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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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"der zu gleicher Zeit gelb und schmelzbar ist, und der
"Capelle widersteht, so halte ich diesen Körper für ei-
"nen solchen, dessen specifisches Wesen, so unbe-
"kannt es uns auch seiner innern Beschaffen-
"heit nach seyn mag, diese Eigenschaften als
"Grundeigenschaften enthält, und durch sie we-
"nigstens verworren erkannt werden kann
*)."

Leibnitz muss durch Locke's Weitläuftigkeit ge-
hindert seyn, sich in dem, von ihm zwar ausgezogenen
Werke genau umzusehn; sonst würden ihm mehrere
Stellen, unter andern folgende aufgestossen seyn, aus der
er sehen konnte, dass sein Gegner wenigstens einen Theil
dessen wohl wusste, was er ihn lehren wollte: It is evi-
dent, that the bulk, figure, and motion of several bodies
about us, produce in us several sensations, as of colours,
sounds, tastes, smells, pleasure, and pain, etc.
**). Trotz
dem sagt Leibnitz: "Sie scheinen noch immer anzuneh-
"men, dass die sinnlichen Beschaffenheiten, oder, um mich
"besser auszudrücken, dass unsre Ideen davon, nicht von
"den Figuren und natürlichen Bewegungen, sondern le-
"diglich von dem freyen Belieben Gottes, der
"uns diese Ideen giebt
, abhängen ***)." So misver-
stand Leibnitz einige von den frommen Aeusserungen
Locke's! -- Aber Locke fährt in jener Stelle folgen-
dermaassen fort: These mechanical affections of bodies
having no affinity at all with those ideas they produce
in us, etc.
Wenn solche Behauptungen dem Erfinder
der prästabilirten Harmonie nicht zusagten (weil nach der
letzteren kein Uebergang von jenen mechanischen Affe-
ctionen zu unserer Erkenntniss statt findet): so sind sie
gleichwohl viel leidlicher, als jene verworrene Kennt-

*) S. 329. im zweyten Bande der Uebersetzung der Raspeschen
Sammlung, von Ulrich.
**) Book IV. Chap. VI. §. 28.
***) Ulrichs angeführte Uebersetzung. Bd. 2. S. 325.

„der zu gleicher Zeit gelb und schmelzbar ist, und der
„Capelle widersteht, so halte ich diesen Körper für ei-
„nen solchen, dessen specifisches Wesen, so unbe-
„kannt es uns auch seiner innern Beschaffen-
„heit nach seyn mag, diese Eigenschaften als
„Grundeigenschaften enthält, und durch sie we-
„nigstens verworren erkannt werden kann
*).“

Leibnitz muſs durch Locke’s Weitläuftigkeit ge-
hindert seyn, sich in dem, von ihm zwar ausgezogenen
Werke genau umzusehn; sonst würden ihm mehrere
Stellen, unter andern folgende aufgestoſsen seyn, aus der
er sehen konnte, daſs sein Gegner wenigstens einen Theil
dessen wohl wuſste, was er ihn lehren wollte: It is evi-
dent, that the bulk, figure, and motion of ſeveral bodies
about us, produce in us ſeveral ſenſations, as of colours,
ſounds, taſtes, ſmells, pleaſure, and pain, etc.
**). Trotz
dem sagt Leibnitz: „Sie scheinen noch immer anzuneh-
„men, daſs die sinnlichen Beschaffenheiten, oder, um mich
„besser auszudrücken, daſs unsre Ideen davon, nicht von
„den Figuren und natürlichen Bewegungen, sondern le-
„diglich von dem freyen Belieben Gottes, der
„uns diese Ideen giebt
, abhängen ***).“ So misver-
stand Leibnitz einige von den frommen Aeuſserungen
Locke’s! — Aber Locke fährt in jener Stelle folgen-
dermaaſsen fort: Theſe mechanical affections of bodies
having no affinity at all with those ideas they produce
in us, etc.
Wenn solche Behauptungen dem Erfinder
der prästabilirten Harmonie nicht zusagten (weil nach der
letzteren kein Uebergang von jenen mechanischen Affe-
ctionen zu unserer Erkenntniſs statt findet): so sind sie
gleichwohl viel leidlicher, als jene verworrene Kennt-

*) S. 329. im zweyten Bande der Uebersetzung der Raspeschen
Sammlung, von Ulrich.
**) Book IV. Chap. VI. §. 28.
***) Ulrichs angeführte Uebersetzung. Bd. 2. S. 325.
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[303/0338] „der zu gleicher Zeit gelb und schmelzbar ist, und der „Capelle widersteht, so halte ich diesen Körper für ei- „nen solchen, dessen specifisches Wesen, so unbe- „kannt es uns auch seiner innern Beschaffen- „heit nach seyn mag, diese Eigenschaften als „Grundeigenschaften enthält, und durch sie we- „nigstens verworren erkannt werden kann *).“ Leibnitz muſs durch Locke’s Weitläuftigkeit ge- hindert seyn, sich in dem, von ihm zwar ausgezogenen Werke genau umzusehn; sonst würden ihm mehrere Stellen, unter andern folgende aufgestoſsen seyn, aus der er sehen konnte, daſs sein Gegner wenigstens einen Theil dessen wohl wuſste, was er ihn lehren wollte: It is evi- dent, that the bulk, figure, and motion of ſeveral bodies about us, produce in us ſeveral ſenſations, as of colours, ſounds, taſtes, ſmells, pleaſure, and pain, etc. **). Trotz dem sagt Leibnitz: „Sie scheinen noch immer anzuneh- „men, daſs die sinnlichen Beschaffenheiten, oder, um mich „besser auszudrücken, daſs unsre Ideen davon, nicht von „den Figuren und natürlichen Bewegungen, sondern le- „diglich von dem freyen Belieben Gottes, der „uns diese Ideen giebt, abhängen ***).“ So misver- stand Leibnitz einige von den frommen Aeuſserungen Locke’s! — Aber Locke fährt in jener Stelle folgen- dermaaſsen fort: Theſe mechanical affections of bodies having no affinity at all with those ideas they produce in us, etc. Wenn solche Behauptungen dem Erfinder der prästabilirten Harmonie nicht zusagten (weil nach der letzteren kein Uebergang von jenen mechanischen Affe- ctionen zu unserer Erkenntniſs statt findet): so sind sie gleichwohl viel leidlicher, als jene verworrene Kennt- *) S. 329. im zweyten Bande der Uebersetzung der Raspeschen Sammlung, von Ulrich. **) Book IV. Chap. VI. §. 28. ***) Ulrichs angeführte Uebersetzung. Bd. 2. S. 325.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/338>, abgerufen am 22.11.2024.