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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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gegenüber stellen können, findet sich auch hier kein
vestbestimmter Gegenstand, den wir zum Sub-
ject eines Urtheils machen könnten
; folglich tritt
an die Stelle des ästhetischen Urtheils hier das blosse
Fühlen; und hiemit ist das Angenehme getrennt vom
Gebiete des Schönen.

Ungeachtet nun auf diese Weise das sinnlich An-
genehme und Unangenehme, mit allen dahin gehörigen
körperlichen Sensationen, (denn das Gesagte ist nicht
nothwendig auf Geruch und Geschmack eingeschränkt,)
seine höchst wahrscheinliche Erklärung im Allgemeinen
erhält: so zeigt sich doch auch eben hierin die Unmög-
lichkeit, demselben jemals näher auf die Spur zu kom-
men. Denn kein Rosengeruch und kein Zahnschmerz
lässt sich analysiren; und kein Einfaches ist gegeben,
woraus man unternehmen könnte, beydes zu construiren.
Physiologische Erklärungen aber würden hier ganz am
unrechten Orte seyn, da wir zuerst wissen wollen, was
sich im Bewusstseyn ereigne, ehe uns die Frage in-
teressiren kann, wie die Bedingungen desselben, welche
ausserhalb des Bewusstseyns liegen mögen, beschaffen
seyen. Diese zweyte Frage hat gar keinen Beziehungs-
punct, bevor die erstere beantwortet ist.

Also ist die Sinnlichkeit -- zu welcher man das
Entstehen der einfachen Empfindungen, der Gefühle des
Angenehmen und Unangenehmen, und die Auffassungen
des Räumlichen und Zeitlichen rechnet, -- kein so leich-
ter Gegenstand, dass die Psychologen, welche ihre Ana-
lysen hier, als bey dem leichtesten Puncte, anfingen, be-
sonderes Lob verdienten. Die Entstehung der einfachen
Empfindungen muss aus der metaphysischen Lehre von
den Selbsterhaltungen erklärt werden. Die Gefühle des
Angenehmen und Unangenehmen erfordern die, nicht
eben leichte, Betrachtung über die Verschmelzung vor
der Hemmung. Und die Vorstellungen des Räumli-
chen und Zeitlichen, die wir bald näher ansehen wol-
len, beruhen auf der Verschmelzung nach der Hem-

gegenüber stellen können, findet sich auch hier kein
vestbestimmter Gegenstand, den wir zum Sub-
ject eines Urtheils machen könnten
; folglich tritt
an die Stelle des ästhetischen Urtheils hier das bloſse
Fühlen; und hiemit ist das Angenehme getrennt vom
Gebiete des Schönen.

Ungeachtet nun auf diese Weise das sinnlich An-
genehme und Unangenehme, mit allen dahin gehörigen
körperlichen Sensationen, (denn das Gesagte ist nicht
nothwendig auf Geruch und Geschmack eingeschränkt,)
seine höchst wahrscheinliche Erklärung im Allgemeinen
erhält: so zeigt sich doch auch eben hierin die Unmög-
lichkeit, demselben jemals näher auf die Spur zu kom-
men. Denn kein Rosengeruch und kein Zahnschmerz
läſst sich analysiren; und kein Einfaches ist gegeben,
woraus man unternehmen könnte, beydes zu construiren.
Physiologische Erklärungen aber würden hier ganz am
unrechten Orte seyn, da wir zuerst wissen wollen, was
sich im Bewuſstseyn ereigne, ehe uns die Frage in-
teressiren kann, wie die Bedingungen desselben, welche
auſserhalb des Bewuſstseyns liegen mögen, beschaffen
seyen. Diese zweyte Frage hat gar keinen Beziehungs-
punct, bevor die erstere beantwortet ist.

Also ist die Sinnlichkeit — zu welcher man das
Entstehen der einfachen Empfindungen, der Gefühle des
Angenehmen und Unangenehmen, und die Auffassungen
des Räumlichen und Zeitlichen rechnet, — kein so leich-
ter Gegenstand, daſs die Psychologen, welche ihre Ana-
lysen hier, als bey dem leichtesten Puncte, anfingen, be-
sonderes Lob verdienten. Die Entstehung der einfachen
Empfindungen muſs aus der metaphysischen Lehre von
den Selbsterhaltungen erklärt werden. Die Gefühle des
Angenehmen und Unangenehmen erfordern die, nicht
eben leichte, Betrachtung über die Verschmelzung vor
der Hemmung. Und die Vorstellungen des Räumli-
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[93/0128] gegenüber stellen können, findet sich auch hier kein vestbestimmter Gegenstand, den wir zum Sub- ject eines Urtheils machen könnten; folglich tritt an die Stelle des ästhetischen Urtheils hier das bloſse Fühlen; und hiemit ist das Angenehme getrennt vom Gebiete des Schönen. Ungeachtet nun auf diese Weise das sinnlich An- genehme und Unangenehme, mit allen dahin gehörigen körperlichen Sensationen, (denn das Gesagte ist nicht nothwendig auf Geruch und Geschmack eingeschränkt,) seine höchst wahrscheinliche Erklärung im Allgemeinen erhält: so zeigt sich doch auch eben hierin die Unmög- lichkeit, demselben jemals näher auf die Spur zu kom- men. Denn kein Rosengeruch und kein Zahnschmerz läſst sich analysiren; und kein Einfaches ist gegeben, woraus man unternehmen könnte, beydes zu construiren. Physiologische Erklärungen aber würden hier ganz am unrechten Orte seyn, da wir zuerst wissen wollen, was sich im Bewuſstseyn ereigne, ehe uns die Frage in- teressiren kann, wie die Bedingungen desselben, welche auſserhalb des Bewuſstseyns liegen mögen, beschaffen seyen. Diese zweyte Frage hat gar keinen Beziehungs- punct, bevor die erstere beantwortet ist. Also ist die Sinnlichkeit — zu welcher man das Entstehen der einfachen Empfindungen, der Gefühle des Angenehmen und Unangenehmen, und die Auffassungen des Räumlichen und Zeitlichen rechnet, — kein so leich- ter Gegenstand, daſs die Psychologen, welche ihre Ana- lysen hier, als bey dem leichtesten Puncte, anfingen, be- sonderes Lob verdienten. Die Entstehung der einfachen Empfindungen muſs aus der metaphysischen Lehre von den Selbsterhaltungen erklärt werden. Die Gefühle des Angenehmen und Unangenehmen erfordern die, nicht eben leichte, Betrachtung über die Verschmelzung vor der Hemmung. Und die Vorstellungen des Räumli- chen und Zeitlichen, die wir bald näher ansehen wol- len, beruhen auf der Verschmelzung nach der Hem-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/128>, abgerufen am 24.11.2024.