Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

Ferner, das Aussereinander erfordert gleichmässi-
ges Vorstellen beyder
, aussereinander gelegenen
Puncte. Denn es seyen a und f die beyden Puncte:
so ist nicht minder f ausser a, als a ausser f; beyde tra-
gen gleichviel bey zu dem Aussereinander; und dasselbe
schliesst die Vorstellung beyder in gleichem Grade in sich.

Es kann scheinen, als würde dieser letzte Umstand
sich aus den erwähnten Reproductionsgesetzen nicht hin-
reichend erklären lassen. Denn das beschriebene succes-
sive Vorstellen reproducirt zwar von jedem Puncte aus
die übrigen, näheren und entfernteren, in ihrer Ordnung;
aber dabey ist die Vorstellung Eines Punctes die repro-
ducirende, diejenige also auch, welche vor allen andern
lebhaft hervortritt, während da, wo wir zweyer Puncte
Entfernung auffassen, unserer Meinung nach keiner von
beyden vorherrschend soll aufgefasst werden.

Dennoch gebe man Acht auf sich selbst, was da
vorgehe, wo man die Entfernung zweyer Puncte mit den
Augen messen will. Man wird wohl wahrnehmen, dass
es Mühe kostet, den einen Punct nicht mehr noch we-
niger als den andern zu sehen, und einen ruhigen Blick
auf beyde gleichmässig zu vertheilen. Man wird sich
leicht überzeugen, dass ursprünglich das Auge zwischen
beyden hin und hergeht, dass es die Entfernung vorwärts
und rückwärts durchläuft; dass dadurch zwey Repro-
ductionsgesetze
gebildet werden, indem jeder von
beyden Puncten
, erst das Mittlere, Zwischenliegende,
und dann den andern Punct reproducirt. Man wird ein-
sehn, dass erst nachdem das hiemit verbundene zwie-
fache
successive Vorstellen sich ins Gleichgewicht ge-
setzt hat, erst nachdem beyde entgegengesetzte
Reproductionen wider einander zu laufen be-
ginnen
, jene gleichmässige Vorstellung des Ausserein-
ander möglich wird; die also noch weiter von der ur-
sprünglichen, gegebenen Empfindung absteht, als das
erste Auseinandertreten, die erste räumliche Ausbreitung
des Wahrgenommenen. Daher würde man das eigent-

Ferner, das Auſsereinander erfordert gleichmäſsi-
ges Vorstellen beyder
, auſsereinander gelegenen
Puncte. Denn es seyen a und f die beyden Puncte:
so ist nicht minder f auſser a, als a auſser f; beyde tra-
gen gleichviel bey zu dem Auſsereinander; und dasselbe
schlieſst die Vorstellung beyder in gleichem Grade in sich.

Es kann scheinen, als würde dieser letzte Umstand
sich aus den erwähnten Reproductionsgesetzen nicht hin-
reichend erklären lassen. Denn das beschriebene succes-
sive Vorstellen reproducirt zwar von jedem Puncte aus
die übrigen, näheren und entfernteren, in ihrer Ordnung;
aber dabey ist die Vorstellung Eines Punctes die repro-
ducirende, diejenige also auch, welche vor allen andern
lebhaft hervortritt, während da, wo wir zweyer Puncte
Entfernung auffassen, unserer Meinung nach keiner von
beyden vorherrschend soll aufgefaſst werden.

