Endlich die Bewegung des Ganzen vor seinem Hin- tergrunde, (sey sie auch nur scheinbar, wie wenn uns im Spazierengehn ein Baum vor der dahinter liegenden Landschaft vorüberzuwandeln scheint,) hat offenbar die Folge, dass sich das Ganze losreisst von der Umgebung. Allein diesen Punct müssen wir, der Folgen wegen, ge- nauer überlegen.
Aehnliche Reproductionsgesetze, wie die zwischen den Partialvorstellungen des Ganzen, verknüpfen auch die Vorstellung des Ganzen mit denen der Umgebung. Wer den Spiegel an der Wand erblickte, der wird an der Wand zuverlässig vermöge der Reproduction den Spie- gel vermissen und suchen, nachdem derselbe weggenom- men ist. Hängt aber nunmehr der Spiegel an einer neuen Wand: so entsteht eine neue Verschmelzung. Wird die Stelle des Spiegels abermals verändert: so sollten jene beyden Wände, als seine Umgebung, zu- gleich reproducirt werden; allein schon jetzt entsteht eine Hemmung unter den Reihen, welche stets grösser wird, wenn der Spiegel seinen Platz noch öfter verändert. Von der solchergestalt allmählig vollständiger erfolgenden Iso- lirung der Vorstellungen war schon im §. 101. die Rede; allein dort konnte noch nicht derjenige Hauptumstand ins Licht gesetzt werden, welcher die Vorstellungen des Räumlichen als solche betrifft.
Es bewege sich ein Gegenstand continuirlich vor ei- nem bunten Hintergrunde vorüber. Da seine stets ver- änderte Umgebung immer mit ihm verschmilzt; so muss in der gesammten Reproduction aller Umgebungen sich endlich jede bestimmte Zeichnung und Färbung durch gegenseitige Hemmung auslöschen; aber das Gemeinsame aller dieser Reproductionen, nämlich die Ordnung des Zwischenliegenden, also die Räumlichkeit, muss dennoch bleiben. Daher nun der Raum selbst, in welchem wir jeden sichtbaren oder fühlbaren Gegenstand, als in eine unbestimmte Umgebung, hineinversetzen, sobald wir ihn denken! Was ist dieser Raum? Nichts anderes als eine
Endlich die Bewegung des Ganzen vor seinem Hin- tergrunde, (sey sie auch nur scheinbar, wie wenn uns im Spazierengehn ein Baum vor der dahinter liegenden Landschaft vorüberzuwandeln scheint,) hat offenbar die Folge, daſs sich das Ganze losreiſst von der Umgebung. Allein diesen Punct müssen wir, der Folgen wegen, ge- nauer überlegen.
Aehnliche Reproductionsgesetze, wie die zwischen den Partialvorstellungen des Ganzen, verknüpfen auch die Vorstellung des Ganzen mit denen der Umgebung. Wer den Spiegel an der Wand erblickte, der wird an der Wand zuverlässig vermöge der Reproduction den Spie- gel vermissen und suchen, nachdem derselbe weggenom- men ist. Hängt aber nunmehr der Spiegel an einer neuen Wand: so entsteht eine neue Verschmelzung. Wird die Stelle des Spiegels abermals verändert: so sollten jene beyden Wände, als seine Umgebung, zu- gleich reproducirt werden; allein schon jetzt entsteht eine Hemmung unter den Reihen, welche stets gröſser wird, wenn der Spiegel seinen Platz noch öfter verändert. Von der solchergestalt allmählig vollständiger erfolgenden Iso- lirung der Vorstellungen war schon im §. 101. die Rede; allein dort konnte noch nicht derjenige Hauptumstand ins Licht gesetzt werden, welcher die Vorstellungen des Räumlichen als solche betrifft.
