kehrten stärkeren Vorstellungen. Hierin liegt eine Be- stätigung dessen, was oben über die Gefühle gesagt ist; s. §. 104. -- So geschieht es vollends bey der morali- schen Selbstkritik, bey dem Rückblick auf ganze Reihen- folgen von Gesinnungen und Handlungen. Die zu die- sen Reihenfolgen gehörigen Vorstellungen erleiden schon dadurch eine Gewalt, dass sie als eine Zeitstrecke be- trachtet und gemustert werden, welches geschieht, indem die jetzt herrschende Vorstellungsmasse in verschiedene Puncte jener Reihenfolgen zugleich eingreift, und da- durch die in denselben wirksamen Reproductionsgesetze auf mehr als Eine Weise in Thätigkeit setzt. (§. 115.) Hiezu kommt nun noch das Widerstreben der nämlichen Reihenfolgen wegen ihres Inhalts; die Anstrengungen von Begierden und Affecten, welche in ihnen gegründet sind, verbunden mit der Bändigung eben dieser Aufregungen durch die Macht der sittlichen Ueberzeugungen, aus de- nen ein ganzes Gemälde dessen hervorgeht, was hätte gedacht, gewollt, und gethan werden sollen, während das Gegentheil als wirklich geschehen der Erinnerung vor- schwebt. In einem solchen Kampfe der Vorstellungsmas- sen gegen einander, können die bitteren Schmerzen der Reue nicht ausbleiben. Sie erzeugen sich daraus, dass die Vorstellungen von dem, was geschehn ist, in sehr vielen Puncten verschmelzen müssen mit den Vorstellun- gen von dem, was hätte geschehen sollen; dass sie aber dieser Verschmelzung nicht nachgeben können, weil sie dabey aus ihren eigenen Complicationen und Verschmel- zungen herausgerissen werden. Der Conflict, der hier entsteht, ist schon dann schmerzlich fühlbar, wenn alte angenommene Meinungen eine Berichtigung erleiden sol- len; die sie so lange als immer möglich von sich stossen; dergestalt, dass eine solche Berichtigung selbst dann nicht immer von Statten geht, wenn moralische Grundsätze einer pflichtmässigen Wahrheitsliebe hinzukommen.
§. 127.
Jetzt können wir uns mit der Frage beschäfftigen,
kehrten stärkeren Vorstellungen. Hierin liegt eine Be- stätigung dessen, was oben über die Gefühle gesagt ist; s. §. 104. — So geschieht es vollends bey der morali- schen Selbstkritik, bey dem Rückblick auf ganze Reihen- folgen von Gesinnungen und Handlungen. Die zu die- sen Reihenfolgen gehörigen Vorstellungen erleiden schon dadurch eine Gewalt, daſs sie als eine Zeitstrecke be- trachtet und gemustert werden, welches geschieht, indem die jetzt herrschende Vorstellungsmasse in verschiedene Puncte jener Reihenfolgen zugleich eingreift, und da- durch die in denselben wirksamen Reproductionsgesetze auf mehr als Eine Weise in Thätigkeit setzt. (§. 115.) Hiezu kommt nun noch das Widerstreben der nämlichen Reihenfolgen wegen ihres Inhalts; die Anstrengungen von Begierden und Affecten, welche in ihnen gegründet sind, verbunden mit der Bändigung eben dieser Aufregungen durch die Macht der sittlichen Ueberzeugungen, aus de- nen ein ganzes Gemälde dessen hervorgeht, was hätte gedacht, gewollt, und gethan werden sollen, während das Gegentheil als wirklich geschehen der Erinnerung vor- schwebt. In einem solchen Kampfe der Vorstellungsmas- sen gegen einander, können die bitteren Schmerzen der Reue nicht ausbleiben. Sie erzeugen sich daraus, daſs die Vorstellungen von dem, was geschehn ist, in sehr vielen Puncten verschmelzen müssen mit den Vorstellun- gen von dem, was hätte geschehen sollen; daſs sie aber dieser Verschmelzung nicht nachgeben können, weil sie dabey aus ihren eigenen Complicationen und Verschmel- zungen herausgerissen werden. Der Conflict, der hier entsteht, ist schon dann schmerzlich fühlbar, wenn alte angenommene Meinungen eine Berichtigung erleiden sol- len; die sie so lange als immer möglich von sich stoſsen; dergestalt, daſs eine solche Berichtigung selbst dann nicht immer von Statten geht, wenn moralische Grundsätze einer pflichtmäſsigen Wahrheitsliebe hinzukommen.
§. 127.
Jetzt können wir uns mit der Frage beschäfftigen,
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kehrten stärkeren Vorstellungen. Hierin liegt eine Be-
stätigung dessen, was oben über die Gefühle gesagt ist;
s. §. 104. — So geschieht es vollends bey der morali-
schen Selbstkritik, bey dem Rückblick auf ganze Reihen-
folgen von Gesinnungen und Handlungen. Die zu die-
sen Reihenfolgen gehörigen Vorstellungen erleiden schon
dadurch eine Gewalt, daſs sie als eine Zeitstrecke be-
trachtet und gemustert werden, welches geschieht, indem
die jetzt herrschende Vorstellungsmasse in verschiedene
Puncte jener Reihenfolgen zugleich eingreift, und da-
durch die in denselben wirksamen Reproductionsgesetze
auf mehr als Eine Weise in Thätigkeit setzt. (§. 115.)
Hiezu kommt nun noch das Widerstreben der nämlichen
Reihenfolgen wegen ihres Inhalts; die Anstrengungen von
Begierden und Affecten, welche in ihnen gegründet sind,
verbunden mit der Bändigung eben dieser Aufregungen
durch die Macht der sittlichen Ueberzeugungen, aus de-
nen ein ganzes Gemälde dessen hervorgeht, was hätte
gedacht, gewollt, und gethan werden sollen, während das
Gegentheil als wirklich geschehen der Erinnerung vor-
schwebt. In einem solchen Kampfe der Vorstellungsmas-
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Reue nicht ausbleiben. Sie erzeugen sich daraus, daſs
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vielen Puncten verschmelzen müssen mit den Vorstellun-
gen von dem, was hätte geschehen sollen; daſs sie aber
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dabey aus ihren eigenen Complicationen und Verschmel-
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angenommene Meinungen eine Berichtigung erleiden sol-
len; die sie so lange als immer möglich von sich stoſsen;
dergestalt, daſs eine solche Berichtigung selbst dann nicht
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/253>, abgerufen am 18.12.2024.
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