Drittes Capitel. Vom räumlichen und zeitlichen Vorstellen.
§. 109.
Begierden und Gefühle sind so sehr mit unsern Vorstellungen des Umgebenden verflochten, dass eine tiefer eindringende Untersuchung der einen und der an- dern sich unvermeidlich in Erörterungen über unsre Art und Weise, die Dinge in der Welt aufzufassen, ver- wickeln muss. Aber das Verwickelte wird nur verständ- lich nach vorgängiger Kenntniss des Einfacheren. Daher lassen wir die bisher gelieferten Anfänge der Untersu- chung über Begierden und Gefühle jetzt fürs erste lie- gen *) und wenden uns zu den Hauptformen der weltli- chen Vorstellungsarten; unter denen bekanntlich die räum- lichen und zeitlichen sich zu allererst zur Analyse dar- bieten.
Hier bemerke man zuerst den Unterschied zwischen räumlichen und zeitlichen Vorstellungsarten auf einer Seite, und Vorstellungen des Raumes und der Zeit auf der andern. Jene sind unstreitig allen Menschen eigen, dergestalt, dass Niemand ihre erste Entwickelung in frü- her Kinderzeit nachzuweisen unternimmt, da sie jenseit der ersten Puncte liegt, die das Gedächtniss zu erreichen vermag. Allein wenn Manche behaupten, Raum und Zeit selbst, diese leeren Formen für Körper und Be- gebenheiten, würden als unendliche gegebene Grössen von uns vorgestellt: so muss man sich dabey sogleich erinnern, dass das Unendliche eine wissenschaftliche Vor- stellungsart ist, zu der sich ungebildete Köpfe nicht er- heben, wenn sie gleich von einem Etwas jenseit der ihnen bekannten Sinnensphäre eine Ahndung haben. Nicht einmal die drey Dimensionen des Raumes und des
*)Die Fortsetzung dieser Materie kann erst im §. 150. atz finden.
Drittes Capitel. Vom räumlichen und zeitlichen Vorstellen.
§. 109.
Begierden und Gefühle sind so sehr mit unsern Vorstellungen des Umgebenden verflochten, daſs eine tiefer eindringende Untersuchung der einen und der an- dern sich unvermeidlich in Erörterungen über unsre Art und Weise, die Dinge in der Welt aufzufassen, ver- wickeln muſs. Aber das Verwickelte wird nur verständ- lich nach vorgängiger Kenntniſs des Einfacheren. Daher lassen wir die bisher gelieferten Anfänge der Untersu- chung über Begierden und Gefühle jetzt fürs erste lie- gen *) und wenden uns zu den Hauptformen der weltli- chen Vorstellungsarten; unter denen bekanntlich die räum- lichen und zeitlichen sich zu allererst zur Analyse dar- bieten.
Hier bemerke man zuerst den Unterschied zwischen räumlichen und zeitlichen Vorstellungsarten auf einer Seite, und Vorstellungen des Raumes und der Zeit auf der andern. Jene sind unstreitig allen Menschen eigen, dergestalt, daſs Niemand ihre erste Entwickelung in frü- her Kinderzeit nachzuweisen unternimmt, da sie jenseit der ersten Puncte liegt, die das Gedächtniſs zu erreichen vermag. Allein wenn Manche behaupten, Raum und Zeit selbst, diese leeren Formen für Körper und Be- gebenheiten, würden als unendliche gegebene Gröſsen von uns vorgestellt: so muſs man sich dabey sogleich erinnern, daſs das Unendliche eine wissenschaftliche Vor- stellungsart ist, zu der sich ungebildete Köpfe nicht er- heben, wenn sie gleich von einem Etwas jenseit der ihnen bekannten Sinnensphäre eine Ahndung haben. Nicht einmal die drey Dimensionen des Raumes und des
*)Die Fortsetzung dieser Materie kann erst im §. 150. atz finden.
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Drittes Capitel.
Vom räumlichen und zeitlichen Vorstellen.
§. 109.
Begierden und Gefühle sind so sehr mit unsern
Vorstellungen des Umgebenden verflochten, daſs eine
tiefer eindringende Untersuchung der einen und der an-
dern sich unvermeidlich in Erörterungen über unsre Art
und Weise, die Dinge in der Welt aufzufassen, ver-
wickeln muſs. Aber das Verwickelte wird nur verständ-
lich nach vorgängiger Kenntniſs des Einfacheren. Daher
lassen wir die bisher gelieferten Anfänge der Untersu-
chung über Begierden und Gefühle jetzt fürs erste lie-
gen *) und wenden uns zu den Hauptformen der weltli-
chen Vorstellungsarten; unter denen bekanntlich die räum-
lichen und zeitlichen sich zu allererst zur Analyse dar-
bieten.
Hier bemerke man zuerst den Unterschied zwischen
räumlichen und zeitlichen Vorstellungsarten auf einer
Seite, und Vorstellungen des Raumes und der Zeit auf
der andern. Jene sind unstreitig allen Menschen eigen,
dergestalt, daſs Niemand ihre erste Entwickelung in frü-
her Kinderzeit nachzuweisen unternimmt, da sie jenseit
der ersten Puncte liegt, die das Gedächtniſs zu erreichen
vermag. Allein wenn Manche behaupten, Raum und
Zeit selbst, diese leeren Formen für Körper und Be-
gebenheiten, würden als unendliche gegebene Gröſsen
von uns vorgestellt: so muſs man sich dabey sogleich
erinnern, daſs das Unendliche eine wissenschaftliche Vor-
stellungsart ist, zu der sich ungebildete Köpfe nicht er-
heben, wenn sie gleich von einem Etwas jenseit der
ihnen bekannten Sinnensphäre eine Ahndung haben.
Nicht einmal die drey Dimensionen des Raumes und des
*) Die Fortsetzung dieser Materie kann erst im §. 150. atz finden.
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/155>, abgerufen am 21.11.2024.
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