von Wenigen im Dunkeln mit Grauen gesehen worden; jetzt zeigte es sich, dass er bey hellem Mittage gewissen kirchlichen Lehrsätzen nach- folgt wie ihr Schatten. Diejenige Umwandlung der Begriffe nun, welche hiebey unwillkührlich vorgeht, könnte heutiges Tages, wo der Spino- zismus für die Religion der Aufgeklärten gilt, und wo Jeder entweder klug wie Lessing, oder doch unterrichtet wie Jakobi seyn will, ohne Bedenken ausführlich vorgetragen werden; allein um eindringlicher zu reden, verweise ich lieber auf die Geschichte. Man weiss, dass Spinoza durch Des-Cartes seine philosophische Bil- dung empfing. Wer nun die Werke des Des- Cartes lieset, der sieht, dass derselbe, nachdem er seine ersten Zweifel überwunden hat, gar bald wiederum sich den gewohnten Jugend-Eindrük- ken überlässt, und dass er ganz auf ähnliche Weise, wie die Kirche zu thun pflegt, die er- sten Religionsbegriffe entwickelt. Anfangs wird Gott als ausserweltliches Wesen vorausgesetzt. Wie könnte man anders?
Den Menschen, der eignen Willen hat, und der stolz darauf ist, den eignen Sinn durchzu- setzen, weiset ja die Kirche hin zu Gott; sie sucht dabey durch die stärksten Motive auf den Willen zu wirken; also ist sie weit entfernt, zu glauben, dieser Wille, so roh wie sie ihn an- trifft, sey schon ein göttliches Leben im Men- schen. Um aber den Sünder zu demüthigen, um den Gläubigen zu stärken, ist ihr kein Aus- druck zu hoch, kein Geheimniss zu wunderbar; einzig beschäfftigt mit ihrem Zwecke, bemerkt sie nicht, dass es für sie eine Gefahr der Ueber-
von Wenigen im Dunkeln mit Grauen gesehen worden; jetzt zeigte es sich, daſs er bey hellem Mittage gewissen kirchlichen Lehrsätzen nach- folgt wie ihr Schatten. Diejenige Umwandlung der Begriffe nun, welche hiebey unwillkührlich vorgeht, könnte heutiges Tages, wo der Spino- zismus für die Religion der Aufgeklärten gilt, und wo Jeder entweder klug wie Lessing, oder doch unterrichtet wie Jakobi seyn will, ohne Bedenken ausführlich vorgetragen werden; allein um eindringlicher zu reden, verweise ich lieber auf die Geschichte. Man weiſs, daſs Spinoza durch Des-Cartes seine philosophische Bil- dung empfing. Wer nun die Werke des Des- Cartes lieset, der sieht, daſs derselbe, nachdem er seine ersten Zweifel überwunden hat, gar bald wiederum sich den gewohnten Jugend-Eindrük- ken überläſst, und daſs er ganz auf ähnliche Weise, wie die Kirche zu thun pflegt, die er- sten Religionsbegriffe entwickelt. Anfangs wird Gott als auſserweltliches Wesen vorausgesetzt. Wie könnte man anders?
Den Menschen, der eignen Willen hat, und der stolz darauf ist, den eignen Sinn durchzu- setzen, weiset ja die Kirche hin zu Gott; sie sucht dabey durch die stärksten Motive auf den Willen zu wirken; also ist sie weit entfernt, zu glauben, dieser Wille, so roh wie sie ihn an- trifft, sey schon ein göttliches Leben im Men- schen. Um aber den Sünder zu demüthigen, um den Gläubigen zu stärken, ist ihr kein Aus- druck zu hoch, kein Geheimniſs zu wunderbar; einzig beschäfftigt mit ihrem Zwecke, bemerkt sie nicht, daſs es für sie eine Gefahr der Ueber-
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[V/0012]
von Wenigen im Dunkeln mit Grauen gesehen
worden; jetzt zeigte es sich, daſs er bey hellem
Mittage gewissen kirchlichen Lehrsätzen nach-
folgt wie ihr Schatten. Diejenige Umwandlung
der Begriffe nun, welche hiebey unwillkührlich
vorgeht, könnte heutiges Tages, wo der Spino-
zismus für die Religion der Aufgeklärten gilt,
und wo Jeder entweder klug wie Lessing, oder
doch unterrichtet wie Jakobi seyn will, ohne
Bedenken ausführlich vorgetragen werden; allein
um eindringlicher zu reden, verweise ich lieber
auf die Geschichte. Man weiſs, daſs Spinoza
durch Des-Cartes seine philosophische Bil-
dung empfing. Wer nun die Werke des Des-
Cartes lieset, der sieht, daſs derselbe, nachdem
er seine ersten Zweifel überwunden hat, gar bald
wiederum sich den gewohnten Jugend-Eindrük-
ken überläſst, und daſs er ganz auf ähnliche
Weise, wie die Kirche zu thun pflegt, die er-
sten Religionsbegriffe entwickelt. Anfangs wird
Gott als auſserweltliches Wesen vorausgesetzt.
Wie könnte man anders?
Den Menschen, der eignen Willen hat, und
der stolz darauf ist, den eignen Sinn durchzu-
setzen, weiset ja die Kirche hin zu Gott; sie
sucht dabey durch die stärksten Motive auf den
Willen zu wirken; also ist sie weit entfernt, zu
glauben, dieser Wille, so roh wie sie ihn an-
trifft, sey schon ein göttliches Leben im Men-
schen. Um aber den Sünder zu demüthigen,
um den Gläubigen zu stärken, ist ihr kein Aus-
druck zu hoch, kein Geheimniſs zu wunderbar;
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. V. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/12>, abgerufen am 18.12.2024.
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