Complexion, ein und dasselbe Ding ins Bewusstseyn hervorstellen, dessen sowohl das Gewusste als auch das Wissen sey. Dieses Ding heisst in der gemeinen Sprache Ich; obgleich die Speculation den Begriff des Ich anders bestimmt.
Die Speculation, so lange sie noch nicht den noth- wendigen Zusammenhang zwischen dem Ich und dem In- dividuum eingesehen, so lange sie noch nicht den psy- chologischen Mechanismus kennen gelernt hat, vermöge dessen alles complicirte als Eins, und zwey Ele- mente einer Complexion als ein und dasselbe Ding erscheinen, indem sie einander gegensei- tig ins Bewusstseyn hervorheben: die Speculation also in ihrem Beginnen, beschäfftigt sich mit dem all- gemeinen Begriffe der Ichheit, wie ihn alle Indivi- duen auf gleiche Weise zu haben scheinen, indem sie alle von sich in der ersten Person reden. Da hierin eine Identität des Denkenden und Gedachten liegt, so nimmt sie dieses streng; sie fordert, das Gedachte solle der Actus des Denkens selbst seyn, welches sich aufhebt. (§. 27.) Sie erklärt jedes Gedachte, das von dem Den- ken verschieden ist, für ein Nicht-Ich. Und sie muss hierin streng verfahren, weil sie sonst keinen bestimmten Begriff haben würde, an dem sie sich halten könnte.
Indem sie aber den aufgedeckten Widersprüchen entgehen will, findet sie, dass dem Ich eine Mannigfal- tigkeit fremder, und zwar unter einander entgegengesetz- ter Objecte müsse geliehen werden, die hintennach wie- der abzusondern seyen. (§. 29.) Eben dasselbe haben wir jetzo durch eine Analysis gefunden, wobey die zuvor synthetisch gewonnenen Kenntnisse zu Hülfe genommen wurden. Wir sehen: zu dem eignen Selbst werden An- fangs eine Menge von Bestimmungen gerechnet, die alle Demselben angehören sollen, der auch von ihnen weiss; aber auch alle diese Bestimmungen lassen sich für zufällig erklären und wieder absondern, denn sie alle werden als wechselnd, als bald gegenwärtig bald abwe-
Complexion, ein und dasselbe Ding ins Bewuſstseyn hervorstellen, dessen sowohl das Gewuſste als auch das Wissen sey. Dieses Ding heiſst in der gemeinen Sprache Ich; obgleich die Speculation den Begriff des Ich anders bestimmt.
Die Speculation, so lange sie noch nicht den noth- wendigen Zusammenhang zwischen dem Ich und dem In- dividuum eingesehen, so lange sie noch nicht den psy- chologischen Mechanismus kennen gelernt hat, vermöge dessen alles complicirte als Eins, und zwey Ele- mente einer Complexion als ein und dasselbe Ding erscheinen, indem sie einander gegensei- tig ins Bewuſstseyn hervorheben: die Speculation also in ihrem Beginnen, beschäfftigt sich mit dem all- gemeinen Begriffe der Ichheit, wie ihn alle Indivi- duen auf gleiche Weise zu haben scheinen, indem sie alle von sich in der ersten Person reden. Da hierin eine Identität des Denkenden und Gedachten liegt, so nimmt sie dieses streng; sie fordert, das Gedachte solle der Actus des Denkens selbst seyn, welches sich aufhebt. (§. 27.) Sie erklärt jedes Gedachte, das von dem Den- ken verschieden ist, für ein Nicht-Ich. Und sie muſs hierin streng verfahren, weil sie sonst keinen bestimmten Begriff haben würde, an dem sie sich halten könnte.
Indem sie aber den aufgedeckten Widersprüchen entgehen will, findet sie, daſs dem Ich eine Mannigfal- tigkeit fremder, und zwar unter einander entgegengesetz- ter Objecte müsse geliehen werden, die hintennach wie- der abzusondern seyen. (§. 29.) Eben dasselbe haben wir jetzo durch eine Analysis gefunden, wobey die zuvor synthetisch gewonnenen Kenntnisse zu Hülfe genommen wurden. Wir sehen: zu dem eignen Selbst werden An- fangs eine Menge von Bestimmungen gerechnet, die alle Demselben angehören sollen, der auch von ihnen weiſs; aber auch alle diese Bestimmungen lassen sich für zufällig erklären und wieder absondern, denn sie alle werden als wechselnd, als bald gegenwärtig bald abwe-
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Complexion, ein und dasselbe Ding ins Bewuſstseyn
hervorstellen, dessen sowohl das Gewuſste als auch das
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Ich; obgleich die Speculation den Begriff des Ich anders
bestimmt.
Die Speculation, so lange sie noch nicht den noth-
wendigen Zusammenhang zwischen dem Ich und dem In-
dividuum eingesehen, so lange sie noch nicht den psy-
chologischen Mechanismus kennen gelernt hat, vermöge
dessen alles complicirte als Eins, und zwey Ele-
mente einer Complexion als ein und dasselbe
Ding erscheinen, indem sie einander gegensei-
tig ins Bewuſstseyn hervorheben: die Speculation
also in ihrem Beginnen, beschäfftigt sich mit dem all-
gemeinen Begriffe der Ichheit, wie ihn alle Indivi-
duen auf gleiche Weise zu haben scheinen, indem sie
alle von sich in der ersten Person reden. Da hierin eine
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sie dieses streng; sie fordert, das Gedachte solle der
Actus des Denkens selbst seyn, welches sich aufhebt.
(§. 27.) Sie erklärt jedes Gedachte, das von dem Den-
ken verschieden ist, für ein Nicht-Ich. Und sie muſs
hierin streng verfahren, weil sie sonst keinen bestimmten
Begriff haben würde, an dem sie sich halten könnte.
Indem sie aber den aufgedeckten Widersprüchen
entgehen will, findet sie, daſs dem Ich eine Mannigfal-
tigkeit fremder, und zwar unter einander entgegengesetz-
ter Objecte müsse geliehen werden, die hintennach wie-
der abzusondern seyen. (§. 29.) Eben dasselbe haben
wir jetzo durch eine Analysis gefunden, wobey die zuvor
synthetisch gewonnenen Kenntnisse zu Hülfe genommen
wurden. Wir sehen: zu dem eignen Selbst werden An-
fangs eine Menge von Bestimmungen gerechnet, die alle
Demselben angehören sollen, der auch von ihnen
weiſs; aber auch alle diese Bestimmungen lassen sich
für zufällig erklären und wieder absondern, denn sie alle
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/327>, abgerufen am 22.11.2024.
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