stigt, theils gehindert; und sofern die Reproduction wirk- lich zu Stande kommt, ist sie das Resultat des Zusam- menwirkens vieler zugleich strebender Vorstellungen. In der Regel kehren diejenigen Vorstellungen am leichtesten wieder, die erst kurz vorher im Bewusstseyn waren; denn die Zeitreihe, in der sie liegen, hebt sich von zwey Punc- ten aus, vom jetzigen und von jenem früheren; diese Zu- sammenwirkung wird bey längeren Zwischenzeiten un- wirksam, wenn nicht gewisse hervorragende Momente in der Zeitreihe (die man Epochen nennen kann), unter sich eine stärkere Verbindung eingegangen waren.
Wir wollen nun annehmen, einerley Vorstellung sey schon sehr oft gegeben worden: so wird sie mit sehr Vielem verbunden seyn; und dies Viele wird in mancher- ley Gegensätzen stehn; daraus werden vielerley theils materiale Hemmungen (wegen der Beschaffenheit der einzelnen Partial-Vorstellungen), theils formale (Hem- mungen wegen der Gestalt, nach vorigem §.) ent- springen. Nun sollte zwar die oftmals gegebene Vorstel- lung eine grosse Gesammt-Kraft besitzen; allein ihr Ver- bundenes steht sich und ihr im Wege; es verdunkelt sich gegenseitig, und sie wird dadurch im Aufstreben ge- hindert.
Hiebey ist insbesondere zu merken, dass wegen der successiven Reproductionen (nach §. 88.) das Ver- bundene jener Hauptvorstellung nur allmählig mehr und mehr ins Bewusstseyn treten sollte; die Folge davon lässt sich leicht einsehn. Nämlich wenn die Hauptvor- stellung mit vielen Reihen verbunden ist, diese Reihen aber unter einander entgegengesetzt sind, so muss die Wirksamkeit, womit sie einander widerstreben, nothwen- dig wachsen, indem die Zeit verläuft; denn während dieses Zeitverlaufs sollen die Reihen sich im Bewusstseyn entwickeln. Weil sie sich nun daran gegenseitig mehr und mehr hindern, je weiter ihre Entwickelung nach dem Re- productionsgesetze fortschreiten müsste: so leidet die Hauptvorstellung selbst hiedurch einen wachsenden Wi-
I. A a
stigt, theils gehindert; und sofern die Reproduction wirk- lich zu Stande kommt, ist sie das Resultat des Zusam- menwirkens vieler zugleich strebender Vorstellungen. In der Regel kehren diejenigen Vorstellungen am leichtesten wieder, die erst kurz vorher im Bewuſstseyn waren; denn die Zeitreihe, in der sie liegen, hebt sich von zwey Punc- ten aus, vom jetzigen und von jenem früheren; diese Zu- sammenwirkung wird bey längeren Zwischenzeiten un- wirksam, wenn nicht gewisse hervorragende Momente in der Zeitreihe (die man Epochen nennen kann), unter sich eine stärkere Verbindung eingegangen waren.
Wir wollen nun annehmen, einerley Vorstellung sey schon sehr oft gegeben worden: so wird sie mit sehr Vielem verbunden seyn; und dies Viele wird in mancher- ley Gegensätzen stehn; daraus werden vielerley theils materiale Hemmungen (wegen der Beschaffenheit der einzelnen Partial-Vorstellungen), theils formale (Hem- mungen wegen der Gestalt, nach vorigem §.) ent- springen. Nun sollte zwar die oftmals gegebene Vorstel- lung eine groſse Gesammt-Kraft besitzen; allein ihr Ver- bundenes steht sich und ihr im Wege; es verdunkelt sich gegenseitig, und sie wird dadurch im Aufstreben ge- hindert.
Hiebey ist insbesondere zu merken, daſs wegen der successiven Reproductionen (nach §. 88.) das Ver- bundene jener Hauptvorstellung nur allmählig mehr und mehr ins Bewuſstseyn treten sollte; die Folge davon läſst sich leicht einsehn. Nämlich wenn die Hauptvor- stellung mit vielen Reihen verbunden ist, diese Reihen aber unter einander entgegengesetzt sind, so muſs die Wirksamkeit, womit sie einander widerstreben, nothwen- dig wachsen, indem die Zeit verläuft; denn während dieses Zeitverlaufs sollen die Reihen sich im Bewuſstseyn entwickeln. Weil sie sich nun daran gegenseitig mehr und mehr hindern, je weiter ihre Entwickelung nach dem Re- productionsgesetze fortschreiten müſste: so leidet die Hauptvorstellung selbst hiedurch einen wachsenden Wi-
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stigt, theils gehindert; und sofern die Reproduction wirk-
lich zu Stande kommt, ist sie das Resultat des Zusam-
menwirkens vieler zugleich strebender Vorstellungen. In
der Regel kehren diejenigen Vorstellungen am leichtesten
wieder, die erst kurz vorher im Bewuſstseyn waren; denn
die Zeitreihe, in der sie liegen, hebt sich von zwey Punc-
ten aus, vom jetzigen und von jenem früheren; diese Zu-
sammenwirkung wird bey längeren Zwischenzeiten un-
wirksam, wenn nicht gewisse hervorragende Momente in
der Zeitreihe (die man Epochen nennen kann), unter
sich eine stärkere Verbindung eingegangen waren.
Wir wollen nun annehmen, einerley Vorstellung sey
schon sehr oft gegeben worden: so wird sie mit sehr
Vielem verbunden seyn; und dies Viele wird in mancher-
ley Gegensätzen stehn; daraus werden vielerley theils
materiale Hemmungen (wegen der Beschaffenheit der
einzelnen Partial-Vorstellungen), theils formale (Hem-
mungen wegen der Gestalt, nach vorigem §.) ent-
springen. Nun sollte zwar die oftmals gegebene Vorstel-
lung eine groſse Gesammt-Kraft besitzen; allein ihr Ver-
bundenes steht sich und ihr im Wege; es verdunkelt
sich gegenseitig, und sie wird dadurch im Aufstreben ge-
hindert.
Hiebey ist insbesondere zu merken, daſs wegen der
successiven Reproductionen (nach §. 88.) das Ver-
bundene jener Hauptvorstellung nur allmählig mehr und
mehr ins Bewuſstseyn treten sollte; die Folge davon
läſst sich leicht einsehn. Nämlich wenn die Hauptvor-
stellung mit vielen Reihen verbunden ist, diese Reihen
aber unter einander entgegengesetzt sind, so muſs die
Wirksamkeit, womit sie einander widerstreben, nothwen-
dig wachsen, indem die Zeit verläuft; denn während
dieses Zeitverlaufs sollen die Reihen sich im Bewuſstseyn
entwickeln. Weil sie sich nun daran gegenseitig mehr und
mehr hindern, je weiter ihre Entwickelung nach dem Re-
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/389>, abgerufen am 25.11.2024.
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