Ursache haben müsse? -- Hierin liegt, aufs gelindeste gesagt, eine gefährliche Zweydeutigkeit des Ausdrucks. Soll das Wort Existenz soviel bedeuten als reines Seyn, so ist die Frage verschroben, und die drey Be- griffe des Seyn, des Anfangs, also der Zeit, und der Causalbegriff, sind allzumal durch ihre verkehrte Zu- sammensetzung verdorben. (Man kann hier den zweyten und dritten Abschnitt des vierten Theils in meinem Lehr- buch zur Einleitung in die Philosophie vergleichen.) Soll hingegen die Frage einen richtigen Sinn haben, so muss man eine solche Existenz verstehen, die wirklich anfangen könne, also nach Römischem Sinne des Worts existere, ein hervortretendes Accidens an irgend einer Substanz, denn nur das Accidens fällt in die Zeit, nicht aber die Substanz. Dafür nun wird sich in der That der Grund angeben lassen, weshalb wir schon im ge- meinen Leben sagen, das Accidens erfordere zu seinem Hervortreten eine Ursache; und wir werden gleich mit Mehrerem darauf kommen. Hier aber merke man zu- vörderst, wie leicht es geschehe, dass die falsche Stel- lung der Frage, die ganze Untersuchung verderbe. Ver- änderungen sind es, und sie ganz allein, denen Ursa- chen zugehören. Wer den Begriff des Seyn gehörig erwogen hat, wird nimmermehr dafür eine Ursache ver- langen; obgleich auch Leibnitz irgendwo nach einem zureichenden Grunde fragt, warum vielmehr etwas sey als nichts sey. Weiter kann ich mich auf diesen rein metaphysischen Gegenstand hier nicht einlassen.
Hume behauptet nun weiter, die Begriffe der Ur- sache und Wirkung seyen verschieden; darum seyen sie trennbar. Er fügt ausdrücklich den Obersatz seines Syllogismus hinzu: Alle verschiedenen Begriffe lassen sich trennen. Dieser Obersatz ist so offen- bar falsch, dass man sich fast schämen muss, ihn zu wi- derlegen. Kannte denn Hume nicht das erste, merkwür- digste, aller Speculation zum Grunde liegende Factum, dass es Begriffe giebt, die verschieden sind, und sich
Ursache haben müsse? — Hierin liegt, aufs gelindeste gesagt, eine gefährliche Zweydeutigkeit des Ausdrucks. Soll das Wort Existenz soviel bedeuten als reines Seyn, so ist die Frage verschroben, und die drey Be- griffe des Seyn, des Anfangs, also der Zeit, und der Causalbegriff, sind allzumal durch ihre verkehrte Zu- sammensetzung verdorben. (Man kann hier den zweyten und dritten Abschnitt des vierten Theils in meinem Lehr- buch zur Einleitung in die Philosophie vergleichen.) Soll hingegen die Frage einen richtigen Sinn haben, so muſs man eine solche Existenz verstehen, die wirklich anfangen könne, also nach Römischem Sinne des Worts exiſtere, ein hervortretendes Accidens an irgend einer Substanz, denn nur das Accidens fällt in die Zeit, nicht aber die Substanz. Dafür nun wird sich in der That der Grund angeben lassen, weshalb wir schon im ge- meinen Leben sagen, das Accidens erfordere zu seinem Hervortreten eine Ursache; und wir werden gleich mit Mehrerem darauf kommen. Hier aber merke man zu- vörderst, wie leicht es geschehe, daſs die falsche Stel- lung der Frage, die ganze Untersuchung verderbe. Ver- änderungen sind es, und sie ganz allein, denen Ursa- chen zugehören. Wer den Begriff des Seyn gehörig erwogen hat, wird nimmermehr dafür eine Ursache ver- langen; obgleich auch Leibnitz irgendwo nach einem zureichenden Grunde fragt, warum vielmehr etwas sey als nichts sey. Weiter kann ich mich auf diesen rein metaphysischen Gegenstand hier nicht einlassen.
Hume behauptet nun weiter, die Begriffe der Ur- sache und Wirkung seyen verschieden; darum seyen sie trennbar. Er fügt ausdrücklich den Obersatz seines Syllogismus hinzu: Alle verschiedenen Begriffe lassen sich trennen. Dieser Obersatz ist so offen- bar falsch, daſs man sich fast schämen muſs, ihn zu wi- derlegen. Kannte denn Hume nicht das erste, merkwür- digste, aller Speculation zum Grunde liegende Factum, daſs es Begriffe giebt, die verschieden sind, und sich
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griffe des Seyn, des Anfangs, also der Zeit, und der
Causalbegriff, sind allzumal durch ihre verkehrte Zu-
sammensetzung verdorben. (Man kann hier den zweyten
und dritten Abschnitt des vierten Theils in meinem Lehr-
buch zur Einleitung in die Philosophie vergleichen.)
Soll hingegen die Frage einen richtigen Sinn haben, so
muſs man eine solche Existenz verstehen, die wirklich
anfangen könne, also nach Römischem Sinne des Worts
exiſtere, ein hervortretendes Accidens an irgend einer
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aber die Substanz. Dafür nun wird sich in der That
der Grund angeben lassen, weshalb wir schon im ge-
meinen Leben sagen, das Accidens erfordere zu seinem
Hervortreten eine Ursache; und wir werden gleich mit
Mehrerem darauf kommen. Hier aber merke man zu-
vörderst, wie leicht es geschehe, daſs die falsche Stel-
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änderungen sind es, und sie ganz allein, denen Ursa-
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erwogen hat, wird nimmermehr dafür eine Ursache ver-
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als nichts sey. Weiter kann ich mich auf diesen rein
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Hume behauptet nun weiter, die Begriffe der Ur-
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digste, aller Speculation zum Grunde liegende Factum,
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/353>, abgerufen am 22.11.2024.
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