Hätte nun bey den Griechen zu jener Zeit, da die Stoiker mit angenommenem Ernst, in der That aber nach Art der Modephilosophie aller Zeiten, ein Gemenge aus Reminiscenzen berei- teten, indem sie Weltseele und Vorsehung, Na- turphilosophie und Divination, magere Trug- schlüsse und aufgeblasene Paradoxa durchein- ander wirrten, -- hätte damals Einer versuchen wollen, ein ächtes, in sich zusammenhängendes Denken zurückzuführen: welcher Weg würde ihm zu diesem Versuche offen gestanden haben? Doch wohl kaum ein anderer, als Zurückwei- sung zu den alten, zwar noch verehrten, aber doch grossentheils vergessenen, Denkern; nicht um ihre Lehrsätze (denn die waren nicht ver- loren, sie waren vielmehr das Metall, was man fortwährend umprägte, um die neuen Münzen zu verfertigen,) sondern um die Art ihres For- schens, die Antriebe ihres Strebens zu erneuern; und um eben in den Puncten durchzudringen, wo sie mitten in den Schwierigkeiten stecken geblieben waren. Damit möchte sich denn ganz natürlich die Ermahnung verknüpft haben, den Glauben an die gütige und gerechte Vorsehung lieber in seiner sokratischen Einfachheit und Natürlichkeit zu lassen, als ihn durch dialektische Künste zu ängstigen, und in Streitigkeiten zu verwickeln; das Lob des philosophischen Erfin- dungsgeistes dagegen lieber auf den Feldern des eigentlichen Wissens zu suchen, wo noch genug Arbeit zu verrichten, genug zu säen und zu ärndten sey.
Was diese Andeutung sagen will: wird ohne grossen Commentar verständlich seyn. Schon
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Hätte nun bey den Griechen zu jener Zeit, da die Stoiker mit angenommenem Ernst, in der That aber nach Art der Modephilosophie aller Zeiten, ein Gemenge aus Reminiscenzen berei- teten, indem sie Weltseele und Vorsehung, Na- turphilosophie und Divination, magere Trug- schlüsse und aufgeblasene Paradoxa durchein- ander wirrten, — hätte damals Einer versuchen wollen, ein ächtes, in sich zusammenhängendes Denken zurückzuführen: welcher Weg würde ihm zu diesem Versuche offen gestanden haben? Doch wohl kaum ein anderer, als Zurückwei- sung zu den alten, zwar noch verehrten, aber doch groſsentheils vergessenen, Denkern; nicht um ihre Lehrsätze (denn die waren nicht ver- loren, sie waren vielmehr das Metall, was man fortwährend umprägte, um die neuen Münzen zu verfertigen,) sondern um die Art ihres For- schens, die Antriebe ihres Strebens zu erneuern; und um eben in den Puncten durchzudringen, wo sie mitten in den Schwierigkeiten stecken geblieben waren. Damit möchte sich denn ganz natürlich die Ermahnung verknüpft haben, den Glauben an die gütige und gerechte Vorsehung lieber in seiner sokratischen Einfachheit und Natürlichkeit zu lassen, als ihn durch dialektische Künste zu ängstigen, und in Streitigkeiten zu verwickeln; das Lob des philosophischen Erfin- dungsgeistes dagegen lieber auf den Feldern des eigentlichen Wissens zu suchen, wo noch genug Arbeit zu verrichten, genug zu säen und zu ärndten sey.
Was diese Andeutung sagen will: wird ohne groſsen Commentar verständlich seyn. Schon
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[XIX/0026]
Hätte nun bey den Griechen zu jener Zeit,
da die Stoiker mit angenommenem Ernst, in der
That aber nach Art der Modephilosophie aller
Zeiten, ein Gemenge aus Reminiscenzen berei-
teten, indem sie Weltseele und Vorsehung, Na-
turphilosophie und Divination, magere Trug-
schlüsse und aufgeblasene Paradoxa durchein-
ander wirrten, — hätte damals Einer versuchen
wollen, ein ächtes, in sich zusammenhängendes
Denken zurückzuführen: welcher Weg würde
ihm zu diesem Versuche offen gestanden haben?
Doch wohl kaum ein anderer, als Zurückwei-
sung zu den alten, zwar noch verehrten, aber
doch groſsentheils vergessenen, Denkern; nicht
um ihre Lehrsätze (denn die waren nicht ver-
loren, sie waren vielmehr das Metall, was man
fortwährend umprägte, um die neuen Münzen
zu verfertigen,) sondern um die Art ihres For-
schens, die Antriebe ihres Strebens zu erneuern;
und um eben in den Puncten durchzudringen,
wo sie mitten in den Schwierigkeiten stecken
geblieben waren. Damit möchte sich denn ganz
natürlich die Ermahnung verknüpft haben, den
Glauben an die gütige und gerechte Vorsehung
lieber in seiner sokratischen Einfachheit und
Natürlichkeit zu lassen, als ihn durch dialektische
Künste zu ängstigen, und in Streitigkeiten zu
verwickeln; das Lob des philosophischen Erfin-
dungsgeistes dagegen lieber auf den Feldern des
eigentlichen Wissens zu suchen, wo noch genug
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. XIX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/26>, abgerufen am 02.02.2025.
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