Physik des Geistes mag wohl so bald noch nicht neben der falschen Freyheitslehre der neuern Zeit aufkom- men können; doch sind die Zeichen vorhanden, dass die alten Götter nicht mehr lange bestehen, und dass ihre Orakel bald verstummen werden. Denn in der That ist es, beym Lichte besehen, nicht so sehr übler Wille, noch unbeugsames Vorurtheil, -- sondern es ist Ungeschick, und Mangel an Kenntniss der Möglichkeit einer bessern Auffassung der Thatsachen, was der bessern Psy- chologie im Wege steht. Unsre Philosophen sind nicht Mathematiker; darum kennen sie nicht die Geschmeidig- keit, womit die mathematischen Begriffe sich dem Flie- ssenden anpassen; vielmehr pflegen sie sich bey den ma- thematischen Formeln etwas recht Steifes, Starres und Todtes zu denken; -- in diesem Puncte aber kann man ihre Unwissenheit lediglich bedauern.
IV. Allgemeine Angabe des Verfahrens, um Thatsa- chen des Bewusstseyns zu Principien der Psycho- logie zu benutzen.
§. 11.
Wollten wir schon hier einen bestimmten, schma- len, systematischen Pfad anzeigen, auf welchem man in die Psychologie eingehn könne: so würde dem nächsten und dringendsten Bedürfniss nicht Genüge geschehn. Dieses Bedürfniss besteht darin, eine richtige Ansicht im Allgemeinen von der Umwandlung zu fassen, welcher unsre Vorstellungsart muss unterworfen werden; und es rührt her von der Menge der psychologischen Abstractio- nen, an die wir gewöhnt sind. Wir finden nun einmal uns selbst bald anschauend, bald denkend, bald wollend und so ferner; und ohne uns unter dergleichen Abstracta,
Physik des Geistes mag wohl so bald noch nicht neben der falschen Freyheitslehre der neuern Zeit aufkom- men können; doch sind die Zeichen vorhanden, daſs die alten Götter nicht mehr lange bestehen, und daſs ihre Orakel bald verstummen werden. Denn in der That ist es, beym Lichte besehen, nicht so sehr übler Wille, noch unbeugsames Vorurtheil, — sondern es ist Ungeschick, und Mangel an Kenntniſs der Möglichkeit einer bessern Auffassung der Thatsachen, was der bessern Psy- chologie im Wege steht. Unsre Philosophen sind nicht Mathematiker; darum kennen sie nicht die Geschmeidig- keit, womit die mathematischen Begriffe sich dem Flie- ſsenden anpassen; vielmehr pflegen sie sich bey den ma- thematischen Formeln etwas recht Steifes, Starres und Todtes zu denken; — in diesem Puncte aber kann man ihre Unwissenheit lediglich bedauern.
IV. Allgemeine Angabe des Verfahrens, um Thatsa- chen des Bewuſstseyns zu Principien der Psycho- logie zu benutzen.
§. 11.
Wollten wir schon hier einen bestimmten, schma- len, systematischen Pfad anzeigen, auf welchem man in die Psychologie eingehn könne: so würde dem nächsten und dringendsten Bedürfniſs nicht Genüge geschehn. Dieses Bedürfniſs besteht darin, eine richtige Ansicht im Allgemeinen von der Umwandlung zu fassen, welcher unsre Vorstellungsart muſs unterworfen werden; und es rührt her von der Menge der psychologischen Abstractio- nen, an die wir gewöhnt sind. Wir finden nun einmal uns selbst bald anschauend, bald denkend, bald wollend und so ferner; und ohne uns unter dergleichen Abstracta,
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Physik des Geistes mag wohl so bald noch nicht neben
der falschen Freyheitslehre der neuern Zeit aufkom-
men können; doch sind die Zeichen vorhanden, daſs die
alten Götter nicht mehr lange bestehen, und daſs ihre
Orakel bald verstummen werden. Denn in der That ist
es, beym Lichte besehen, nicht so sehr übler Wille,
noch unbeugsames Vorurtheil, — sondern es ist Ungeschick,
und Mangel an Kenntniſs der Möglichkeit einer bessern
Auffassung der Thatsachen, was der bessern Psy-
chologie im Wege steht. Unsre Philosophen sind nicht
Mathematiker; darum kennen sie nicht die Geschmeidig-
keit, womit die mathematischen Begriffe sich dem Flie-
ſsenden anpassen; vielmehr pflegen sie sich bey den ma-
thematischen Formeln etwas recht Steifes, Starres und
Todtes zu denken; — in diesem Puncte aber kann
man ihre Unwissenheit lediglich bedauern.
IV.
Allgemeine Angabe des Verfahrens, um Thatsa-
chen des Bewuſstseyns zu Principien der Psycho-
logie zu benutzen.
§. 11.
Wollten wir schon hier einen bestimmten, schma-
len, systematischen Pfad anzeigen, auf welchem man in
die Psychologie eingehn könne: so würde dem nächsten
und dringendsten Bedürfniſs nicht Genüge geschehn.
Dieses Bedürfniſs besteht darin, eine richtige Ansicht im
Allgemeinen von der Umwandlung zu fassen, welcher
unsre Vorstellungsart muſs unterworfen werden; und es
rührt her von der Menge der psychologischen Abstractio-
nen, an die wir gewöhnt sind. Wir finden nun einmal
uns selbst bald anschauend, bald denkend, bald wollend
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/45>, abgerufen am 22.12.2024.
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