Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

der Zeit zu Hülfe nimmt, um doch auf irgend eine
Weise die geforderte Auseinandersetzung zu gewinnen.
Bey sichtbaren Dingen leistet der Raum dieselben Dienste;
es ist unmöglich, dass ein Ding an der nämlichen
Stelle
schwarz und weiss, rund und eckigt sey; hinge-
gen an verschiedenen Stellen ist beydes neben einander
möglich (weil diese Verschiedenen nicht wirklich Ein
Ding sind).

Soviel über die Kategorien. Einen Nachtrag wird
man im folgenden Abschnitte finden. -- Es würde ein
unangenehmes Geschäfft für mich seyn, die Kantische
Lehre über diesen Gegenstand vollständig zu beleuchten.
Soviel springt in die Augen, dass bey Kant die Qualität
nur dem Namen nach dasteht, denn er hat ihr nichts
anderes untergeordnet als Realität und Negation, die
nichts weniger sind als Qualitäten; und dass die Rela-
tion viel zu eng beschränkt ist. Von Substanz und Ur-
sache wird weiterhin ausführlich zu reden seyn. Kants
Irrthum, als ob er das Vermögen des menschlichen Ver-
standes ausgemessen hätte, gab der Philosophie viel
Muth und viel Uebermuth; und wird deshalb in der Ge-
schichte der Wissenschaft auf immer denkwürdig blei-
ben. Wer weitern Stoff zum Nachdenken wünscht, kann
ihn in dem zwar nicht sonderlich geordneten, aber reich-
haltigen Aufsatze des Aristoteles finden.

Die sogenannten Prädicabilien, Gattung, Art, und
was dahin gehört, sind nicht eben schwer zu erklären.
Ein Ding zeige sich veränderlich; so wird es in seinen
verschiedenen Zuständen mit sich selbst verglichen. Zwi-
schen mehrern Dingen bildet sich die Vergleichung der-
gestalt aus, dass verschiedene Individuen dersel-
ben Art
, und weiterhin verschiedene Arten der-
selben Gattung
, eben als solche erkannt und betrach-
tet werden. Man begegne z. B. einer Menge von Hun-
den. Jeder folgende reproducirt die ganze Masse von
Vorstellungen, die der vorhergehende dargeboten hatte.
Der eben jetzt gesehene bildet nun das Subject für die

nega-

der Zeit zu Hülfe nimmt, um doch auf irgend eine
Weise die geforderte Auseinandersetzung zu gewinnen.
Bey sichtbaren Dingen leistet der Raum dieselben Dienste;
es ist unmöglich, daſs ein Ding an der nämlichen
Stelle
schwarz und weiſs, rund und eckigt sey; hinge-
gen an verschiedenen Stellen ist beydes neben einander
möglich (weil diese Verschiedenen nicht wirklich Ein
Ding sind).

Soviel über die Kategorien. Einen Nachtrag wird
man im folgenden Abschnitte finden. — Es würde ein
unangenehmes Geschäfft für mich seyn, die Kantische
Lehre über diesen Gegenstand vollständig zu beleuchten.
Soviel springt in die Augen, daſs bey Kant die Qualität
nur dem Namen nach dasteht, denn er hat ihr nichts
anderes untergeordnet als Realität und Negation, die
nichts weniger sind als Qualitäten; und daſs die Rela-
tion viel zu eng beschränkt ist. Von Substanz und Ur-
sache wird weiterhin ausführlich zu reden seyn. Kants
Irrthum, als ob er das Vermögen des menschlichen Ver-
standes ausgemessen hätte, gab der Philosophie viel
Muth und viel Uebermuth; und wird deshalb in der Ge-
schichte der Wissenschaft auf immer denkwürdig blei-
ben. Wer weitern Stoff zum Nachdenken wünscht, kann
ihn in dem zwar nicht sonderlich geordneten, aber reich-
haltigen Aufsatze des Aristoteles finden.

Die sogenannten Prädicabilien, Gattung, Art, und
was dahin gehört, sind nicht eben schwer zu erklären.
Ein Ding zeige sich veränderlich; so wird es in seinen
verschiedenen Zuständen mit sich selbst verglichen. Zwi-
schen mehrern Dingen bildet sich die Vergleichung der-
gestalt aus, daſs verschiedene Individuen dersel-
ben Art
, und weiterhin verschiedene Arten der-
selben Gattung
, eben als solche erkannt und betrach-
tet werden. Man begegne z. B. einer Menge von Hun-
den. Jeder folgende reproducirt die ganze Masse von
Vorstellungen, die der vorhergehende dargeboten hatte.
Der eben jetzt gesehene bildet nun das Subject für die

