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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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gar nicht die Absicht der Lehre; aber das findet
in ihr unwillkührlich die erste Reflexion, die
sich auf sie richtet!

Noch ohne Rücksicht auf den Streit, der
sich hier erhebt, und, achtlos auf fremdes Ei-
genthum, auch über die Fluren der Psychologie
sich fortwälzt, kann man nicht umhin zu be-
dauern, dass sich das wahre Verhältniss der
Kirche zur Religions-Philosophie so sehr ver-
schoben hat. Was wollte denn eigentlich die
Kirche? Gewiss wollte sie mehr ermahnen, als
lehren; wenigstens wollte sie einen sehr allge-
meinen Unterricht für Jedermann ertheilen, um
die Menschen in der Gesinnung zu vereinigen,
wenn sie auch im Denken von einander abgin-
gen. Hier nun befindet sie sich in dem Falle
des Redners; der den Affect, welchen er aufre-
gen will, zwar allerdings selbst empfinden muss,
doch aber sich von ihm nicht darf überwältigen
und fortreissen lassen, sondern vor allen Dingen
für die Aufrechthaltung seiner eigenen Beson-
nenheit zu sorgen hat. Diese Besonnenheit, die-
ser Verstand der Kirche sollte die Religionsphi-
losophie seyn. Sie ist es aber freylich nicht,
wenn sie das Alles, was die Kirche in ihrer Be-
geisterung geredet hat, buchstäblich vesthält,
statt es auf seine ursprüngliche Absicht und Mei-
nung zurückzuführen. -- Schon Platon wusste
das Princip der Endlichkeit, dessen auch der
reinste Theismus nicht enthehren kann, wenn
er für diese Erde taugen will, -- so zu fassen,
dass dadurch keine andern, keine engeren Schran-
ken, als nur diejenigen, welche das sichtbare
Universum nun einmal unwiderleglich darthut,

gar nicht die Absicht der Lehre; aber das findet
in ihr unwillkührlich die erste Reflexion, die
sich auf sie richtet!

Noch ohne Rücksicht auf den Streit, der
sich hier erhebt, und, achtlos auf fremdes Ei-
genthum, auch über die Fluren der Psychologie
sich fortwälzt, kann man nicht umhin zu be-
dauern, daſs sich das wahre Verhältniſs der
Kirche zur Religions-Philosophie so sehr ver-
schoben hat. Was wollte denn eigentlich die
Kirche? Gewiſs wollte sie mehr ermahnen, als
lehren; wenigstens wollte sie einen sehr allge-
meinen Unterricht für Jedermann ertheilen, um
die Menschen in der Gesinnung zu vereinigen,
wenn sie auch im Denken von einander abgin-
gen. Hier nun befindet sie sich in dem Falle
des Redners; der den Affect, welchen er aufre-
gen will, zwar allerdings selbst empfinden muſs,
doch aber sich von ihm nicht darf überwältigen
und fortreiſsen lassen, sondern vor allen Dingen
für die Aufrechthaltung seiner eigenen Beson-
nenheit zu sorgen hat. Diese Besonnenheit, die-
ser Verstand der Kirche sollte die Religionsphi-
losophie seyn. Sie ist es aber freylich nicht,
wenn sie das Alles, was die Kirche in ihrer Be-
geisterung geredet hat, buchstäblich vesthält,
statt es auf seine ursprüngliche Absicht und Mei-
nung zurückzuführen. — Schon Platon wuſste
das Princip der Endlichkeit, dessen auch der
reinste Theismus nicht enthehren kann, wenn
er für diese Erde taugen will, — so zu fassen,
daſs dadurch keine andern, keine engeren Schran-
ken, als nur diejenigen, welche das sichtbare
Universum nun einmal unwiderleglich darthut,

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[VII/0014] gar nicht die Absicht der Lehre; aber das findet in ihr unwillkührlich die erste Reflexion, die sich auf sie richtet! Noch ohne Rücksicht auf den Streit, der sich hier erhebt, und, achtlos auf fremdes Ei- genthum, auch über die Fluren der Psychologie sich fortwälzt, kann man nicht umhin zu be- dauern, daſs sich das wahre Verhältniſs der Kirche zur Religions-Philosophie so sehr ver- schoben hat. Was wollte denn eigentlich die Kirche? Gewiſs wollte sie mehr ermahnen, als lehren; wenigstens wollte sie einen sehr allge- meinen Unterricht für Jedermann ertheilen, um die Menschen in der Gesinnung zu vereinigen, wenn sie auch im Denken von einander abgin- gen. Hier nun befindet sie sich in dem Falle des Redners; der den Affect, welchen er aufre- gen will, zwar allerdings selbst empfinden muſs, doch aber sich von ihm nicht darf überwältigen und fortreiſsen lassen, sondern vor allen Dingen für die Aufrechthaltung seiner eigenen Beson- nenheit zu sorgen hat. Diese Besonnenheit, die- ser Verstand der Kirche sollte die Religionsphi- losophie seyn. Sie ist es aber freylich nicht, wenn sie das Alles, was die Kirche in ihrer Be- geisterung geredet hat, buchstäblich vesthält, statt es auf seine ursprüngliche Absicht und Mei- nung zurückzuführen. — Schon Platon wuſste das Princip der Endlichkeit, dessen auch der reinste Theismus nicht enthehren kann, wenn er für diese Erde taugen will, — so zu fassen, daſs dadurch keine andern, keine engeren Schran- ken, als nur diejenigen, welche das sichtbare Universum nun einmal unwiderleglich darthut,

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. VII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/14>, abgerufen am 21.11.2024.