Es bewege sich ein Gegenstand continuirlich vor ei- nem bunten Hintergrunde vorüber. Da seine stets ver- änderte Umgebung immer mit ihm verschmilzt; so muſs in der gesammten Reproduction aller Umgebungen sich endlich jede bestimmte Zeichnung und Färbung durch gegenseitige Hemmung auslöschen; aber das Gemeinsame aller dieser Reproductionen, nämlich die Ordnung des Zwischenliegenden, also die Räumlichkeit, muſs dennoch bleiben. Daher nun der Raum selbst, in welchem wir jeden sichtbaren oder fühlbaren Gegenstand, als in eine unbestimmte Umgebung, hineinversetzen, sobald wir ihn denken! Was ist dieser Raum? Nichts anderes als eine
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0178"n="143"/><p>Endlich die Bewegung des Ganzen vor seinem Hin-<lb/>
tergrunde, (sey sie auch nur scheinbar, wie wenn uns<lb/>
im Spazierengehn ein Baum vor der dahinter liegenden<lb/>
Landschaft vorüberzuwandeln scheint,) hat offenbar die<lb/>
Folge, daſs sich das Ganze losreiſst von der Umgebung.<lb/>
Allein diesen Punct müssen wir, der Folgen wegen, ge-<lb/>
nauer überlegen.</p><lb/><p>Aehnliche Reproductionsgesetze, wie die zwischen<lb/>
den Partialvorstellungen des Ganzen, verknüpfen auch die<lb/>
Vorstellung des Ganzen mit denen der Umgebung. Wer<lb/>
den Spiegel an der Wand erblickte, der wird an der<lb/>
Wand zuverlässig vermöge der Reproduction den Spie-<lb/>
gel vermissen und suchen, nachdem derselbe weggenom-<lb/>
men ist. Hängt aber nunmehr der Spiegel an einer<lb/>
neuen Wand: so entsteht eine neue Verschmelzung.<lb/>
Wird die Stelle des Spiegels abermals verändert: so<lb/>
sollten jene beyden Wände, als seine Umgebung, zu-<lb/>
gleich reproducirt werden; allein schon jetzt entsteht eine<lb/>
Hemmung unter den Reihen, welche stets gröſser wird,<lb/>
wenn der Spiegel seinen Platz noch öfter verändert. Von<lb/>
der solchergestalt allmählig vollständiger erfolgenden <hirendition="#g">Iso-<lb/>
lirung</hi> der Vorstellungen war schon im §. 101. die Rede;<lb/>
allein dort konnte noch nicht derjenige Hauptumstand ins<lb/>
Licht gesetzt werden, welcher die Vorstellungen des<lb/>
Räumlichen als solche betrifft.</p><lb/><p>Es bewege sich ein Gegenstand continuirlich vor ei-<lb/>
nem bunten Hintergrunde vorüber. Da seine stets ver-<lb/>
änderte Umgebung immer mit ihm verschmilzt; so muſs<lb/>
in der gesammten Reproduction aller Umgebungen sich<lb/>
endlich jede bestimmte Zeichnung und Färbung durch<lb/>
gegenseitige Hemmung auslöschen; aber das Gemeinsame<lb/>
aller dieser Reproductionen, nämlich die Ordnung des<lb/>
Zwischenliegenden, also die Räumlichkeit, muſs dennoch<lb/>
bleiben. Daher nun der <hirendition="#g">Raum selbst</hi>, in welchem wir<lb/>
jeden sichtbaren oder fühlbaren Gegenstand, als in eine<lb/>
unbestimmte Umgebung, hineinversetzen, sobald wir ihn<lb/>
denken! Was ist dieser Raum? Nichts anderes als eine<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[143/0178]
Endlich die Bewegung des Ganzen vor seinem Hin-
tergrunde, (sey sie auch nur scheinbar, wie wenn uns
im Spazierengehn ein Baum vor der dahinter liegenden
Landschaft vorüberzuwandeln scheint,) hat offenbar die
Folge, daſs sich das Ganze losreiſst von der Umgebung.
Allein diesen Punct müssen wir, der Folgen wegen, ge-
nauer überlegen.
Aehnliche Reproductionsgesetze, wie die zwischen
den Partialvorstellungen des Ganzen, verknüpfen auch die
Vorstellung des Ganzen mit denen der Umgebung. Wer
den Spiegel an der Wand erblickte, der wird an der
Wand zuverlässig vermöge der Reproduction den Spie-
gel vermissen und suchen, nachdem derselbe weggenom-
men ist. Hängt aber nunmehr der Spiegel an einer
neuen Wand: so entsteht eine neue Verschmelzung.
Wird die Stelle des Spiegels abermals verändert: so
sollten jene beyden Wände, als seine Umgebung, zu-
gleich reproducirt werden; allein schon jetzt entsteht eine
Hemmung unter den Reihen, welche stets gröſser wird,
wenn der Spiegel seinen Platz noch öfter verändert. Von
der solchergestalt allmählig vollständiger erfolgenden Iso-
lirung der Vorstellungen war schon im §. 101. die Rede;
allein dort konnte noch nicht derjenige Hauptumstand ins
Licht gesetzt werden, welcher die Vorstellungen des
Räumlichen als solche betrifft.
Es bewege sich ein Gegenstand continuirlich vor ei-
nem bunten Hintergrunde vorüber. Da seine stets ver-
änderte Umgebung immer mit ihm verschmilzt; so muſs
in der gesammten Reproduction aller Umgebungen sich
endlich jede bestimmte Zeichnung und Färbung durch
gegenseitige Hemmung auslöschen; aber das Gemeinsame
aller dieser Reproductionen, nämlich die Ordnung des
Zwischenliegenden, also die Räumlichkeit, muſs dennoch
bleiben. Daher nun der Raum selbst, in welchem wir
jeden sichtbaren oder fühlbaren Gegenstand, als in eine
unbestimmte Umgebung, hineinversetzen, sobald wir ihn
denken! Was ist dieser Raum? Nichts anderes als eine
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/178>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.