die erneuerte Empfänglichkeit schnell und beträchtlich leidet.
Aber nicht bloss diese Nebenumstände, sondern ein allgemeiner Grund bewirkt eine Abänderung in dem, was zuvor über den geringen Verlust der erneuerten Empfäng- lichkeit bemerkt wurde.
Freylich, wenn nur Eine ältere, gleichartige Vorstel- lung in der Seele ruhet, deren Erwachen der neuen Wahrnehmung Abbruch thun kann: alsdann gilt das zu- vor Gesagte; und es ist leicht zu übersehen, dass die zwar verminderte Empfänglichkeit dennoch eine beträcht- liche Stärke des Vorstellens durch die jetzige Wahrneh- mung zu erzeugen vermag. Es geschehe nun wirklich also; und nicht bloss einmal, sondern vielemal wieder- hohlt: so werden bey jedem künftigen Eintreten einer neuen, gleichartigen Wahrnehmung, sich alle jene ein- zelnen, zuvor gebildeten Vorstellungen durch eigne Kraft, und zum Theil verstärkt durch ihre Verbindungen unter einander, zumal hervorheben. Offenbar bilden sie auf diese Weise eine Summe, die immer beträchtlicher wird, und wodurch die, zwar vollständig erneuerte, Empfäng- lichkeit doch immer schneller vermindert, ja endlich, bey sehr häufiger Wiederhohlung der nämlichen Wahrneh- mung, beynahe plötzlich von ihrer ersten Stärke auf ei- nen äusserst geringen Grad kann herabgebracht werden. In diesem Falle befinden wir uns mit den Dingen, die wir täglich um uns sehn, und die eben deshalb keinen merklichen Eindruck auf uns machen.
Unter solchen Umständen ergiebt sich dann von selbst, dass unmöglich die einzelnen, aus den wieder- hohlten Wahrnehmungen gewonnenen, Vorstellungen, sich ins Bewusstseyn hoch erheben können. Denn die Summe des wirklichen Vorstellens kann nicht jenen äu- ssersten Grad übersteigen, in welchem die volle und ganze Selbsterhaltung dieser Art bestehen würde. Desto grö- sser und anhaltender aber kann die Anstrengung seyn,
die erneuerte Empfänglichkeit schnell und beträchtlich leidet.
Aber nicht bloſs diese Nebenumstände, sondern ein allgemeiner Grund bewirkt eine Abänderung in dem, was zuvor über den geringen Verlust der erneuerten Empfäng- lichkeit bemerkt wurde.
Freylich, wenn nur Eine ältere, gleichartige Vorstel- lung in der Seele ruhet, deren Erwachen der neuen Wahrnehmung Abbruch thun kann: alsdann gilt das zu- vor Gesagte; und es ist leicht zu übersehen, daſs die zwar verminderte Empfänglichkeit dennoch eine beträcht- liche Stärke des Vorstellens durch die jetzige Wahrneh- mung zu erzeugen vermag. Es geschehe nun wirklich also; und nicht bloſs einmal, sondern vielemal wieder- hohlt: so werden bey jedem künftigen Eintreten einer neuen, gleichartigen Wahrnehmung, sich alle jene ein- zelnen, zuvor gebildeten Vorstellungen durch eigne Kraft, und zum Theil verstärkt durch ihre Verbindungen unter einander, zumal hervorheben. Offenbar bilden sie auf diese Weise eine Summe, die immer beträchtlicher wird, und wodurch die, zwar vollständig erneuerte, Empfäng- lichkeit doch immer schneller vermindert, ja endlich, bey sehr häufiger Wiederhohlung der nämlichen Wahrneh- mung, beynahe plötzlich von ihrer ersten Stärke auf ei- nen äuſserst geringen Grad kann herabgebracht werden. In diesem Falle befinden wir uns mit den Dingen, die wir täglich um uns sehn, und die eben deshalb keinen merklichen Eindruck auf uns machen.
