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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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ohne ihm noch zugeeignet oder abgesprochen zu seyn.
Der Logik ziemt ein solcher Gang, eben darum weil sie
nicht Psychologie ist, und es ihr ganz gleich gilt, ob
wirklich im menschlichen Denken jedem Urtheile die Frage
vorangehe, deren Entscheidung es enthält, oder nicht.

Hingegen in der Psychologie kommt es nicht unmit-
telbar darauf an, was in dem Urtheile das Gedachte,
sondern welcher der Lauf des Denkens sey. Dieser nun
hebt so wenig allemal von einer bestimmten Frage an,
dass vielmehr sein Wesentliches viel tiefer liegt, und viel
häufiger vorkommt, viel ursprünglicher sich ereignet, als
alles, was eine kenntliche logische Form an sich trägt.

Man betrachte zuerst die ganz einfachen Ausrufun-
gen, wie: Feuer! -- Land! -- Der Feind! -- Der
König
! -- Hoffentlich wird man diese nicht nach Art
der Grammatiker für blosse Ellipsen erklären, bey denen
der Rufende eigentlich dächte: Dort steht ein Haus
in Flammen! Dort wird eine Küste sichtbar!
Der Feind rückt heran! Der König kommt oder
steht dort
! -- So viel Weitläuftigkeit machen die Ge-
danken des Rufenden nicht. Sondern er bezeichnet ein
blosses Erkennen des Gesehenen. Der Anblick geht
voran, die Vorstellung, die er unmittelbar giebt, weckt
eine frühere Vorstellung, welche mit jener verschmilzt;
dieser früheren gehört, wie der Name, so das Furchtbare
oder Erfreuliche, was den Rufenden in Affect versetzt.
Denn der blosse unmittelbare Anblick einer Flamme ist
nicht so gar schrecklich, so wenig wie die Gesichts-Vor-
stellung einer entfernten Küste besonders erheiternd. --
Ob nun gleich in jenen Ausrufungen weder Subject noch
Copula abgesondert hervortreten, so sind sie doch sehr
leicht psychologisch zu erkennen, während sie im logi-
schen Sinne wirklich fehlen. Die unmittelbare Wahr-
nehmung giebt das Subject; die Verschmelzung ist das,
was die Copula zu bezeichnen hätte; die frühere, erwa-
chende und mit jener ersten verschmelzende Vorstellung
nimmt die Stelle des Prädicats ein. Aber eben darum,

ohne ihm noch zugeeignet oder abgesprochen zu seyn.
Der Logik ziemt ein solcher Gang, eben darum weil sie
nicht Psychologie ist, und es ihr ganz gleich gilt, ob
wirklich im menschlichen Denken jedem Urtheile die Frage
vorangehe, deren Entscheidung es enthält, oder nicht.

Hingegen in der Psychologie kommt es nicht unmit-
telbar darauf an, was in dem Urtheile das Gedachte,
sondern welcher der Lauf des Denkens sey. Dieser nun
hebt so wenig allemal von einer bestimmten Frage an,
daſs vielmehr sein Wesentliches viel tiefer liegt, und viel
häufiger vorkommt, viel ursprünglicher sich ereignet, als
alles, was eine kenntliche logische Form an sich trägt.

Man betrachte zuerst die ganz einfachen Ausrufun-
gen, wie: Feuer! — Land! — Der Feind! — Der
König
! — Hoffentlich wird man diese nicht nach Art
der Grammatiker für bloſse Ellipsen erklären, bey denen
der Rufende eigentlich dächte: Dort steht ein Haus
in Flammen! Dort wird eine Küste sichtbar!
Der Feind rückt heran! Der König kommt oder
steht dort
! — So viel Weitläuftigkeit machen die Ge-
danken des Rufenden nicht. Sondern er bezeichnet ein
bloſses Erkennen des Gesehenen. Der Anblick geht
voran, die Vorstellung, die er unmittelbar giebt, weckt
eine frühere Vorstellung, welche mit jener verschmilzt;
dieser früheren gehört, wie der Name, so das Furchtbare
oder Erfreuliche, was den Rufenden in Affect versetzt.
Denn der bloſse unmittelbare Anblick einer Flamme ist
nicht so gar schrecklich, so wenig wie die Gesichts-Vor-
stellung einer entfernten Küste besonders erheiternd. —
Ob nun gleich in jenen Ausrufungen weder Subject noch
Copula abgesondert hervortreten, so sind sie doch sehr
leicht psychologisch zu erkennen, während sie im logi-
schen Sinne wirklich fehlen. Die unmittelbare Wahr-
nehmung giebt das Subject; die Verschmelzung ist das,
was die Copula zu bezeichnen hätte; die frühere, erwa-
chende und mit jener ersten verschmelzende Vorstellung
nimmt die Stelle des Prädicats ein. Aber eben darum,

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[186/0221] ohne ihm noch zugeeignet oder abgesprochen zu seyn. Der Logik ziemt ein solcher Gang, eben darum weil sie nicht Psychologie ist, und es ihr ganz gleich gilt, ob wirklich im menschlichen Denken jedem Urtheile die Frage vorangehe, deren Entscheidung es enthält, oder nicht. Hingegen in der Psychologie kommt es nicht unmit- telbar darauf an, was in dem Urtheile das Gedachte, sondern welcher der Lauf des Denkens sey. Dieser nun hebt so wenig allemal von einer bestimmten Frage an, daſs vielmehr sein Wesentliches viel tiefer liegt, und viel häufiger vorkommt, viel ursprünglicher sich ereignet, als alles, was eine kenntliche logische Form an sich trägt. Man betrachte zuerst die ganz einfachen Ausrufun- gen, wie: Feuer! — Land! — Der Feind! — Der König! — Hoffentlich wird man diese nicht nach Art der Grammatiker für bloſse Ellipsen erklären, bey denen der Rufende eigentlich dächte: Dort steht ein Haus in Flammen! Dort wird eine Küste sichtbar! Der Feind rückt heran! Der König kommt oder steht dort! — So viel Weitläuftigkeit machen die Ge- danken des Rufenden nicht. Sondern er bezeichnet ein bloſses Erkennen des Gesehenen. Der Anblick geht voran, die Vorstellung, die er unmittelbar giebt, weckt eine frühere Vorstellung, welche mit jener verschmilzt; dieser früheren gehört, wie der Name, so das Furchtbare oder Erfreuliche, was den Rufenden in Affect versetzt. Denn der bloſse unmittelbare Anblick einer Flamme ist nicht so gar schrecklich, so wenig wie die Gesichts-Vor- stellung einer entfernten Küste besonders erheiternd. — Ob nun gleich in jenen Ausrufungen weder Subject noch Copula abgesondert hervortreten, so sind sie doch sehr leicht psychologisch zu erkennen, während sie im logi- schen Sinne wirklich fehlen. Die unmittelbare Wahr- nehmung giebt das Subject; die Verschmelzung ist das, was die Copula zu bezeichnen hätte; die frühere, erwa- chende und mit jener ersten verschmelzende Vorstellung nimmt die Stelle des Prädicats ein. Aber eben darum,

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/221>, abgerufen am 24.11.2024.