erinnern, dass viele Auffassungen zusammengenom- men keineswegs ursprünglich als Vieles aufgefasst werden; und zwar gerade wegen der Verbindung, die sie eingehn. Ohne die Reproductionsgesetze, die Eins zwi- schen Anderes setzen, würde es eben so wenig jemals eine Kategorie der Quantität gegeben haben, als einen Raum und eine Zeit; denn die Einheit der Seele würde die Theile des Vielen so völlig verschlingen, und in sich versenken, dass gar kein Mannigfaltiges mehr in ihm könnte geschieden werden; -- genau so, wie die Einheit jedes einzelnen Dinges zu Stande kommt, wie gross auch die Anzahl und die Verschiedenheit der Merkmale seyn möge, deren Vorstellungen zusammengenommen die Vor- stellung des Dinges selbst sind. Man muss sich daher dasjenige vergegenwärtigen, was oben über Raum, Zeit, und Zahl gesagt worden; und man muss dies alles jetzt näher bestimmen durch die allgemeine Ueberlegung, dass Gesammt-Eindrücke des Aehnlichen, wie zu allen Be- griffen, eben so auch zu Grössenbegriffen die Grundlage abgeben können. Am Ende des §. 114. war von der Reproduction wegen der Gestalt die Rede. Man erwei- tere dies auf die Reproduction gleicher Rhythmen, und gleicher Fortschreitungen unter den Zahlen; man bedenke, welche Verschmelzung oft wiederhohlter, ähnlicher Grö- ssen-Vorstellungen nothwendig vor sich gehn müsse; man wird auf diese Weise den Weg zu den Grössen- Begriffen geöffnet finden.
Was insbesondere die Zahlen anlangt: so scheint hier alles Zwischen-Liegende, welches die darin enthal- tenen Einheiten trennen könnte, zu mangeln; daher denn, nach der obigen Bemerkung, ihre Vielheit ganz zusam- men fallen, und jede Zahl gleich Eins werden sollte. Allein gerade dies beweis't, dass die Zahlbegriffe nichts Primitives sind, und dass ihnen eine dunkle Voraus- setzung anklebt, die man nachweisen muss, um sie zu verstehn. Die ursprünglichen Zahlen sind Anzahlen ge- sonderter Gegenstände; wie zwölf Stühle, zwölf Personen.
erinnern, daſs viele Auffassungen zusammengenom- men keineswegs ursprünglich als Vieles aufgefaſst werden; und zwar gerade wegen der Verbindung, die sie eingehn. Ohne die Reproductionsgesetze, die Eins zwi- schen Anderes setzen, würde es eben so wenig jemals eine Kategorie der Quantität gegeben haben, als einen Raum und eine Zeit; denn die Einheit der Seele würde die Theile des Vielen so völlig verschlingen, und in sich versenken, daſs gar kein Mannigfaltiges mehr in ihm könnte geschieden werden; — genau so, wie die Einheit jedes einzelnen Dinges zu Stande kommt, wie groſs auch die Anzahl und die Verschiedenheit der Merkmale seyn möge, deren Vorstellungen zusammengenommen die Vor- stellung des Dinges selbst sind. Man muſs sich daher dasjenige vergegenwärtigen, was oben über Raum, Zeit, und Zahl gesagt worden; und man muſs dies alles jetzt näher bestimmen durch die allgemeine Ueberlegung, daſs Gesammt-Eindrücke des Aehnlichen, wie zu allen Be- griffen, eben so auch zu Gröſsenbegriffen die Grundlage abgeben können. Am Ende des §. 114. war von der Reproduction wegen der Gestalt die Rede. Man erwei- tere dies auf die Reproduction gleicher Rhythmen, und gleicher Fortschreitungen unter den Zahlen; man bedenke, welche Verschmelzung oft wiederhohlter, ähnlicher Grö- ſsen-Vorstellungen nothwendig vor sich gehn müsse; man wird auf diese Weise den Weg zu den Gröſsen- Begriffen geöffnet finden.
