Wir brauchen also nur eine Voraussetzung anzu- nehmen, unter welcher der Anfangspunct und der End- punct einer Zeitstrecke gleiche Klarheit im Bewusstseyn erlangen können; alsdann wird sich das Uebrige von selbst finden. Gesetzt demnach, von einer Reihe wohl verschmolzener successiver Wahrnehmungen werde am Ende die erste und die letzte wiederholt: so reproducirt jede von beyden das zwischenliegende, aber jede nach ihrer Art. Die Reproduction des Endpuncts stellt die ganze Reihe auf einmal vor Augen, aber mit rückwärts abnehmender Stärke, so dass die vordersten Glieder der Reihe wie in einen dunkeln Hintergrund treten. Zugleich durchläuft die Reproduction des Anfangspunctes alle Glieder von vorn nach hinten: oder eigentlich, sie wirkt auf alle zugleich, aber lässt die frühern eiliger als die spätern hervorkommen, so dass die ganze Reihe in ei- nem solchen unaufhörlichen Uebergehn in allen ihren Theilen schwebend erhalten wird, wie es der wirklichen successiven Wahrnehmung analog ist.
Indem nun jene erste Reproduction gleichsam eine Perspective in die Ferne eröffnet, und die zweyte aus dieser Ferne etwas näher kommen lässt: fehlt noch das Merkmal, das Entfernte sey nicht; es fehlt die Negation in dem Begriffe des Aufhörens. Aber wenn man von dem Zeitlichen als einem Sinnlichen und Anschaulichen redet, so wird man dieses Merkmal in dem Nacheinan- der nun schon entbehren müssen. Denn wie auch der Un- terschied zwischen Anschauungen und Begriffen möchte bestimmt werden, so wird doch Niemand behaupten, dass eine Negation könne angeschaut werden. Daraus ergiebt sich, dass, wie oben von dem Aussereinander im eigent- lichsten Sinne, eben so hier von dem Nacheinander zu sagen ist, die Vorstellung desselben sey vielmehr ein Be- griff als eine Anschauung. Bis an die Gränze der Be- griffe aber haben wir beyderley Vorstellungen nunmehr verfolgt und ihren Ursprung psychologisch erkannt.
Es bleiben nun noch einige Bemerkungen über die
Wir brauchen also nur eine Voraussetzung anzu- nehmen, unter welcher der Anfangspunct und der End- punct einer Zeitstrecke gleiche Klarheit im Bewuſstseyn erlangen können; alsdann wird sich das Uebrige von selbst finden. Gesetzt demnach, von einer Reihe wohl verschmolzener successiver Wahrnehmungen werde am Ende die erste und die letzte wiederholt: so reproducirt jede von beyden das zwischenliegende, aber jede nach ihrer Art. Die Reproduction des Endpuncts stellt die ganze Reihe auf einmal vor Augen, aber mit rückwärts abnehmender Stärke, so daſs die vordersten Glieder der Reihe wie in einen dunkeln Hintergrund treten. Zugleich durchläuft die Reproduction des Anfangspunctes alle Glieder von vorn nach hinten: oder eigentlich, sie wirkt auf alle zugleich, aber läſst die frühern eiliger als die spätern hervorkommen, so daſs die ganze Reihe in ei- nem solchen unaufhörlichen Uebergehn in allen ihren Theilen schwebend erhalten wird, wie es der wirklichen successiven Wahrnehmung analog ist.
Indem nun jene erste Reproduction gleichsam eine Perspective in die Ferne eröffnet, und die zweyte aus dieser Ferne etwas näher kommen läſst: fehlt noch das Merkmal, das Entfernte sey nicht; es fehlt die Negation in dem Begriffe des Aufhörens. Aber wenn man von dem Zeitlichen als einem Sinnlichen und Anschaulichen redet, so wird man dieses Merkmal in dem Nacheinan- der nun schon entbehren müssen. Denn wie auch der Un- terschied zwischen Anschauungen und Begriffen möchte bestimmt werden, so wird doch Niemand behaupten, daſs eine Negation könne angeschaut werden. Daraus ergiebt sich, daſs, wie oben von dem Auſsereinander im eigent- lichsten Sinne, eben so hier von dem Nacheinander zu sagen ist, die Vorstellung desselben sey vielmehr ein Be- griff als eine Anschauung. Bis an die Gränze der Be- griffe aber haben wir beyderley Vorstellungen nunmehr verfolgt und ihren Ursprung psychologisch erkannt.
Es bleiben nun noch einige Bemerkungen über die
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Wir brauchen also nur eine Voraussetzung anzu-
nehmen, unter welcher der Anfangspunct und der End-
punct einer Zeitstrecke gleiche Klarheit im Bewuſstseyn
erlangen können; alsdann wird sich das Uebrige von
selbst finden. Gesetzt demnach, von einer Reihe wohl
verschmolzener successiver Wahrnehmungen werde am
Ende die erste und die letzte wiederholt: so reproducirt
jede von beyden das zwischenliegende, aber jede nach
ihrer Art. Die Reproduction des Endpuncts stellt die
ganze Reihe auf einmal vor Augen, aber mit rückwärts
abnehmender Stärke, so daſs die vordersten Glieder der
Reihe wie in einen dunkeln Hintergrund treten. Zugleich
durchläuft die Reproduction des Anfangspunctes alle
Glieder von vorn nach hinten: oder eigentlich, sie wirkt
auf alle zugleich, aber läſst die frühern eiliger als die
spätern hervorkommen, so daſs die ganze Reihe in ei-
nem solchen unaufhörlichen Uebergehn in allen ihren
Theilen schwebend erhalten wird, wie es der wirklichen
successiven Wahrnehmung analog ist.
Indem nun jene erste Reproduction gleichsam eine
Perspective in die Ferne eröffnet, und die zweyte aus
dieser Ferne etwas näher kommen läſst: fehlt noch das
Merkmal, das Entfernte sey nicht; es fehlt die Negation
in dem Begriffe des Aufhörens. Aber wenn man von
dem Zeitlichen als einem Sinnlichen und Anschaulichen
redet, so wird man dieses Merkmal in dem Nacheinan-
der nun schon entbehren müssen. Denn wie auch der Un-
terschied zwischen Anschauungen und Begriffen möchte
bestimmt werden, so wird doch Niemand behaupten, daſs
eine Negation könne angeschaut werden. Daraus ergiebt
sich, daſs, wie oben von dem Auſsereinander im eigent-
lichsten Sinne, eben so hier von dem Nacheinander zu
sagen ist, die Vorstellung desselben sey vielmehr ein Be-
griff als eine Anschauung. Bis an die Gränze der Be-
griffe aber haben wir beyderley Vorstellungen nunmehr
verfolgt und ihren Ursprung psychologisch erkannt.
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/189>, abgerufen am 22.11.2024.
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