Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

In der That aber sind wir schon um ein Beträchtli-
ches weiter vorgerückt. Denn wenn man die Statik und
Mechanik aufmerksam durchläuft: so findet man darin
nicht bloss Spuren des sogenannten Erkenntnissvermö-
gens, sondern auch Nachweisungen solcher Gemüths-
zustände, die zu den Gefühlen müssen gerechnet wer-
den. Hierüber sind nur noch einige Erläuterungen nö-
thig, welche der folgende §. enthalten soll.

Mit den Gefühlen hängen die Begierden sehr nahe
zusammen. Auch von diesen werden wir die einfache-
ren Regungen bald kennen lernen.

Demnach ist die Frage: ob die Vermögen des Vor-
stellens, Fühlens und Begehrens nur zufällig beysammen
seyen, oder ob sie wesentlich zusammengehören? schon
so gut als beantwortet; und es wird sehr bald einleuch-
ten, dass man dieselben bis zu den niedrigsten Thieren
hinab stets verbunden zu finden erwarten müsse; wie die-
ses auch der Erfahrung entspricht.

Aber man findet auch durch das ganze Thierreich
die Wahrscheinlichkeit, dass alle geistig lebende Wesen
etwas von den Vorstellungen des Räumlichen und Zeit-
lichen besitzen. Man findet bey höheren Thieren sogar
Spuren von allgemeinen Begriffen, wenigstens von Er-
wartung ähnlicher Fälle; desgleichen vom Verstehen der
Zeichen, die man ihnen giebt; wobey zu bemerken, dass
nicht alle Sprache nothwendig Wortsprache seyn muss;
und, was den innern Sinn anlangt, so hat man keinen
zureichenden Grund, ihnen diesen gänzlich abzusprechen.
Die natürliche Vermuthung, dass zu der ursprünglichen
Verknüpfung des Vorstellens, Fühlens und Begehrens
auch die eben genannten Vorstellungsarten mit gehören,
wird im Folgenden bestätigt werden.

Hingegen die eigentlich sogenannten oberen Vermö-
gen, durch welche der Mensch sich über das Thier er-
hebt, werden wir zwar nicht als einen unabhängigen,
selbstständigen Zuwachs zum niederen Vermögen, jedoch
als eine weitere Entwickelung kennen lernen, die bey den

II. E

In der That aber sind wir schon um ein Beträchtli-
ches weiter vorgerückt. Denn wenn man die Statik und
Mechanik aufmerksam durchläuft: so findet man darin
nicht bloſs Spuren des sogenannten Erkenntniſsvermö-
gens, sondern auch Nachweisungen solcher Gemüths-
zustände, die zu den Gefühlen müssen gerechnet wer-
den. Hierüber sind nur noch einige Erläuterungen nö-
thig, welche der folgende §. enthalten soll.

Mit den Gefühlen hängen die Begierden sehr nahe
zusammen. Auch von diesen werden wir die einfache-
ren Regungen bald kennen lernen.

Demnach ist die Frage: ob die Vermögen des Vor-
stellens, Fühlens und Begehrens nur zufällig beysammen
seyen, oder ob sie wesentlich zusammengehören? schon
so gut als beantwortet; und es wird sehr bald einleuch-
ten, daſs man dieselben bis zu den niedrigsten Thieren
hinab stets verbunden zu finden erwarten müsse; wie die-
ses auch der Erfahrung entspricht.

Aber man findet auch durch das ganze Thierreich
die Wahrscheinlichkeit, daſs alle geistig lebende Wesen
etwas von den Vorstellungen des Räumlichen und Zeit-
lichen besitzen. Man findet bey höheren Thieren sogar
Spuren von allgemeinen Begriffen, wenigstens von Er-
wartung ähnlicher Fälle; desgleichen vom Verstehen der
Zeichen, die man ihnen giebt; wobey zu bemerken, daſs
nicht alle Sprache nothwendig Wortsprache seyn muſs;
und, was den innern Sinn anlangt, so hat man keinen
zureichenden Grund, ihnen diesen gänzlich abzusprechen.
Die natürliche Vermuthung, daſs zu der ursprünglichen
Verknüpfung des Vorstellens, Fühlens und Begehrens
auch die eben genannten Vorstellungsarten mit gehören,
wird im Folgenden bestätigt werden.

