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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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bleiben, oder sich oft und periodisch wiederhohlen, wie
die Gefühle von Hunger und Durst.

Hingegen der Sammelplatz der Bilder, der beym
Menschen von seinem ersten Entstehen an ungleich rei-
cher werden muss, als beym Thiere (§. 129.), dieser ge-
winnt unaufhörlich bey dem Kinde in gebildeter mensch-
licher Gesellschaft; er gewinnt fortdauernd beym Knaben,
dem Jüngling und dem Manne. Denn es giebt immer
etwas Neues zu sehen, zu hören und zu lernen; und al-
les Gesehene, Gehörte und Gelernte kommt zu dem
Vorrathe der Bilder, die in dem Inneren, entgegengesetzt
allem Aeusseren, ihren Platz haben. (Denn in der Au-
ssenwelt kann ihnen kein Platz angewiesen werden.) In
der ganzen Complexion also, welche der Mensch als sein
eignes Selbst denkt, ragt über die andern Bestimmungen
diejenige hervor, dass dieses Selbst ein vorstellendes, ein
wissendes, ein erkennendes sey; und das Uebergewicht
dieser Bestimmung wächst immer mit den Fortschritten
der Bildung.

Nach den Umständen kann auch in der nämlichen
Complexion jede der noch übrigen Bestimmungen immer
mehr Stärke bekommen. Begehrungen und Verabscheuun-
gen vervielfältigen sich gar sehr bey fortschreitender Aus-
bildung; nicht weniger wächst das Kraftgefühl dessen, der
seine Hände gebraucht, und sie mit Werkzeugen und
Maschinen bewaffnet, -- ein Gefühl, das in der Schnel-
ligkeit seinen Sitz hat, womit im Augenblick des Begeh-
rens sich auch sogleich die Vorstellung einer Thätigkeit
darbietet, durch welche das Begehrte sich realisiren werde.

Aber nicht in gleichem Verhältnisse mit der Masse
der Vorstellungen von eigner äusserer Thätigkeit, wächst
die Menge der inneren Wahrnehmungen, deren Entwik-
kelung dagegen mehr bey einer ruhigen Existenz ge-
dacht, und alsdann dem Selbstbewusstseyn eine merklich
andre Farbe giebt, als bey den äusserlich sehr geschäfti-
gen Menschen.

Erinnern wir uns jetzt noch an die Wirkung des

bleiben, oder sich oft und periodisch wiederhohlen, wie
die Gefühle von Hunger und Durst.

Hingegen der Sammelplatz der Bilder, der beym
Menschen von seinem ersten Entstehen an ungleich rei-
cher werden muſs, als beym Thiere (§. 129.), dieser ge-
winnt unaufhörlich bey dem Kinde in gebildeter mensch-
licher Gesellschaft; er gewinnt fortdauernd beym Knaben,
dem Jüngling und dem Manne. Denn es giebt immer
etwas Neues zu sehen, zu hören und zu lernen; und al-
les Gesehene, Gehörte und Gelernte kommt zu dem
Vorrathe der Bilder, die in dem Inneren, entgegengesetzt
allem Aeuſseren, ihren Platz haben. (Denn in der Au-
ſsenwelt kann ihnen kein Platz angewiesen werden.) In
der ganzen Complexion also, welche der Mensch als sein
eignes Selbst denkt, ragt über die andern Bestimmungen
diejenige hervor, daſs dieses Selbst ein vorstellendes, ein
wissendes, ein erkennendes sey; und das Uebergewicht
dieser Bestimmung wächst immer mit den Fortschritten
der Bildung.

Nach den Umständen kann auch in der nämlichen
Complexion jede der noch übrigen Bestimmungen immer
mehr Stärke bekommen. Begehrungen und Verabscheuun-
gen vervielfältigen sich gar sehr bey fortschreitender Aus-
bildung; nicht weniger wächst das Kraftgefühl dessen, der
seine Hände gebraucht, und sie mit Werkzeugen und
Maschinen bewaffnet, — ein Gefühl, das in der Schnel-
ligkeit seinen Sitz hat, womit im Augenblick des Begeh-
rens sich auch sogleich die Vorstellung einer Thätigkeit
darbietet, durch welche das Begehrte sich realisiren werde.

Aber nicht in gleichem Verhältnisse mit der Masse
der Vorstellungen von eigner äuſserer Thätigkeit, wächst
die Menge der inneren Wahrnehmungen, deren Entwik-
kelung dagegen mehr bey einer ruhigen Existenz ge-
dacht, und alsdann dem Selbstbewuſstseyn eine merklich
andre Farbe giebt, als bey den äuſserlich sehr geschäfti-
gen Menschen.

Erinnern wir uns jetzt noch an die Wirkung des

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[274/0309] bleiben, oder sich oft und periodisch wiederhohlen, wie die Gefühle von Hunger und Durst. Hingegen der Sammelplatz der Bilder, der beym Menschen von seinem ersten Entstehen an ungleich rei- cher werden muſs, als beym Thiere (§. 129.), dieser ge- winnt unaufhörlich bey dem Kinde in gebildeter mensch- licher Gesellschaft; er gewinnt fortdauernd beym Knaben, dem Jüngling und dem Manne. Denn es giebt immer etwas Neues zu sehen, zu hören und zu lernen; und al- les Gesehene, Gehörte und Gelernte kommt zu dem Vorrathe der Bilder, die in dem Inneren, entgegengesetzt allem Aeuſseren, ihren Platz haben. (Denn in der Au- ſsenwelt kann ihnen kein Platz angewiesen werden.) In der ganzen Complexion also, welche der Mensch als sein eignes Selbst denkt, ragt über die andern Bestimmungen diejenige hervor, daſs dieses Selbst ein vorstellendes, ein wissendes, ein erkennendes sey; und das Uebergewicht dieser Bestimmung wächst immer mit den Fortschritten der Bildung. Nach den Umständen kann auch in der nämlichen Complexion jede der noch übrigen Bestimmungen immer mehr Stärke bekommen. Begehrungen und Verabscheuun- gen vervielfältigen sich gar sehr bey fortschreitender Aus- bildung; nicht weniger wächst das Kraftgefühl dessen, der seine Hände gebraucht, und sie mit Werkzeugen und Maschinen bewaffnet, — ein Gefühl, das in der Schnel- ligkeit seinen Sitz hat, womit im Augenblick des Begeh- rens sich auch sogleich die Vorstellung einer Thätigkeit darbietet, durch welche das Begehrte sich realisiren werde. Aber nicht in gleichem Verhältnisse mit der Masse der Vorstellungen von eigner äuſserer Thätigkeit, wächst die Menge der inneren Wahrnehmungen, deren Entwik- kelung dagegen mehr bey einer ruhigen Existenz ge- dacht, und alsdann dem Selbstbewuſstseyn eine merklich andre Farbe giebt, als bey den äuſserlich sehr geschäfti- gen Menschen. Erinnern wir uns jetzt noch an die Wirkung des

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/309>, abgerufen am 22.11.2024.