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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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Als Jakobi sich entschloss, sein berühmtes
Gespräch mit Lessing bekannt zu machen: da
musste er darauf gefasst seyn, dass die Leser
sich in zwey Partheyen theilen würden, je nach-
dem seine, oder Lessings Auctorität bey ihnen
grösser, und sie selbst entweder mehr dem Den-
ken, oder dem Fühlen geneigt wären. Die bey-
den Partheyen haben sich gebildet; und stehn
bis heute einander gegenüber. Nun muss jede
neue Lehre sich gefallen lassen, bey Allen, die
von ihr hören, irgend eine Befangenheit in die-
sen Streit anzutreffen; und das ist hier um
desto gewisser der Fall, weil die Partheyen gar
wohl wissen, dass die Psychologie, deren Zu-
stimmung nicht fehlen darf, wofern die von
ihnen angegebenen Erkenntnissweisen als zuläng-
lich betrachtet werden sollen, für sie keineswe-
ges gleichgültig seyn kann. Daher so verschie-
dene Lobreden auf die Vernunft; die fast klin-
gen, als wäre sie ein Orakel, das man bestechen
muss, damit es weissage wie man verlangt. Die
Psychologie war schwach genug, logische Klas-
senbegriffe der innern Ereignisse für reale See-
lenvermögen zu halten; darum hofft man noch
einmal auf ihre Schwäche; man spart keine Zu-
dringlichkeit, sie auch noch für intellectuale An-
schauungen und Ahndungen zu gewinnen, die
freylich noch etwas weiter als jene von der Wahr-
heit entfernt seyn würden.

Was aber war der Gewinn, welchen die ge-
lehrte Welt erlangte, als sie erfuhr, Lessing
sey Spinozist gewesen? Dies, wenn das Gewinn
heissen kann, dass der Spinozismus allgemeiner
bekannt wurde. Früher war er, wie ein Gespenst,

Als Jakobi sich entschloſs, sein berühmtes
Gespräch mit Lessing bekannt zu machen: da
muſste er darauf gefaſst seyn, daſs die Leser
sich in zwey Partheyen theilen würden, je nach-
dem seine, oder Lessings Auctorität bey ihnen
gröſser, und sie selbst entweder mehr dem Den-
ken, oder dem Fühlen geneigt wären. Die bey-
den Partheyen haben sich gebildet; und stehn
bis heute einander gegenüber. Nun muſs jede
neue Lehre sich gefallen lassen, bey Allen, die
von ihr hören, irgend eine Befangenheit in die-
sen Streit anzutreffen; und das ist hier um
desto gewisser der Fall, weil die Partheyen gar
wohl wissen, daſs die Psychologie, deren Zu-
stimmung nicht fehlen darf, wofern die von
ihnen angegebenen Erkenntniſsweisen als zuläng-
lich betrachtet werden sollen, für sie keineswe-
ges gleichgültig seyn kann. Daher so verschie-
dene Lobreden auf die Vernunft; die fast klin-
gen, als wäre sie ein Orakel, das man bestechen
muſs, damit es weissage wie man verlangt. Die
Psychologie war schwach genug, logische Klas-
senbegriffe der innern Ereignisse für reale See-
lenvermögen zu halten; darum hofft man noch
einmal auf ihre Schwäche; man spart keine Zu-
dringlichkeit, sie auch noch für intellectuale An-
schauungen und Ahndungen zu gewinnen, die
freylich noch etwas weiter als jene von der Wahr-
heit entfernt seyn würden.

Was aber war der Gewinn, welchen die ge-
lehrte Welt erlangte, als sie erfuhr, Lessing
sey Spinozist gewesen? Dies, wenn das Gewinn
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bekannt wurde. Früher war er, wie ein Gespenst,

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[IV/0011] Als Jakobi sich entschloſs, sein berühmtes Gespräch mit Lessing bekannt zu machen: da muſste er darauf gefaſst seyn, daſs die Leser sich in zwey Partheyen theilen würden, je nach- dem seine, oder Lessings Auctorität bey ihnen gröſser, und sie selbst entweder mehr dem Den- ken, oder dem Fühlen geneigt wären. Die bey- den Partheyen haben sich gebildet; und stehn bis heute einander gegenüber. Nun muſs jede neue Lehre sich gefallen lassen, bey Allen, die von ihr hören, irgend eine Befangenheit in die- sen Streit anzutreffen; und das ist hier um desto gewisser der Fall, weil die Partheyen gar wohl wissen, daſs die Psychologie, deren Zu- stimmung nicht fehlen darf, wofern die von ihnen angegebenen Erkenntniſsweisen als zuläng- lich betrachtet werden sollen, für sie keineswe- ges gleichgültig seyn kann. Daher so verschie- dene Lobreden auf die Vernunft; die fast klin- gen, als wäre sie ein Orakel, das man bestechen muſs, damit es weissage wie man verlangt. Die Psychologie war schwach genug, logische Klas- senbegriffe der innern Ereignisse für reale See- lenvermögen zu halten; darum hofft man noch einmal auf ihre Schwäche; man spart keine Zu- dringlichkeit, sie auch noch für intellectuale An- schauungen und Ahndungen zu gewinnen, die freylich noch etwas weiter als jene von der Wahr- heit entfernt seyn würden. Was aber war der Gewinn, welchen die ge- lehrte Welt erlangte, als sie erfuhr, Lessing sey Spinozist gewesen? Dies, wenn das Gewinn heiſsen kann, daſs der Spinozismus allgemeiner bekannt wurde. Früher war er, wie ein Gespenst,

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. IV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/11>, abgerufen am 24.11.2024.