Dennoch gebe man Acht auf sich selbst, was da
vorgehe, wo man die Entfernung zweyer Puncte mit den
Augen messen will. Man wird wohl wahrnehmen, daſs
es Mühe kostet, den einen Punct nicht mehr noch we-
niger als den andern zu sehen, und einen ruhigen Blick
auf beyde gleichmäſsig zu vertheilen. Man wird sich
leicht überzeugen, daſs ursprünglich das Auge zwischen
beyden hin und hergeht, daſs es die Entfernung vorwärts
und rückwärts durchläuft; daſs dadurch zwey Repro-
ductionsgesetze
gebildet werden, indem jeder von
beyden Puncten
, erst das Mittlere, Zwischenliegende,
und dann den andern Punct reproducirt. Man wird ein-
sehn, daſs erst nachdem das hiemit verbundene zwie-
fache
successive Vorstellen sich ins Gleichgewicht ge-
setzt hat, erst nachdem beyde entgegengesetzte
Reproductionen wider einander zu laufen be-
ginnen
, jene gleichmäſsige Vorstellung des Auſserein-
ander möglich wird; die also noch weiter von der ur-
sprünglichen, gegebenen Empfindung absteht, als das
erste Auseinandertreten, die erste räumliche Ausbreitung
des Wahrgenommenen. Daher würde man das eigent-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0170" n="135"/>
              <p>Ferner, das Au&#x017F;sereinander erfordert <hi rendition="#g">gleichmä&#x017F;si-<lb/>
ges Vorstellen beyder</hi>, au&#x017F;sereinander gelegenen<lb/>
Puncte. Denn es seyen <hi rendition="#i">a</hi> und <hi rendition="#i">f</hi> die beyden Puncte:<lb/>
so ist nicht minder <hi rendition="#i">f</hi> au&#x017F;ser <hi rendition="#i">a</hi>, als <hi rendition="#i">a</hi> au&#x017F;ser <hi rendition="#i">f;</hi> beyde tra-<lb/>
gen gleichviel bey zu dem Au&#x017F;sereinander; und dasselbe<lb/>
schlie&#x017F;st die Vorstellung beyder in gleichem Grade in sich.</p><lb/>
              <p>Es kann scheinen, als würde dieser letzte Umstand<lb/>
sich aus den erwähnten Reproductionsgesetzen nicht hin-<lb/>
reichend erklären lassen. Denn das beschriebene succes-<lb/>
sive Vorstellen reproducirt zwar von jedem Puncte aus<lb/>
die übrigen, näheren und entfernteren, in ihrer Ordnung;<lb/>
aber dabey ist die Vorstellung Eines Punctes die repro-<lb/>
ducirende, diejenige also auch, welche vor allen andern<lb/>
lebhaft hervortritt, während da, wo wir zweyer Puncte<lb/>
Entfernung auffassen, unserer Meinung nach keiner von<lb/>
beyden vorherrschend soll aufgefa&#x017F;st werden.</p><lb/>
              <p>Dennoch gebe man Acht auf sich selbst, was da<lb/>
vorgehe, wo man die Entfernung zweyer Puncte mit den<lb/>
Augen messen will. Man wird wohl wahrnehmen, da&#x017F;s<lb/>
es Mühe kostet, den einen Punct nicht mehr noch we-<lb/>
niger als den andern zu sehen, und einen ruhigen Blick<lb/>
auf beyde gleichmä&#x017F;sig zu vertheilen. Man wird sich<lb/>
leicht überzeugen, da&#x017F;s ursprünglich das Auge zwischen<lb/>
beyden hin und hergeht, da&#x017F;s es die Entfernung vorwärts<lb/>
und rückwärts durchläuft; da&#x017F;s dadurch <hi rendition="#g">zwey Repro-<lb/>
ductionsgesetze</hi> gebildet werden, indem <hi rendition="#g">jeder von<lb/>
beyden Puncten</hi>, erst das Mittlere, Zwischenliegende,<lb/>
und dann den andern Punct reproducirt. Man wird ein-<lb/>
sehn, da&#x017F;s erst nachdem das hiemit verbundene <hi rendition="#g">zwie-<lb/>
fache</hi> successive Vorstellen sich ins Gleichgewicht ge-<lb/>
setzt hat, erst <hi rendition="#g">nachdem beyde entgegengesetzte<lb/>
Reproductionen wider einander zu laufen be-<lb/>
ginnen</hi>, jene gleichmä&#x017F;sige Vorstellung des Au&#x017F;serein-<lb/>
ander möglich wird; die also noch weiter von der ur-<lb/>
sprünglichen, gegebenen Empfindung absteht, als das<lb/>
erste Auseinandertreten, die erste räumliche Ausbreitung<lb/>
des Wahrgenommenen. Daher würde man das eigent-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0170] Ferner, das Auſsereinander erfordert gleichmäſsi- ges Vorstellen beyder, auſsereinander gelegenen Puncte. Denn es seyen a und f die beyden Puncte: so ist nicht minder f auſser a, als a auſser f; beyde tra- gen gleichviel bey zu dem Auſsereinander; und dasselbe schlieſst die Vorstellung beyder in gleichem Grade in sich. Es kann scheinen, als würde dieser letzte Umstand sich aus den erwähnten Reproductionsgesetzen nicht hin- reichend erklären lassen. Denn das beschriebene succes- sive Vorstellen reproducirt zwar von jedem Puncte aus die übrigen, näheren und entfernteren, in ihrer Ordnung; aber dabey ist die Vorstellung Eines Punctes die repro- ducirende, diejenige also auch, welche vor allen andern lebhaft hervortritt, während da, wo wir zweyer Puncte Entfernung auffassen, unserer Meinung nach keiner von beyden vorherrschend soll aufgefaſst werden. Dennoch gebe man Acht auf sich selbst, was da vorgehe, wo man die Entfernung zweyer Puncte mit den Augen messen will. Man wird wohl wahrnehmen, daſs es Mühe kostet, den einen Punct nicht mehr noch we- niger als den andern zu sehen, und einen ruhigen Blick auf beyde gleichmäſsig zu vertheilen. Man wird sich leicht überzeugen, daſs ursprünglich das Auge zwischen beyden hin und hergeht, daſs es die Entfernung vorwärts und rückwärts durchläuft; daſs dadurch zwey Repro- ductionsgesetze gebildet werden, indem jeder von beyden Puncten, erst das Mittlere, Zwischenliegende, und dann den andern Punct reproducirt. Man wird ein- sehn, daſs erst nachdem das hiemit verbundene zwie- fache successive Vorstellen sich ins Gleichgewicht ge- setzt hat, erst nachdem beyde entgegengesetzte Reproductionen wider einander zu laufen be- ginnen, jene gleichmäſsige Vorstellung des Auſserein- ander möglich wird; die also noch weiter von der ur- sprünglichen, gegebenen Empfindung absteht, als das erste Auseinandertreten, die erste räumliche Ausbreitung des Wahrgenommenen. Daher würde man das eigent-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/170
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/170>, abgerufen am 24.11.2024.