tungen, Hoffnungen, Befürchtungen, in eine unbestimmte Form hinaus zu eröffnen.
Das Gespräch kann die Vorstellungen des Vergan- genen und Abwesenden vesthalten, stärken, ausbilden; aber ob dieser Keim der Menschheit sich entwickeln solle oder nicht: das hängt von tausend Nebenumständen ab. Erinnert man sich der wilden Nationen, z. B. der Busch- männer an der Südspitze von Afrika, so sicht man wohl, dass im Menschen nicht allemal die Menschheit gedeiht.
Doch hat die Natur noch eine wichtige Veranstaltung getroffen, welche hiebey dem Menschen weit wohlthätiger wird als dem Thiere. Sie beschäfftigt durchgängig das Erwachsne mit den Bedürfnissen des Neugebornen; aber den Menschen zeichnet sie aus durch seine Nacktheit, seine Schwäche und Unbehülflichkeit, durch die Lang- samkeit seiner Entwickelung. So spannt sie die Sorgfalt der Mutter, und bey der geringsten Bildung auch des Vaters, weit höher; sie hält Kinder und Eltern weit län- ger zusammen; sie nöthigt das menschliche Geschlecht zu einem mehr geselligen Leben, und zu gegenseitigen Diensten.
In der langen Kindheit sammeln sich überdies die Vorstellungen weit mehr an, bevor aus dem Handeln in der Aussenwelt eine Routine entsteht, an die sie fortan gefesselt werden könnten. Das menschliche Kind weiss viel mehr als das Thier, wann beyde in Hinsicht der Versuche mit ihren Gliedmaassen, auf dem gleichen Puncte stehn. Daher sind die Versuche des ersteren weit man- nigfaltiger und belehrender. Sie dauern auch länger fort, je weniger sie Anfangs der Bedürftigkeit entsprechen, der sie abhelfen sollten.
In den gebildeten Zuständen endlich macht allein die lange Kindheit eine regelmässige Erziehung möglich. Hieraus erklärt es sich grossentheils, warum gerade die schönsten Länder der Erde, bey abgekürzter Kindheit, weniger menschliche Bildung erzeugen.
tungen, Hoffnungen, Befürchtungen, in eine unbestimmte Form hinaus zu eröffnen.
Das Gespräch kann die Vorstellungen des Vergan- genen und Abwesenden vesthalten, stärken, ausbilden; aber ob dieser Keim der Menschheit sich entwickeln solle oder nicht: das hängt von tausend Nebenumständen ab. Erinnert man sich der wilden Nationen, z. B. der Busch- männer an der Südspitze von Afrika, so sicht man wohl, daſs im Menschen nicht allemal die Menschheit gedeiht.
Doch hat die Natur noch eine wichtige Veranstaltung getroffen, welche hiebey dem Menschen weit wohlthätiger wird als dem Thiere. Sie beschäfftigt durchgängig das Erwachsne mit den Bedürfnissen des Neugebornen; aber den Menschen zeichnet sie aus durch seine Nacktheit, seine Schwäche und Unbehülflichkeit, durch die Lang- samkeit seiner Entwickelung. So spannt sie die Sorgfalt der Mutter, und bey der geringsten Bildung auch des Vaters, weit höher; sie hält Kinder und Eltern weit län- ger zusammen; sie nöthigt das menschliche Geschlecht zu einem mehr geselligen Leben, und zu gegenseitigen Diensten.
In der langen Kindheit sammeln sich überdies die Vorstellungen weit mehr an, bevor aus dem Handeln in der Auſsenwelt eine Routine entsteht, an die sie fortan gefesselt werden könnten. Das menschliche Kind weiſs viel mehr als das Thier, wann beyde in Hinsicht der Versuche mit ihren Gliedmaaſsen, auf dem gleichen Puncte stehn. Daher sind die Versuche des ersteren weit man- nigfaltiger und belehrender. Sie dauern auch länger fort, je weniger sie Anfangs der Bedürftigkeit entsprechen, der sie abhelfen sollten.
In den gebildeten Zuständen endlich macht allein die lange Kindheit eine regelmäſsige Erziehung möglich. Hieraus erklärt es sich groſsentheils, warum gerade die schönsten Länder der Erde, bey abgekürzter Kindheit, weniger menschliche Bildung erzeugen.
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tungen, Hoffnungen, Befürchtungen, in eine unbestimmte
Form hinaus zu eröffnen.
Das Gespräch kann die Vorstellungen des Vergan-
genen und Abwesenden vesthalten, stärken, ausbilden;
aber ob dieser Keim der Menschheit sich entwickeln solle
oder nicht: das hängt von tausend Nebenumständen ab.
Erinnert man sich der wilden Nationen, z. B. der Busch-
männer an der Südspitze von Afrika, so sicht man wohl,
daſs im Menschen nicht allemal die Menschheit gedeiht.
Doch hat die Natur noch eine wichtige Veranstaltung
getroffen, welche hiebey dem Menschen weit wohlthätiger
wird als dem Thiere. Sie beschäfftigt durchgängig das
Erwachsne mit den Bedürfnissen des Neugebornen; aber
den Menschen zeichnet sie aus durch seine Nacktheit,
seine Schwäche und Unbehülflichkeit, durch die Lang-
samkeit seiner Entwickelung. So spannt sie die Sorgfalt
der Mutter, und bey der geringsten Bildung auch des
Vaters, weit höher; sie hält Kinder und Eltern weit län-
ger zusammen; sie nöthigt das menschliche Geschlecht
zu einem mehr geselligen Leben, und zu gegenseitigen
Diensten.
In der langen Kindheit sammeln sich überdies die
Vorstellungen weit mehr an, bevor aus dem Handeln in
der Auſsenwelt eine Routine entsteht, an die sie fortan
gefesselt werden könnten. Das menschliche Kind weiſs
viel mehr als das Thier, wann beyde in Hinsicht der
Versuche mit ihren Gliedmaaſsen, auf dem gleichen Puncte
stehn. Daher sind die Versuche des ersteren weit man-
nigfaltiger und belehrender. Sie dauern auch länger fort,
je weniger sie Anfangs der Bedürftigkeit entsprechen, der
sie abhelfen sollten.
In den gebildeten Zuständen endlich macht allein
die lange Kindheit eine regelmäſsige Erziehung möglich.
Hieraus erklärt es sich groſsentheils, warum gerade die
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/272>, abgerufen am 22.11.2024.
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