Was insbesondere die Zahlen anlangt: so scheint hier alles Zwischen-Liegende, welches die darin enthal- tenen Einheiten trennen könnte, zu mangeln; daher denn, nach der obigen Bemerkung, ihre Vielheit ganz zusam- men fallen, und jede Zahl gleich Eins werden sollte. Allein gerade dies beweis’t, daſs die Zahlbegriffe nichts Primitives sind, und daſs ihnen eine dunkle Voraus- setzung anklebt, die man nachweisen muſs, um sie zu verstehn. Die ursprünglichen Zahlen sind Anzahlen ge- sonderter Gegenstände; wie zwölf Stühle, zwölf Personen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0235"n="200"/>
erinnern, daſs <hirendition="#g">viele Auffassungen</hi> zusammengenom-<lb/>
men keineswegs ursprünglich <hirendition="#g">als Vieles aufgefaſst</hi><lb/>
werden; und zwar gerade wegen der Verbindung, die sie<lb/>
eingehn. Ohne die Reproductionsgesetze, die Eins <hirendition="#g">zwi-<lb/>
schen</hi> Anderes setzen, würde es eben so wenig jemals<lb/>
eine Kategorie der Quantität gegeben haben, als einen<lb/>
Raum und eine Zeit; denn die Einheit der Seele würde<lb/>
die Theile des Vielen so völlig verschlingen, und in sich<lb/>
versenken, daſs gar kein Mannigfaltiges mehr in ihm<lb/>
könnte geschieden werden; — genau so, wie die Einheit<lb/>
jedes einzelnen Dinges zu Stande kommt, wie groſs auch<lb/>
die Anzahl und die Verschiedenheit der Merkmale seyn<lb/>
möge, deren Vorstellungen zusammengenommen die Vor-<lb/>
stellung des Dinges selbst sind. Man muſs sich daher<lb/>
dasjenige vergegenwärtigen, was oben über Raum, Zeit,<lb/>
und Zahl gesagt worden; und man muſs dies alles jetzt<lb/>
näher bestimmen durch die allgemeine Ueberlegung, daſs<lb/>
Gesammt-Eindrücke des Aehnlichen, wie zu allen Be-<lb/>
griffen, eben so auch zu Gröſsenbegriffen die Grundlage<lb/>
abgeben können. Am Ende des §. 114. war von der<lb/>
Reproduction wegen der Gestalt die Rede. Man erwei-<lb/>
tere dies auf die Reproduction gleicher Rhythmen, und<lb/>
gleicher Fortschreitungen unter den Zahlen; man bedenke,<lb/>
welche Verschmelzung oft wiederhohlter, ähnlicher Grö-<lb/>ſsen-Vorstellungen nothwendig vor sich gehn müsse;<lb/>
man wird auf diese Weise den Weg zu den Gröſsen-<lb/><hirendition="#g">Begriffen</hi> geöffnet finden.</p><lb/><p>Was insbesondere die Zahlen anlangt: so scheint<lb/>
hier alles Zwischen-Liegende, welches die darin enthal-<lb/>
tenen Einheiten trennen könnte, zu mangeln; daher denn,<lb/>
nach der obigen Bemerkung, ihre Vielheit ganz zusam-<lb/>
men fallen, und jede Zahl gleich Eins werden sollte.<lb/>
Allein gerade dies beweis’t, daſs die Zahlbegriffe nichts<lb/>
Primitives sind, und daſs ihnen eine dunkle Voraus-<lb/>
setzung anklebt, die man nachweisen muſs, um sie zu<lb/>
verstehn. Die ursprünglichen Zahlen sind Anzahlen ge-<lb/>
sonderter Gegenstände; wie zwölf Stühle, zwölf Personen.<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[200/0235]
erinnern, daſs viele Auffassungen zusammengenom-
men keineswegs ursprünglich als Vieles aufgefaſst
werden; und zwar gerade wegen der Verbindung, die sie
eingehn. Ohne die Reproductionsgesetze, die Eins zwi-
schen Anderes setzen, würde es eben so wenig jemals
eine Kategorie der Quantität gegeben haben, als einen
Raum und eine Zeit; denn die Einheit der Seele würde
die Theile des Vielen so völlig verschlingen, und in sich
versenken, daſs gar kein Mannigfaltiges mehr in ihm
könnte geschieden werden; — genau so, wie die Einheit
jedes einzelnen Dinges zu Stande kommt, wie groſs auch
die Anzahl und die Verschiedenheit der Merkmale seyn
möge, deren Vorstellungen zusammengenommen die Vor-
stellung des Dinges selbst sind. Man muſs sich daher
dasjenige vergegenwärtigen, was oben über Raum, Zeit,
und Zahl gesagt worden; und man muſs dies alles jetzt
näher bestimmen durch die allgemeine Ueberlegung, daſs
Gesammt-Eindrücke des Aehnlichen, wie zu allen Be-
griffen, eben so auch zu Gröſsenbegriffen die Grundlage
abgeben können. Am Ende des §. 114. war von der
Reproduction wegen der Gestalt die Rede. Man erwei-
tere dies auf die Reproduction gleicher Rhythmen, und
gleicher Fortschreitungen unter den Zahlen; man bedenke,
welche Verschmelzung oft wiederhohlter, ähnlicher Grö-
ſsen-Vorstellungen nothwendig vor sich gehn müsse;
man wird auf diese Weise den Weg zu den Gröſsen-
Begriffen geöffnet finden.
Was insbesondere die Zahlen anlangt: so scheint
hier alles Zwischen-Liegende, welches die darin enthal-
tenen Einheiten trennen könnte, zu mangeln; daher denn,
nach der obigen Bemerkung, ihre Vielheit ganz zusam-
men fallen, und jede Zahl gleich Eins werden sollte.
Allein gerade dies beweis’t, daſs die Zahlbegriffe nichts
Primitives sind, und daſs ihnen eine dunkle Voraus-
setzung anklebt, die man nachweisen muſs, um sie zu
verstehn. Die ursprünglichen Zahlen sind Anzahlen ge-
sonderter Gegenstände; wie zwölf Stühle, zwölf Personen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/235>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.