meine des Dinges überhaupt. -- Das nämliche kommt vor, wenn wir ein Wort in einer uns unbekannten Sprache hören, oder unbekannte Schriftzüge erblicken; auch hier ist ein Gemisch von Vorstellungen im Begriff hervorzu- treten; aber alle nähere Bestimmtheit wird zurückgewie- sen, es bleibt das ganz unbestimmte Streben, irgend et- was zu setzen, welches durch das Wort bezeichnet werde, noch übrig; ein Beyspiel zu dem Begriffe des gedach- ten Dinges, so wie die frühern zu dem des gegebe- nen gehörten. Uebrigens ist es Aristoteles, dessen deuterai ousiai mich veranlassen, des gedachten Dinges neben dem gegebenen zu erwähnen; er versteht nämlich darunter die Arten und Gattungen.
Zweytens, wie entsteht die Vorstellung der Eigen- schaft? Die Antwort ist bey der Lehre vom Ursprunge der Urtheile gegeben; und hängt mit dem nächst-Vor- hergehenden unmittelbar zusammen. In der Vorstellung des Dinges liegt fortwährend das Aufstreben bestimmter, aber entgegengesetzter, und einander hemmender, frü- herer Wahrnehmungen. Sobald nun die zuvor unbe- kannten Gegenstände theilweise bekannt werden, entstehn Urtheile; die gefundenen Merkmale werden Prädicate eben in so fern, als sie von jenem Entgegengesetzten, das zugleich aufstrebte, Einiges hervortreten lassen mit Zurückdrängung des Uebrigen. Je öfter durch derglei- chen Urtheile jener unbestimmte Begriff des Dinges, (oder auch andre, unter ihm stehende, minder allgemeine Be- griffe gewisser Gattungen und Arten,) sind bestimmt worden: desto mehrere werden der Vorstellungen, welche den Platz und Rang von Prädicaten einnehmen; ein Process, der im Laufe des Lebens immer fortgeht, ohne dass es möglich wäre, für ihn besondere Epochen vest- zutetzen. Die geistige Ausbildung macht, der Erfahrung zufolge, nur kleine, kaum merkliche Schritte.
Etwas schwerer zu erklären ist der Begriff der Quan- tität, so fern derselbe allem Uebrigen, was Eigenschaft heissen kann, gegenüber tritt. Hier muss man sich zuerst
meine des Dinges überhaupt. — Das nämliche kommt vor, wenn wir ein Wort in einer uns unbekannten Sprache hören, oder unbekannte Schriftzüge erblicken; auch hier ist ein Gemisch von Vorstellungen im Begriff hervorzu- treten; aber alle nähere Bestimmtheit wird zurückgewie- sen, es bleibt das ganz unbestimmte Streben, irgend et- was zu setzen, welches durch das Wort bezeichnet werde, noch übrig; ein Beyspiel zu dem Begriffe des gedach- ten Dinges, so wie die frühern zu dem des gegebe- nen gehörten. Uebrigens ist es Aristoteles, dessen δεύτεραι οὐσίαι mich veranlassen, des gedachten Dinges neben dem gegebenen zu erwähnen; er versteht nämlich darunter die Arten und Gattungen.
Zweytens, wie entsteht die Vorstellung der Eigen- schaft? Die Antwort ist bey der Lehre vom Ursprunge der Urtheile gegeben; und hängt mit dem nächst-Vor- hergehenden unmittelbar zusammen. In der Vorstellung des Dinges liegt fortwährend das Aufstreben bestimmter, aber entgegengesetzter, und einander hemmender, frü- herer Wahrnehmungen. Sobald nun die zuvor unbe- kannten Gegenstände theilweise bekannt werden, entstehn Urtheile; die gefundenen Merkmale werden Prädicate eben in so fern, als sie von jenem Entgegengesetzten, das zugleich aufstrebte, Einiges hervortreten lassen mit Zurückdrängung des Uebrigen. Je öfter durch derglei- chen Urtheile jener unbestimmte Begriff des Dinges, (oder auch andre, unter ihm stehende, minder allgemeine Be- griffe gewisser Gattungen und Arten,) sind bestimmt worden: desto mehrere werden der Vorstellungen, welche den Platz und Rang von Prädicaten einnehmen; ein Proceſs, der im Laufe des Lebens immer fortgeht, ohne daſs es möglich wäre, für ihn besondere Epochen vest- zutetzen. Die geistige Ausbildung macht, der Erfahrung zufolge, nur kleine, kaum merkliche Schritte.
Etwas schwerer zu erklären ist der Begriff der Quan- tität, so fern derselbe allem Uebrigen, was Eigenschaft heiſsen kann, gegenüber tritt. Hier muſs man sich zuerst
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meine des Dinges überhaupt. — Das nämliche kommt
vor, wenn wir ein Wort in einer uns unbekannten Sprache
hören, oder unbekannte Schriftzüge erblicken; auch hier
ist ein Gemisch von Vorstellungen im Begriff hervorzu-
treten; aber alle nähere Bestimmtheit wird zurückgewie-
sen, es bleibt das ganz unbestimmte Streben, irgend et-
was zu setzen, welches durch das Wort bezeichnet werde,
noch übrig; ein Beyspiel zu dem Begriffe des gedach-
ten Dinges, so wie die frühern zu dem des gegebe-
nen gehörten. Uebrigens ist es Aristoteles, dessen
δεύτεραι οὐσίαι mich veranlassen, des gedachten Dinges
neben dem gegebenen zu erwähnen; er versteht nämlich
darunter die Arten und Gattungen.
Zweytens, wie entsteht die Vorstellung der Eigen-
schaft? Die Antwort ist bey der Lehre vom Ursprunge
der Urtheile gegeben; und hängt mit dem nächst-Vor-
hergehenden unmittelbar zusammen. In der Vorstellung
des Dinges liegt fortwährend das Aufstreben bestimmter,
aber entgegengesetzter, und einander hemmender, frü-
herer Wahrnehmungen. Sobald nun die zuvor unbe-
kannten Gegenstände theilweise bekannt werden, entstehn
Urtheile; die gefundenen Merkmale werden Prädicate
eben in so fern, als sie von jenem Entgegengesetzten,
das zugleich aufstrebte, Einiges hervortreten lassen mit
Zurückdrängung des Uebrigen. Je öfter durch derglei-
chen Urtheile jener unbestimmte Begriff des Dinges, (oder
auch andre, unter ihm stehende, minder allgemeine Be-
griffe gewisser Gattungen und Arten,) sind bestimmt
worden: desto mehrere werden der Vorstellungen, welche
den Platz und Rang von Prädicaten einnehmen; ein
Proceſs, der im Laufe des Lebens immer fortgeht, ohne
daſs es möglich wäre, für ihn besondere Epochen vest-
zutetzen. Die geistige Ausbildung macht, der Erfahrung
zufolge, nur kleine, kaum merkliche Schritte.
Etwas schwerer zu erklären ist der Begriff der Quan-
tität, so fern derselbe allem Uebrigen, was Eigenschaft
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/234>, abgerufen am 24.11.2024.
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