Hingegen die eigentlich sogenannten oberen Vermö-
gen, durch welche der Mensch sich über das Thier er-
hebt, werden wir zwar nicht als einen unabhängigen,
selbstständigen Zuwachs zum niederen Vermögen, jedoch
als eine weitere Entwickelung kennen lernen, die bey den

II. E
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0100" n="65"/>
              <p>In der That aber sind wir schon um ein Beträchtli-<lb/>
ches weiter vorgerückt. Denn wenn man die Statik und<lb/>
Mechanik aufmerksam durchläuft: so findet man darin<lb/>
nicht blo&#x017F;s Spuren des sogenannten Erkenntni&#x017F;svermö-<lb/>
gens, sondern auch Nachweisungen solcher Gemüths-<lb/>
zustände, die zu den Gefühlen müssen gerechnet wer-<lb/>
den. Hierüber sind nur noch einige Erläuterungen nö-<lb/>
thig, welche der folgende §. enthalten soll.</p><lb/>
              <p>Mit den Gefühlen hängen die Begierden sehr nahe<lb/>
zusammen. Auch von diesen werden wir die einfache-<lb/>
ren Regungen bald kennen lernen.</p><lb/>
              <p>Demnach ist die Frage: ob die Vermögen des Vor-<lb/>
stellens, Fühlens und Begehrens nur zufällig beysammen<lb/>
seyen, oder ob sie wesentlich zusammengehören? schon<lb/>
so gut als beantwortet; und es wird sehr bald einleuch-<lb/>
ten, da&#x017F;s man dieselben bis zu den niedrigsten Thieren<lb/>
hinab stets verbunden zu finden erwarten müsse; wie die-<lb/>
ses auch der Erfahrung entspricht.</p><lb/>
              <p>Aber man findet auch durch das ganze Thierreich<lb/>
die Wahrscheinlichkeit, da&#x017F;s alle geistig lebende Wesen<lb/>
etwas von den Vorstellungen des Räumlichen und Zeit-<lb/>
lichen besitzen. Man findet bey höheren Thieren sogar<lb/>
Spuren von allgemeinen Begriffen, wenigstens von Er-<lb/>
wartung ähnlicher Fälle; desgleichen vom Verstehen der<lb/>
Zeichen, die man ihnen giebt; wobey zu bemerken, da&#x017F;s<lb/>
nicht alle Sprache nothwendig Wortsprache seyn mu&#x017F;s;<lb/>
und, was den innern Sinn anlangt, so hat man keinen<lb/>
zureichenden Grund, ihnen diesen gänzlich abzusprechen.<lb/>
Die natürliche Vermuthung, da&#x017F;s zu der ursprünglichen<lb/>
Verknüpfung des Vorstellens, Fühlens und Begehrens<lb/>
auch die eben genannten Vorstellungsarten mit gehören,<lb/>
wird im Folgenden bestätigt werden.</p><lb/>
              <p>Hingegen die eigentlich sogenannten oberen Vermö-<lb/>
gen, durch welche der Mensch sich über das Thier er-<lb/>
hebt, werden wir zwar nicht als einen unabhängigen,<lb/>
selbstständigen Zuwachs zum niederen Vermögen, jedoch<lb/>
als eine weitere Entwickelung kennen lernen, die bey den<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#i">II.</hi> E</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0100] In der That aber sind wir schon um ein Beträchtli- ches weiter vorgerückt. Denn wenn man die Statik und Mechanik aufmerksam durchläuft: so findet man darin nicht bloſs Spuren des sogenannten Erkenntniſsvermö- gens, sondern auch Nachweisungen solcher Gemüths- zustände, die zu den Gefühlen müssen gerechnet wer- den. Hierüber sind nur noch einige Erläuterungen nö- thig, welche der folgende §. enthalten soll. Mit den Gefühlen hängen die Begierden sehr nahe zusammen. Auch von diesen werden wir die einfache- ren Regungen bald kennen lernen. Demnach ist die Frage: ob die Vermögen des Vor- stellens, Fühlens und Begehrens nur zufällig beysammen seyen, oder ob sie wesentlich zusammengehören? schon so gut als beantwortet; und es wird sehr bald einleuch- ten, daſs man dieselben bis zu den niedrigsten Thieren hinab stets verbunden zu finden erwarten müsse; wie die- ses auch der Erfahrung entspricht. Aber man findet auch durch das ganze Thierreich die Wahrscheinlichkeit, daſs alle geistig lebende Wesen etwas von den Vorstellungen des Räumlichen und Zeit- lichen besitzen. Man findet bey höheren Thieren sogar Spuren von allgemeinen Begriffen, wenigstens von Er- wartung ähnlicher Fälle; desgleichen vom Verstehen der Zeichen, die man ihnen giebt; wobey zu bemerken, daſs nicht alle Sprache nothwendig Wortsprache seyn muſs; und, was den innern Sinn anlangt, so hat man keinen zureichenden Grund, ihnen diesen gänzlich abzusprechen. Die natürliche Vermuthung, daſs zu der ursprünglichen Verknüpfung des Vorstellens, Fühlens und Begehrens auch die eben genannten Vorstellungsarten mit gehören, wird im Folgenden bestätigt werden. Hingegen die eigentlich sogenannten oberen Vermö- gen, durch welche der Mensch sich über das Thier er- hebt, werden wir zwar nicht als einen unabhängigen, selbstständigen Zuwachs zum niederen Vermögen, jedoch als eine weitere Entwickelung kennen lernen, die bey den II. E

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/100
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/100>, abgerufen am 24.11.2024.