Unter solchen Umständen ergiebt sich dann von selbst, daſs unmöglich die einzelnen, aus den wieder- hohlten Wahrnehmungen gewonnenen, Vorstellungen, sich ins Bewuſstseyn hoch erheben können. Denn die Summe des wirklichen Vorstellens kann nicht jenen äu- ſsersten Grad übersteigen, in welchem die volle und ganze Selbsterhaltung dieser Art bestehen würde. Desto grö- ſser und anhaltender aber kann die Anstrengung seyn,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0368"n="348"/>
die erneuerte Empfänglichkeit schnell und beträchtlich<lb/>
leidet.</p><lb/><p>Aber nicht bloſs diese Nebenumstände, sondern ein<lb/>
allgemeiner Grund bewirkt eine Abänderung in dem, was<lb/>
zuvor über den geringen Verlust der erneuerten Empfäng-<lb/>
lichkeit bemerkt wurde.</p><lb/><p>Freylich, wenn nur Eine ältere, gleichartige Vorstel-<lb/>
lung in der Seele ruhet, deren Erwachen der neuen<lb/>
Wahrnehmung Abbruch thun kann: alsdann gilt das zu-<lb/>
vor Gesagte; und es ist leicht zu übersehen, daſs die<lb/>
zwar verminderte Empfänglichkeit dennoch eine beträcht-<lb/>
liche Stärke des Vorstellens durch die jetzige Wahrneh-<lb/>
mung zu erzeugen vermag. Es geschehe nun wirklich<lb/>
also; und nicht bloſs einmal, sondern vielemal wieder-<lb/>
hohlt: so werden bey jedem künftigen Eintreten einer<lb/>
neuen, gleichartigen Wahrnehmung, sich alle jene ein-<lb/>
zelnen, zuvor gebildeten Vorstellungen durch eigne Kraft,<lb/>
und zum Theil verstärkt durch ihre Verbindungen unter<lb/>
einander, zumal hervorheben. Offenbar bilden sie auf<lb/>
diese Weise eine Summe, die immer beträchtlicher wird,<lb/>
und wodurch die, zwar vollständig erneuerte, Empfäng-<lb/>
lichkeit doch immer schneller vermindert, ja endlich, bey<lb/>
sehr häufiger Wiederhohlung der nämlichen Wahrneh-<lb/>
mung, beynahe plötzlich von ihrer ersten Stärke auf ei-<lb/>
nen äuſserst geringen Grad kann herabgebracht werden.<lb/>
In diesem Falle befinden wir uns mit den Dingen, die<lb/>
wir täglich um uns sehn, und die eben deshalb keinen<lb/>
merklichen Eindruck auf uns machen.</p><lb/><p>Unter solchen Umständen ergiebt sich dann von<lb/>
selbst, daſs unmöglich die <hirendition="#g">einzelnen</hi>, aus den wieder-<lb/>
hohlten Wahrnehmungen gewonnenen, Vorstellungen,<lb/>
sich ins Bewuſstseyn hoch erheben können. Denn die<lb/>
Summe des wirklichen Vorstellens kann nicht jenen äu-<lb/>ſsersten Grad übersteigen, in welchem die volle und ganze<lb/>
Selbsterhaltung dieser Art bestehen würde. Desto grö-<lb/>ſser und anhaltender aber kann die <hirendition="#g">Anstrengung</hi> seyn,<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[348/0368]
die erneuerte Empfänglichkeit schnell und beträchtlich
leidet.
Aber nicht bloſs diese Nebenumstände, sondern ein
allgemeiner Grund bewirkt eine Abänderung in dem, was
zuvor über den geringen Verlust der erneuerten Empfäng-
lichkeit bemerkt wurde.
Freylich, wenn nur Eine ältere, gleichartige Vorstel-
lung in der Seele ruhet, deren Erwachen der neuen
Wahrnehmung Abbruch thun kann: alsdann gilt das zu-
vor Gesagte; und es ist leicht zu übersehen, daſs die
zwar verminderte Empfänglichkeit dennoch eine beträcht-
liche Stärke des Vorstellens durch die jetzige Wahrneh-
mung zu erzeugen vermag. Es geschehe nun wirklich
also; und nicht bloſs einmal, sondern vielemal wieder-
hohlt: so werden bey jedem künftigen Eintreten einer
neuen, gleichartigen Wahrnehmung, sich alle jene ein-
zelnen, zuvor gebildeten Vorstellungen durch eigne Kraft,
und zum Theil verstärkt durch ihre Verbindungen unter
einander, zumal hervorheben. Offenbar bilden sie auf
diese Weise eine Summe, die immer beträchtlicher wird,
und wodurch die, zwar vollständig erneuerte, Empfäng-
lichkeit doch immer schneller vermindert, ja endlich, bey
sehr häufiger Wiederhohlung der nämlichen Wahrneh-
mung, beynahe plötzlich von ihrer ersten Stärke auf ei-
nen äuſserst geringen Grad kann herabgebracht werden.
In diesem Falle befinden wir uns mit den Dingen, die
wir täglich um uns sehn, und die eben deshalb keinen
merklichen Eindruck auf uns machen.
Unter solchen Umständen ergiebt sich dann von
selbst, daſs unmöglich die einzelnen, aus den wieder-
hohlten Wahrnehmungen gewonnenen, Vorstellungen,
sich ins Bewuſstseyn hoch erheben können. Denn die
Summe des wirklichen Vorstellens kann nicht jenen äu-
ſsersten Grad übersteigen, in welchem die volle und ganze
Selbsterhaltung dieser Art bestehen würde. Desto grö-
ſser und anhaltender aber kann die Anstrengung seyn,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/368>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.