zuerst wieder an die Begriffe von Sachen und von Substanzen erinnern. (§. 118. 139—141.) Dabey nun werde ich allerdings zum Theil auf Humes Weg kommen; denn in welchem unvoll- kommenen, schlechten, der Wissenschaft unerträglichen Zustande sich gemeinhin und groſsentheils der Be- griff der Ursache in den Köpfen der Menschen wirklich befinde, das hat Hume nur gar zu treffend nachgewiesen.
Sowohl das Veränderte als das Verändernde wird ursprünglich als eine Sache aufgefaſst. Dennoch als eine
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rung hätte unterbleiben sollen, ja daſs sie würde unter-
blieben seyn, und dagegen das jetzo veränderte Ding in
seinem vorigen Zustande würde beharret haben.
Wenn die anziehende Kraft der Sonne wegfiele, sagt
der Astronom, so würde jeder Planet die Richtung sei-
ner Bahn, die er einmal hat, behalten; er würde in dem
Augenblicke, da die Sonne aufhörte in ihn zu wirken,
nach der Tangente seiner Bahn fortgehn. — Gleichwohl
krümmt sich die Bahn des Planeten. Geschieht dies
ohne Ursache: so liegt der Widerspruch vor Augen, daſs,
obgleich er seine vorige Bewegung noch hat, diese doch
der Richtung nach nicht mehr dieselbe ist wie zuvor.
Eben diesen Widerspruch ergeben alle Veränderungen
ohne Ursachen. Das Veränderte soll noch dasselbe, und
auch nicht dasselbe seyn wie zuvor! — Und der Wider-
spruch kann nur gelös’t werden, indem man sich weigert,
die Veränderung als etwas der eigenen Natur des verän-
derten Gegenstandes angehöriges zu betrachten; indem
man sie vielmehr als etwas Fremdes, von auſsen einge-
drungenes bezeichnet; das also auf das Aeuſsere, auf die
stets begleitenden Umstände müsse geschoben werden.
Hier finde ich mich wieder bey der schon im §. 35.
und anderwärts gegebenen Erläuterung. Um diese hier
im psychologischen Sinne zu vollenden, also, um
nachzuweisen, wie der gemeine Verstand sich den Cau-
salbegriff denke, und wieweit er damit komme, welche
Schwierigkeiten er eben dadurch für die Meta-
physik zurücklasse: muſs ich zuerst wieder an die
Begriffe von Sachen und von Substanzen erinnern. (§. 118.
139—141.) Dabey nun werde ich allerdings zum Theil
auf Humes Weg kommen; denn in welchem unvoll-
kommenen, schlechten, der Wissenschaft unerträglichen
Zustande sich gemeinhin und groſsentheils der Be-
griff der Ursache in den Köpfen der Menschen wirklich
befinde, das hat Hume nur gar zu treffend nachgewiesen.
Sowohl das Veränderte als das Verändernde wird
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/356>, abgerufen am 23.11.2024.
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