nega-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0243" n="208"/>
der <hi rendition="#g">Zeit</hi> zu Hülfe nimmt, um doch auf irgend eine<lb/>
Weise die geforderte Auseinandersetzung zu <choice><sic>gewinneu</sic><corr>gewinnen</corr></choice>.<lb/>
Bey sichtbaren Dingen leistet der Raum dieselben Dienste;<lb/>
es ist unmöglich, da&#x017F;s ein Ding <hi rendition="#g">an der nämlichen<lb/>
Stelle</hi> schwarz und wei&#x017F;s, rund und eckigt sey; hinge-<lb/>
gen an verschiedenen Stellen ist beydes neben einander<lb/>
möglich (weil diese Verschiedenen nicht wirklich Ein<lb/>
Ding sind).</p><lb/>
              <p>Soviel über die Kategorien. Einen Nachtrag wird<lb/>
man im folgenden Abschnitte finden. &#x2014; Es würde ein<lb/>
unangenehmes Geschäfft für mich seyn, die <hi rendition="#g">Kantis</hi>che<lb/>
Lehre über diesen Gegenstand vollständig zu beleuchten.<lb/>
Soviel springt in die Augen, da&#x017F;s bey <hi rendition="#g">Kant</hi> die Qualität<lb/>
nur dem Namen nach dasteht, denn er hat ihr nichts<lb/>
anderes untergeordnet als Realität und Negation, die<lb/>
nichts weniger sind als Qualitäten; und da&#x017F;s die Rela-<lb/>
tion viel zu eng beschränkt ist. Von Substanz und Ur-<lb/>
sache wird weiterhin ausführlich zu reden seyn. <hi rendition="#g">Kants</hi><lb/>
Irrthum, als ob er das Vermögen des menschlichen Ver-<lb/>
standes ausgemessen hätte, gab der Philosophie viel<lb/>
Muth und viel Uebermuth; und wird deshalb in der Ge-<lb/>
schichte der Wissenschaft auf immer denkwürdig blei-<lb/>
ben. Wer weitern Stoff zum Nachdenken wünscht, kann<lb/>
ihn in dem zwar nicht sonderlich geordneten, aber reich-<lb/>
haltigen Aufsatze des <hi rendition="#g">Aristoteles</hi> finden.</p><lb/>
              <p>Die sogenannten Prädicabilien, Gattung, Art, und<lb/>
was dahin gehört, sind nicht eben schwer zu erklären.<lb/>
Ein Ding zeige sich veränderlich; so wird es in seinen<lb/>
verschiedenen Zuständen mit sich selbst verglichen. Zwi-<lb/>
schen mehrern Dingen bildet sich die Vergleichung der-<lb/>
gestalt aus, da&#x017F;s <hi rendition="#g">verschiedene Individuen dersel-<lb/>
ben Art</hi>, und weiterhin <hi rendition="#g">verschiedene Arten der-<lb/>
selben Gattung</hi>, eben als solche erkannt und betrach-<lb/>
tet werden. Man begegne z. B. einer Menge von Hun-<lb/>
den. Jeder folgende reproducirt die ganze Masse von<lb/>
Vorstellungen, die der vorhergehende dargeboten hatte.<lb/>
Der eben jetzt gesehene bildet nun das Subject für die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nega-</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0243] der Zeit zu Hülfe nimmt, um doch auf irgend eine Weise die geforderte Auseinandersetzung zu gewinnen. Bey sichtbaren Dingen leistet der Raum dieselben Dienste; es ist unmöglich, daſs ein Ding an der nämlichen Stelle schwarz und weiſs, rund und eckigt sey; hinge- gen an verschiedenen Stellen ist beydes neben einander möglich (weil diese Verschiedenen nicht wirklich Ein Ding sind). Soviel über die Kategorien. Einen Nachtrag wird man im folgenden Abschnitte finden. — Es würde ein unangenehmes Geschäfft für mich seyn, die Kantische Lehre über diesen Gegenstand vollständig zu beleuchten. Soviel springt in die Augen, daſs bey Kant die Qualität nur dem Namen nach dasteht, denn er hat ihr nichts anderes untergeordnet als Realität und Negation, die nichts weniger sind als Qualitäten; und daſs die Rela- tion viel zu eng beschränkt ist. Von Substanz und Ur- sache wird weiterhin ausführlich zu reden seyn. Kants Irrthum, als ob er das Vermögen des menschlichen Ver- standes ausgemessen hätte, gab der Philosophie viel Muth und viel Uebermuth; und wird deshalb in der Ge- schichte der Wissenschaft auf immer denkwürdig blei- ben. Wer weitern Stoff zum Nachdenken wünscht, kann ihn in dem zwar nicht sonderlich geordneten, aber reich- haltigen Aufsatze des Aristoteles finden. Die sogenannten Prädicabilien, Gattung, Art, und was dahin gehört, sind nicht eben schwer zu erklären. Ein Ding zeige sich veränderlich; so wird es in seinen verschiedenen Zuständen mit sich selbst verglichen. Zwi- schen mehrern Dingen bildet sich die Vergleichung der- gestalt aus, daſs verschiedene Individuen dersel- ben Art, und weiterhin verschiedene Arten der- selben Gattung, eben als solche erkannt und betrach- tet werden. Man begegne z. B. einer Menge von Hun- den. Jeder folgende reproducirt die ganze Masse von Vorstellungen, die der vorhergehende dargeboten hatte. Der eben jetzt gesehene bildet nun das Subject für die nega-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/243
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/243>, abgerufen am 27.11.2024.