kung erhält ihre Erläuterung in dem Schlusse des §. 135. Und überdies noch in den ersten Untersuchungen über das Ich, bey welchen wir im §. 24--26. unsern Faden angesponnen haben. Man wird finden, dass aus dem §. 135. ein unmittelbarer Uebergang in die Reflexionen des §. 25. offen steht, so dass dieser die Fortsetzung von je- nem zu enthalten scheint; und wir können jetzt die an ganz verschiedenen Orten dieses Buches vorkommenden Betrachtungen gleichsam in Eine Linie legen *).
Zuerst nämlich findet der Mensch Sich (aber noch nicht als Ich) in äusserer Wahrnehmung, nebst den Ge- fühlen von körperlicher Lust und Unlust. Er sieht seine Hände, er betastet seinen Leib, er sieht selbst dieser Betastung zu, und fühlt sie zugleich in den betastenden und den betasteten Gliedern. Weiterhin kommt die Bey- legung von Bildern äusserer Dinge, die Voraussetzung des Subjects vor den Objecten; die Bestimmung des Sub- jects als Trieb, sowohl zum Thun als zur Hingebung; sammt der innern Wahrnehmung. Noch später wird der Besitz und das Wechseln der Bilder, sammt dem was daran hängt, für das Vornehmste und Wesentlichste er- kannt; der Mensch schreibt sich eine Seele, ja selbst ei- nen Charakter zu, und achtet dieses für vorzüglicher als den Leib. Auf dieser Stufe wird die innere Wahrneh- mung für die Erkenntnissquelle des wahren Selbst ange- sehen; und es ist dieses der Standpunct der meisten ge- bildeten Menschen. Nun aber kommt die philosophische Reflexion; diese macht wiederum der innern Wahrneh- mung die ächte Selbsterkenntniss streitig; sie will nicht von dem Zeitwesen, dem Individuum, sondern von dessen beharrlicher Grundlage unterrichtet seyn. Jetzt entdeckt es sich allmählig, dass die Wahrnehmung des eigentlichen Seelen-Wesens, der Substanz der Seele, gänzlich mangele; und dass eine solche Substanz müsse
*) Zur Vollständigkeit der Untersuchung gehört noch die Anoma- lie des Selbstbewusstseyns im Wahnsinn; wovon unten im §. 165.
kung erhält ihre Erläuterung in dem Schlusse des §. 135. Und überdies noch in den ersten Untersuchungen über das Ich, bey welchen wir im §. 24—26. unsern Faden angesponnen haben. Man wird finden, daſs aus dem §. 135. ein unmittelbarer Uebergang in die Reflexionen des §. 25. offen steht, so daſs dieser die Fortsetzung von je- nem zu enthalten scheint; und wir können jetzt die an ganz verschiedenen Orten dieses Buches vorkommenden Betrachtungen gleichsam in Eine Linie legen *).
Zuerst nämlich findet der Mensch Sich (aber noch nicht als Ich) in äuſserer Wahrnehmung, nebst den Ge- fühlen von körperlicher Lust und Unlust. Er sieht seine Hände, er betastet seinen Leib, er sieht selbst dieser Betastung zu, und fühlt sie zugleich in den betastenden und den betasteten Gliedern. Weiterhin kommt die Bey- legung von Bildern äuſserer Dinge, die Voraussetzung des Subjects vor den Objecten; die Bestimmung des Sub- jects als Trieb, sowohl zum Thun als zur Hingebung; sammt der innern Wahrnehmung. Noch später wird der Besitz und das Wechseln der Bilder, sammt dem was daran hängt, für das Vornehmste und Wesentlichste er- kannt; der Mensch schreibt sich eine Seele, ja selbst ei- nen Charakter zu, und achtet dieses für vorzüglicher als den Leib. Auf dieser Stufe wird die innere Wahrneh- mung für die Erkenntniſsquelle des wahren Selbst ange- sehen; und es ist dieses der Standpunct der meisten ge- bildeten Menschen. Nun aber kommt die philosophische Reflexion; diese macht wiederum der innern Wahrneh- mung die ächte Selbsterkenntniſs streitig; sie will nicht von dem Zeitwesen, dem Individuum, sondern von dessen beharrlicher Grundlage unterrichtet seyn. Jetzt entdeckt es sich allmählig, daſs die Wahrnehmung des eigentlichen Seelen-Wesens, der Substanz der Seele, gänzlich mangele; und daſs eine solche Substanz müsse
*) Zur Vollständigkeit der Untersuchung gehört noch die Anoma- lie des Selbstbewuſstseyns im Wahnsinn; wovon unten im §. 165.
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kung erhält ihre Erläuterung in dem Schlusse des §. 135.
Und überdies noch in den ersten Untersuchungen über
das Ich, bey welchen wir im §. 24—26. unsern Faden
angesponnen haben. Man wird finden, daſs aus dem §.
135. ein unmittelbarer Uebergang in die Reflexionen des
§. 25. offen steht, so daſs dieser die Fortsetzung von je-
nem zu enthalten scheint; und wir können jetzt die an
ganz verschiedenen Orten dieses Buches vorkommenden
Betrachtungen gleichsam in Eine Linie legen *).
Zuerst nämlich findet der Mensch Sich (aber noch
nicht als Ich) in äuſserer Wahrnehmung, nebst den Ge-
fühlen von körperlicher Lust und Unlust. Er sieht seine
Hände, er betastet seinen Leib, er sieht selbst dieser
Betastung zu, und fühlt sie zugleich in den betastenden
und den betasteten Gliedern. Weiterhin kommt die Bey-
legung von Bildern äuſserer Dinge, die Voraussetzung
des Subjects vor den Objecten; die Bestimmung des Sub-
jects als Trieb, sowohl zum Thun als zur Hingebung;
sammt der innern Wahrnehmung. Noch später wird der
Besitz und das Wechseln der Bilder, sammt dem was
daran hängt, für das Vornehmste und Wesentlichste er-
kannt; der Mensch schreibt sich eine Seele, ja selbst ei-
nen Charakter zu, und achtet dieses für vorzüglicher als
den Leib. Auf dieser Stufe wird die innere Wahrneh-
mung für die Erkenntniſsquelle des wahren Selbst ange-
sehen; und es ist dieses der Standpunct der meisten ge-
bildeten Menschen. Nun aber kommt die philosophische
Reflexion; diese macht wiederum der innern Wahrneh-
mung die ächte Selbsterkenntniſs streitig; sie will nicht
von dem Zeitwesen, dem Individuum, sondern von
dessen beharrlicher Grundlage unterrichtet seyn.
Jetzt entdeckt es sich allmählig, daſs die Wahrnehmung
des eigentlichen Seelen-Wesens, der Substanz der Seele,
gänzlich mangele; und daſs eine solche Substanz müsse
*) Zur Vollständigkeit der Untersuchung gehört noch die Anoma-
lie des Selbstbewuſstseyns im Wahnsinn; wovon unten im §. 165.
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/322>, abgerufen am 22.11.2024.
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