demselben heraus -- folglich auch gar nicht wirklich auseinander treten.
Mag also immerhin die allgemeine Metaphysik ihren Satz behaupten, es gebe wirklich Wesen ausser uns, und ausser einander; mag, auf irgend eine, rechtmässige oder unrechtmässige Weise, die Physiologie sich mit jener in Verbindung setzen, und erzählen von dem Bilde auf der Netzhaut des Auges, worin alle Proportionen der äusse- ren, wirklichen Gegenstände, sich unverändert wiederfin- den: das alles fällt zusammen, es wird ein ungeschiede- nes Chaos, sobald daraus ein wirkliches Vorstellen in der Seele entspringt. Sie, die Seele, muss nun ganz von vorn an die völlig vernichteten Raum-Verhältnisse er- zeugen; und dieses muss sie leisten, ohne ihre Vorstel- lungen nur im allergeringsten auseinanderrücken zu kön- nen; sie muss es so leisten, dass, während das Vorstel- len intensiv bleibt, sein Vorgestelltes doch auseinan- der trete.
Allein das Vorgestellte ist eben weiter nichts als nur ein Vorgestelltes; es ist nichts wirkliches; also tritt auch nicht wirklich etwas auseinander; sondern das wirkliche psychologische Ereigniss des räumlichen Vorstellens ist etwas völlig Unräumliches. -- Man kann leicht zeigen, dass auch das Vorstellen des Zeitlichen etwas solches st, worin sich Nichts von der dadurch vorgestell- ten Zeit befindet. Dabey aber entstehn leicht Verwech- selungen zwischen dem successiven Vorstellen und dem Vorstellen des Successiven; daher bleiben wir fürs erste beym Vorstellen des Räumlichen; welches im- merhin, ohne Sorge wegen eines möglichen Misverstandes auch räumliches Vorstellen genannt werden kann, eben darum, weil es kein Vorstellen giebt, das selbst etwas Räumliches wäre.
Nun muss aber doch das Vorstellen des Räumlichen gewisse Aehnlichkeiten haben mit dem Räumlichen selbst, weil sonst das Vorgestellte dieses Vorstellens eher alles andere als ein Räumliches seyn würde.
demselben heraus — folglich auch gar nicht wirklich auseinander treten.
Mag also immerhin die allgemeine Metaphysik ihren Satz behaupten, es gebe wirklich Wesen auſser uns, und auſser einander; mag, auf irgend eine, rechtmäſsige oder unrechtmäſsige Weise, die Physiologie sich mit jener in Verbindung setzen, und erzählen von dem Bilde auf der Netzhaut des Auges, worin alle Proportionen der äuſse- ren, wirklichen Gegenstände, sich unverändert wiederfin- den: das alles fällt zusammen, es wird ein ungeschiede- nes Chaos, sobald daraus ein wirkliches Vorstellen in der Seele entspringt. Sie, die Seele, muſs nun ganz von vorn an die völlig vernichteten Raum-Verhältnisse er- zeugen; und dieses muſs sie leisten, ohne ihre Vorstel- lungen nur im allergeringsten auseinanderrücken zu kön- nen; sie muſs es so leisten, daſs, während das Vorstel- len intensiv bleibt, sein Vorgestelltes doch auseinan- der trete.
Allein das Vorgestellte ist eben weiter nichts als nur ein Vorgestelltes; es ist nichts wirkliches; also tritt auch nicht wirklich etwas auseinander; sondern das wirkliche psychologische Ereigniſs des räumlichen Vorstellens ist etwas völlig Unräumliches. — Man kann leicht zeigen, daſs auch das Vorstellen des Zeitlichen etwas solches st, worin sich Nichts von der dadurch vorgestell- ten Zeit befindet. Dabey aber entstehn leicht Verwech- selungen zwischen dem successiven Vorstellen und dem Vorstellen des Successiven; daher bleiben wir fürs erste beym Vorstellen des Räumlichen; welches im- merhin, ohne Sorge wegen eines möglichen Misverstandes auch räumliches Vorstellen genannt werden kann, eben darum, weil es kein Vorstellen giebt, das selbst etwas Räumliches wäre.
Nun muſs aber doch das Vorstellen des Räumlichen gewisse Aehnlichkeiten haben mit dem Räumlichen selbst, weil sonst das Vorgestellte dieses Vorstellens eher alles andere als ein Räumliches seyn würde.
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demselben heraus — folglich auch gar nicht wirklich
auseinander treten.
Mag also immerhin die allgemeine Metaphysik ihren
Satz behaupten, es gebe wirklich Wesen auſser uns, und
auſser einander; mag, auf irgend eine, rechtmäſsige oder
unrechtmäſsige Weise, die Physiologie sich mit jener in
Verbindung setzen, und erzählen von dem Bilde auf der
Netzhaut des Auges, worin alle Proportionen der äuſse-
ren, wirklichen Gegenstände, sich unverändert wiederfin-
den: das alles fällt zusammen, es wird ein ungeschiede-
nes Chaos, sobald daraus ein wirkliches Vorstellen in der
Seele entspringt. Sie, die Seele, muſs nun ganz von
vorn an die völlig vernichteten Raum-Verhältnisse er-
zeugen; und dieses muſs sie leisten, ohne ihre Vorstel-
lungen nur im allergeringsten auseinanderrücken zu kön-
nen; sie muſs es so leisten, daſs, während das Vorstel-
len intensiv bleibt, sein Vorgestelltes doch auseinan-
der trete.
Allein das Vorgestellte ist eben weiter nichts als nur
ein Vorgestelltes; es ist nichts wirkliches; also tritt auch
nicht wirklich etwas auseinander; sondern das wirkliche
psychologische Ereigniſs des räumlichen Vorstellens ist
etwas völlig Unräumliches. — Man kann leicht zeigen,
daſs auch das Vorstellen des Zeitlichen etwas solches
st, worin sich Nichts von der dadurch vorgestell-
ten Zeit befindet. Dabey aber entstehn leicht Verwech-
selungen zwischen dem successiven Vorstellen und
dem Vorstellen des Successiven; daher bleiben wir
fürs erste beym Vorstellen des Räumlichen; welches im-
merhin, ohne Sorge wegen eines möglichen Misverstandes
auch räumliches Vorstellen genannt werden kann, eben
darum, weil es kein Vorstellen giebt, das selbst etwas
Räumliches wäre.
Nun muſs aber doch das Vorstellen des Räumlichen
gewisse Aehnlichkeiten haben mit dem Räumlichen selbst,
weil sonst das Vorgestellte dieses Vorstellens eher alles
andere als ein Räumliches seyn würde.
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/159>, abgerufen am 24.11.2024.
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